Wer kennt sich mit dem Leben in Libyen aus

Ich muss berufsmässig kurzfristig nach Libyen Tripoli und soll dort mehrere Jahre arbeiten.
Wer kann mir helfen:
Lebenshaltungskosten
Kosten für Unterkunft, Appartment od. Haus in einem Expatcompound

Servus,

ob es in TIP abgesehen von den Wohnanlagen, die einzelne Unternehmen für ihre Mitarbeiter dort insgesamt mieten, überhaupt Expat-Compounds gibt, weiß ich nicht; jedenfalls braucht man keine: Die Libyer sind brave Leute; wenn sie ab und zu einen Fußgänger totfahren, ist das keine Absicht.

Appartements gibt es, aber der Unterschied zu kleinen Häuslein ist nicht dramatisch.

Haus von Privat gibts mit ca. 3 ZKB ab etwa 300 € aufwärts, Houseboy, Putzhilfe, Müll, Strom etc. kosten fast nichts: Seh zu, daß Du vor Ort jemand kennen lernst, fast alles geht über Spezln (die zwar auch die Hand aufhalten, aber immerhin dafür auch etwas bieten). Schon für teilmöbliert mieten muss man wen kennen, weil es nicht selbstverständlich ist, daß ein neu gekaufter Stuhl nicht sofort die Grätsche macht, wenn man sich draufsetzt. Auch schon um eine Adresse zu finden, muss man wen kennen, weil es kaum Straßennamen und keine Hausnummern gibt, und sehr viele Geschäfte von außen nicht als solche zu erkennen sind.

Lebenshaltungskosten in etwa mit D vergleichbar, abgesehen von Benzin, das gegen eine kleine Schutzgebühr (wenn ich richtig weiß, umgerechnet etwa 5 Ct/L) verteilt wird. Lebensmittel kann man auch viel billiger haben, wenn man sich darauf einstellt, daß z.B. bei Gemüse die kleinste angebotene Einheit nicht Kilo oder Pfund ist, sondern die Steige.

Schöne Grüße

MM

off topic /compounds
Hallo,

ob es in TIP abgesehen von den Wohnanlagen, die einzelne
Unternehmen für ihre Mitarbeiter dort insgesamt mieten,
überhaupt Expat-Compounds gibt, weiß ich nicht; jedenfalls
braucht man keine:

Die Motivation in einem Expat-Compound zu leben ist aber oftmals eine ganz andere als Sicherheit (von der Sicherheit her, hätte ich in Saudi-Arabien nie in einem Expat-Compound gelebt).
Ein Compound bietet sofort soziale Kontakte (mit Expats, ist klar, aber gerade in arabischen Ländern ist es trotz aller Gastfreundlichkeit zum Teil schwierig näher mit Einheimischen zusammenzukommen), sowie etliche Services, die man sich sonst erst suchen muss, angefangen von Sportmöglichkeiten vor der Haustür, über Reparaturservices, sowie Totalmöblierung inkl. elektrischer Geräte und deren Wartung etc. Ob man das will, ist sicher auch davon abhängig, welche Arbeitsbedingungen und daraus folgernd wieviel Freizeit man hat. Hinzu kommt noch die Überlegung, ob man mit oder ohne Familie ins Land geht (nur als Bsp.: Compounds unterhalten oft einen Busservice zu Schulen und Einkaufsmöglichkeiten).

Gruß
Elke

Leben in TIP - Nachschlag
Hallo nochmal,

noch ein paar Anmerkungen:

Falls Dir noch Zeit bleibt, lass Dir den deutschen Führerschein umschreiben. Zu diesem Zweck muß er von einem durch das Libysche Volksbüro in Berlin zugelassenen Übersetzer arabisiert und dann durch das Volksbüro legalisiert werden. Ob eine Vorbeglaubigung durch die Deutsch-Libysche Handelskammer notwendig ist, weiß ich nicht. Es gibt aber einen Galoppino in Berlin, Mr. Samé Ghati, der das alles aus einer Hand besorgt (beiläufig auch andere Dinge gehend machen kann, aber darüber muß man mit ihm persönlich reden): http://konsulat-service.de/ - Vermutlich kennt ihn Eure Reisekosten- & Visaabteilung bereits.

