Wer hat Recht? Der SPIEGEL und meine Frau oder ich?

Liebe Freunde der deutschen Sprache,
im neuen SPIEGEL (18/2018, S.102, Beitrag: „Ich in der Ratte“, steht u.A. folgender Satz „Juristen ziehen Linien, die zu übertreten verboten sind“. Meine liebe Ehefrau ist der Überzeugung, das sei korrekt. Ich meine, es müßte heißen: „Juristen ziehen Linien, die zu übertreten verboten ist“.
Was ist korrekt?
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Schaaf

[Frage verschoben vom www Team]

1 „Gefällt mir“

Hallo

Die Linien sind ja nicht verboten. Wenn diese Linien verboten wären, hätten Spiegel + Ehefrau recht.

Es ist aber verboten zu übertreten.
Dieses ‚die‘ bei ‚…, die zu übertreten verboten ist‘ steht ja im Akkusativ (wen oder was zu übertreten?). Das Verb in diesem Nebensatz kann sich also nicht auf dieses ‚die‘ beziehen.

Ist der Satz überhaupt grammatisch korrekt?
Er erscheint mir eine Verkürzung zu sein von etwa „… , die (dem Bürger) zu übertreten verboten sind“, Also „Die Linien sind - dem Bürger - verboten zu übertreten“.
Ist das nicht eine Art Passivkonstruktion, „die“ wäre dann Nominativ und „sind“ richtig?
Karl

Hm, zu diesem Satz müsste @metapher mal was sagen (wäre jedenfalls gut …).
Mir klingt er zwar richtig, aber es ist doch definitiv so, dass die Linien nicht verboten sind.
Man sagt doch auch: Die Figüren zu berühren ist verboten mit den Pfoten.

Man kann doch ohne weiteres sagen:
Zu rauchen ist verboten.
Lügen zu verbreiten ist verboten.
Den Lehrer zu ärgern ist verboten.
Also auch: Die Linien zu übertreten ist verboten.

Subjekte in diesen Sätzen sind jeweils:
Zu rauchen
Lügen zu verbreiten
Den Lehrer zu ärgern
Die Linien zu übertreten

2 „Gefällt mir“

Deine Frau hat Recht. Sonst hast Du kein gutes Auskommen mit ihr. We war das Thema?

Objekt des Verbotes ist der „Übertritt“. Der Plural im Verb „übertreten“ kommt durch den Plural im Substantiv „Linien“ herbei. Es sind aber nicht die Linien verboten (Plural) . Sondern der Übertritt über diese Linien. Das Übertreten dieser Linien ist ( nicht „sind“) verboten.
Ich halte Deine Auffassung für korrekt.
LG
Amokoma1

Hallo,

(schade, diese nicht ganz uninteressante Grammatik-Frage sollte eigentlich ins Brett „Deutsche Sprache“)

@Simsy_Mone hat das ja bereits richtig erklärt. Du hast Recht und der SPIEGEL hat sich kräftig verhauen.

Da es sich um eine Relativsatz-Konstruktion, also um eine Nebensatz-Konstruktion handelt, findet sich die Lösung am einfachsten, wenn wir Haupt und Nebensatz trennen und den Nebensatz als eigenständigen Haupsatz schreiben:
Juristen ziehen Linien. Die(se) zu übertreten ist verboten.
Hier wird schon deutlich, daß „die“ nicht Nominativ, sondern Akkusativ ist.

Interessant ist derweil, wie es zu dem Fehler des SPIEGEL bzw. der falschen Einschätzung deiner Frau kommt. Dazu ist die Erklärung etwas umständlicher:

Wie immer bei spontan nicht ganz übersichtlichen Grammatik-Fragen ist es sinnvoll, den Satz auf das Wesentliche zu verkürzen. Hier z.B. ist es wurscht, daß die Linien von Juristen gezogen sind. Es geht allein um die Attribuierung der Linien - in diesem Fall in Form eines Relativsatzes. also eines Nebensatzes.

Wenn wir (Pluralis auctoris ;-)) diesen Nebensatz isolieren, sind wir schnell beim Resultat:
Das Übertreten von Linien ist verboten.
oder halt:
Das Übertreten von Linien, die von Juristen gezogen sind, ist verboten.

Subjekt dieses Satzes ist natürlich „das Übertreten“, und das steht im Singular.
Nun zur Relativsatz-Konstruktion:
… Linien, deren Übertretung verboten ist.
Dabei ist das Relativpronomen Genitiv-Attribut zu „Übertretung“.

Was den Denkfehler (des SPIEGEL und mutmaßlich deiner Frau) verusachte: Das Adjektiv „verboten“ ist Prädikativ zu „Übertretung“ und nicht zu „Linien“ (so, wie es @Simsy_Mone bereits erklärte, nur mit anderen Worten). Und deshalb wurde das Relativpronomen „die“ als Plural Nominativ zu „Linien“ aufgefaßt.

Zugleich ist aber das Nebensatz-Subjekt „Übertretung“ durch ein Infinitv-Subjekt „zu übertreten“ ersetzt. Und es wird dann übersehen, daß dadurch das „die“ zum Akkusativ-Objekt zu „übertreten“ wird.

Das zusammen verführt zu einer Verwechslung:
a: mit einer Gerundium-Konstruktion:
… Linien, die nicht zu übertreten sind.
b: mit einer Gerundivum-Konstruktion:
… Linien, die nicht zu übertretende sind.

Bei beiden steht „die“ im Plural Nominativ.

Aber, wie gesagt, die Prädikat-Gruppe lautet: „verboten“ + Hilfsverb. Und das Subjekt dazu ist „zu übertreten“, und dieses steht im Singular Nominativ.

Gruß
Metapher

addendum

Analoges Beispiel:

Gesetze, die einzuhalten sind. - Sie sind einzuhalten.
aber:
Gesetze, die einzuhalten geboten ist. - Sie einzuhalten ist geboten.

Vielen Dank für die Antworten… Gehen mir natürlich ´runter wie lauwarmes …
Gruß
Dieter