Wer hat Ahnung vom Kreuzbalken?

Kreuzbalken

(Nicht der in Kapellendecken, sondern der Balken, der aus einem viergeteilten Baumstamm zusammengeklebt wird)

Könnt ihr mir helfen? Ich interessiere mich für die Verwendung von Kreuzbalken.
Mir wurde erklärt, dass zu den Nachteilen des Kreuzbalkens der gehört, dass bei auf Biegung belasteten Balken die (Schub-)spannung in der Mitte am grössten sei, genau da, wo auch die Leimfuge und der geringste Materialanteil ist.

Ist es denn aber nicht so, dass Zug- und Druckspannung am oberen und unteren Rand je am grössten sind, doch in der Mitte keine der beiden herrscht, die Schubspannung hingegen über den Querschnitt verteilt überall gleich ist?

Vielen Dank für die ausführliche wissenschaftliche Antwort im voraus

Easy

Hi Easy,

vom Kreuzbalken und seinen geometrischen Ausdehnungen habe ich keinen blassen Schimmer, über den Balken an sich kann ich aber gerne ein paar Worte verlieren, auch in der von Dir gewünschten wissenschaftlichen Strenge. :wink:

In der Mechanik wird, wie in der gesamten Physik, üblicherweise mit Modellen gearbeitet. Diese sind niemals richtig oder falsch, sondern allenfalls brauchbar oder unbrauchbar. Allgemein sind diese Modelle aber an Voraussetzungen gebunden. In der Mathematik darfst Du den Satz des Pythagoras ja auch nur anwenden, wenn Dein Dreieck rechtwinklig ist.

Die einfachste Form der Balkenmodelle ist der Bernoulli-Balken, welcher als schubstarr angenommen wird. Längsfasern beeinflussen sich gegenseitig nicht, sodass keine Schubspannungen aufgebaut werden. Diese Theorie beinhaltet eine kleine Inkonsistenz, da der angenommene Verschiebungszustand sich nicht in allen Punkten mit dem angenommenen Verzerrungszustand verträgt. Dieses Modell harmoniert mit keiner der von Dir angegebenen Vermutungen.

Eine Erweiterung dieser Theorie wurde von Timoshenko erarbeitet. Es handelt sich dabei um eine Theorie erster Ordnung, welche von einer konstanten Schubverzerrung über die Balkenhöhe ausgeht. Hier gibt es eine zusätzliche kleine Inkonsistenz, da die damit über die Höhe des Balkens konstanten Schubspannungen an der Ober- und Unterseite nicht verschwinden, was das Gleichgewicht jedoch fordert. Diesem Umstand wird durch einen Korrekturfaktor Rechnung getragen. Diese Hypothese bestätigt Deine Theorie.

Löst man das Problem nun mittels Spannungsfunktion als elastische Scheibe, so erhält man diejenige Lösung, welche der Realität am nächsten ist. Hier ist die Schubspannung quadratisch über die Dicke verteilt, hat in der Mitte ihr Maximum (Tod der Leimfuge!) und wird, wie es das Gleichgewicht fordert, an der Ober- und Unterseite 0.

Vielleicht verdeutlicht es ein Modell etwas. Nimm zwei einseitig eingespannte Balken, welche übereinander liegen und nicht verklebt sind. Biegst Du sie durch, so gleiten sie übereinander ab. Verklebst Du nun beide Balken, so verhindert die Klebschicht dieses Abgleiten, was in der Klebschicht eine Schubspannung auslöst. Dieses hat nun, wenn man sich anschaut, wie Klebverbindungen tragen, einen fatalen Einfluss am seitlichen Rand des Balkens.

Ich hoffe, damit konnte ich etwas Licht in das Dunkel bringen.

Gruß
Ted

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Problem erkannt (und gebannt)
Yo, Ted, das war’s, was ich wissen wollte.

Nur war der Hinweis auf wissenschaftlich und Co nicht so streng gemeint. Nächstes mal lasse ich ihn besser weg, denn im Allgemeinen sind die meisten Antworten hier sehr hochkarätig, wie ich im Anschluss an das Verfassen der Frage festgestellt habe.

Anfangs war mir folgendes nur nicht klar gewesen:
Wenn man statt der 2 Balken 4 aufeinanderlegt, sind in allen 3 Schnittfugen die gleichen Verschübe an den Enden. Nimmt man jetzt unendlich viele Scheibchenbalken, ist an jeder Randstelle die Verschiebung gleich.

Jetzt verleime ich die unendlich vielen Scheibchen.

Nach Deiner Aussage sieht es also jetzt so aus, dass bei der Leimfuge dieser gedachten verbundenen Scheibchen jeweils je weiter sie sich in der Mitte des Balkens befindet, die zum Rand (nach oben und unten) hin gelegenen Scheibchen ‚mitziehen‘. Deshalb steigt die Schubspannung zur Mitte hin quadratisch an. Kann man das jetzt ‚unwissenschaftlich‘ so sagen?

Easy

Hi nochmal!

Deine „unwissenschaftliche“ Erklärung trifft es im Ansatz ganz gut. Nur fehlt ihr die Erklärung, warum es ausgerechnet einen quadratischen Anstieg gibt.

Im Leichtbau (z.B. beim Schubfeldträger) arbeitet man gerne mit Schubflüssen. Hierbei spiegelt sich der angesprochene Sachverhalt im statischen Trägheitsmoment wieder, bei welchem ein linearer Ausdruck zur Ermittlung der Schubspannung integriert werden muss, was auf den quadratischen Verlauf führt.

Wenn Du weiteres Interesse an der Thematik hast, so empfehle ich Dir ein Buch über Leichbau, z.B.

Wiedemann, Johannes:
Leichtbau I. Elemente.

SPRINGER VERLAG GMBH & CO, 1996
ISBN: 3-540-60746-3 Buch anschauen

Ist allerdings keine ganz leichte Kost.

Gruß und ein schönes langes Wochenende
Ted

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Kreuzbalken

(Nicht der in Kapellendecken, sondern der
Balken, der aus einem viergeteilten
Baumstamm zusammengeklebt wird)

Vielen Dank für die ausführliche
wissenschaftliche Antwort im voraus

Easy

Die Schubspannung ist in der Mitte am größten. Bei rechteckigem Querschnitt gilt näherungsweise:
max. Schubspannung = Querkraft mal 1,5 / Querschnittsfläche. Das ist mit Unsicherheiten verbunden. Deswegen rechne besser mit
max. Schubspannung = Querkraft mal 2,0 / Querschnittsfläche.

Der vorhin erwähnte Wiedemann ist schwerverdaulich und gibt auch keine genauen Auskünfte uber die Schubspannungsverteilung in orthotropen Rechtecksbalken.

Um Kennwerte zu erhalten, empfehle ich „Ulf Lohmann, Holzhandbuch, DRW, ISBN3-87181-322-2“

Gruß

Harald

Okay, vielen Dank
Alles klar, soweit.

Vielen Dank für die Antworten. Das war schon mehr, als ich gebraucht habe. Bin ‚befriedigt‘.

Macht so weiter

Easy