Die Vorschriften für Autofahren wechseln sehr schnell. Derzeit ist es wohl so, daß Ausländer nur Mietwagen von einem zugelassenen Vermieter oder eigene Fahrzeuge fahren dürfen. Ein eigenes Auto darf aber nur nach Libyen gebracht werden, wenn es nicht älter als fünf Jahre ist, und wenn der Halter eine residence permit hat (das dürfte bei Deinem Aufenthalt gegeben sein).

Die Libyer fahren wie die gesengten Säue - vielleicht ists ratsam, vorher ein bissel Brems- und Schleudertraining auf dem Nürburg- oder Hockenheimring oder wo auch immer das angeboten wird, zu absolvieren. Der Vorteil des Ortskundigen ist, daß er mit 120 durch die Stadt brettern kann, weil er genau weiß, wo ein Kanaldeckel fehlt oder aus anderen Gründen plötzlich ein metertiefes Loch in der Fahrbahn ist, oder wo eine 9,50 m - Straße unvermittelt in einen Eselsaumpfad übergeht. Der Fremde weiß das aber normalerweise nicht, so daß die Fahrer vor und hinter ihm hie und da für ihn überraschende Manöver machen. Es ist nicht sinnvoll, wenn man versucht, in der Stadt unter ca. 70 km/h zu fahren, weil man dann nirgendwo reinkommt - man wird schlicht stehengelassen oder abgedrängt.

Adressen in unserem Sinn und dementsprechend eigentliche Stadtpläne gibt es nicht. Taxifahrer wissen auch nicht mehr als der Fahrgast, d.h. wenn man als Adresse „Near to Sherazad Hotel“ oder „Behind Al Ummah Bank“ angibt, fährt der Taxler zu diesem Hotel oder dieser Bank (oder er fragt sich dahin durch) und erwartet dann nähere Anweisung, wies jetzt weiter geht. Für Wohnadressen ist der Name des Viertels wichtig, innerhalb der Viertel ists relativ dörflich, einmal im richtigen Viertel hat man gute Chancen, daß der nächste auf der Straße weiß, wo das Haus von Mr. Kamal M. Abuzaid ist. Umgekehrt wissen dann auch bald alle, wenn man auf der Suche nach dem Weg aus Versehen eine Frau angesprochen hat: Und niemand mehr wird irgendeine Information geben.

Du wirst bald sehen, daß jeder - auch rein geschäftliche - Kontakt über Personen definiert ist. Keine libysche Behörde ist als solche käuflich, sondern bloß die einzelnen dort beschäftigten Personen: Weder auffällig noch unauffällig hingeschobene Dollares richten etwas aus, wenn man den Mann unter der Mütze nicht persönlich kennt. Wenn man ihn kennengelernt hat und er zum Ausdruck gebracht hat, daß er freundlich oder freundschaftlich gesinnt ist, wird er irgendwann sagen „Wenn ich etwas für Dich tun kann, sag mir Bescheid“. Das ist dann zwar auch mit kleinen oder großen Scheinen verbunden, aber führt leicht zum gewünschten Ergebnis. Aus der italienischen Zeit gibt es noch die Üblichkeit, daß derjenige, der geschmiert werden will, nicht zuerst seinen Preis sagt, sondern darauf wartet, daß der, der schmieren soll, ganz unverbindlich in Vorleistung tritt - daraufhin ist er allerdings ein treuer Partner, dem man alles Vertrauen geben kann. So eine Vorleistung kann etwa das Besorgen von deutschen Medikamenten oder Diätnahrungsmitteln sein (deutsche Pharmazeutika haben einen exzellenten Ruf), auch deutsche Elektronik jeder Art (auch wenn sie aus China kommt) und deutsche Autoteile (solche Angeberfelgen etc.) sind heiß begehrt. Und Neunzigtagevisa für Schengen sowieso - auch dort, wo man sie leicht selber kriegen würde, etwa für medizinische Behandlungen in D, gilt das „richtig“ von einem Deutschen besorgte Visum als besser, „wirksamer“ etc.

Libyen hat einen riesigen Hunger nach Technologie und Bildung, und Deutschland genießt immer noch den Ruf, den es vor vielleicht zwanzig oder vierzig Jahren verdient hat. Wenn Du jemandem, der seine Kinder mehr oder weniger abgöttisch liebt (das ist die Regel) ein paar Hinweise gibst, wie sie an deutsche Hochschulen kommen, und an welchen deutschen Hochschulen auf Englisch gelehrt wird, wird er Dich in sein Herz schließen und sehr vieles für Dich tun - obwohl die gleichen Informationen mühelos z.B. beim DAAD online ermittelt werden können, gelten sie als viel wertvoller, wenn Mr. Nbcfox das gesagt und erklärt hat.

Ganz am Rande noch: Obwohl Alkohol viel liberaler gehandhabt wird als in anderen arabischen Ländern, gibt es ihn offiziell nicht, und bei der Einreise sowieso nicht. Wenn in einem Zwanzigfußcontainer irgendwo bei den Spare Parts ein Fläschlein Cognac reingemogelt ist, und das bei der Beschau auffällt, geht der ganze Container zurück. Wenn man aber in der Wohnung sein eigenes Bierchen macht, wird keiner das Haus stürmen und den heimlichen Brauer in den Kerker werfen. Bloß angetrunken in der Öffentlichkeit ist so ein Problem: Wenn Libyer betrunken erwischt werden, lässt man sie am anderen Morgen wieder laufen, nachdem sie einen Zettel unterschrieben haben, auf dem steht, daß sie nie wieder Alkohol trinken werden (bis zum nächsten Mal). Bei Ausländern kann das aber ganz anders ausgehen. Und vor allem ist, wenn bei irgendeinem Anlass vom Taschendiebstahl über den Autounfall bis zur Schlägerei irgendein Beteiligter, Opfer oder Täterm, auch nur ansatzweise alkoholisiert war, dieser immer und an allem schuld.

Es gibt viel mehr Frauen an der Öffentlichkeit, auch qualifiziert berufstätige, als in anderen arabischen Ländern. Trotzdem gilt: Nicht Ansprechen, nicht Anschauen, nicht Anfassen (kein Shakehands, auch wenn es sich um Genossin Document Controller oder sowas handelt, mit der Du monatelang eng zusammenarbeiten wirst). Wenn eine Frau von sich aus eine normale Kommunikation erlaubt oder wünscht, wird sie das signalisieren - daß eine Frau einen Dr. Ing. hat, heißt nicht, daß sie automatisch auch sonst das 15. Jahrhundert überwunden hat. Das kann übrigens andersrum gedreht technisch ganz hilfreich sein: Wenn Du auf dem Projekt Material brauchst und nicht warten kannst, bis das ganze Ritual mit der Legalisierung durch ist, und wenn das mehr als ein Beipack in einem Koffer ist, lass es Dir von einer Kollegin mitbringen: Der Zöllner bei der Einreise ist zwar Zöllner und muß deswegen aufpassen, was an Ware reinkommt, aber er ist auch braver Moslem und darf daher keine fremde Frau ansprechen, wenn nicht Lebensgefahr besteht. D.h. „Können Sie den grauen Trolley bitte mal aufmachen?“ darf er zwar denken, aber zu einer einreisenden Frau darf er es nicht sagen. Tant mieux…

Nungut, soviel zu dem Thema. Am besten, Du lernst die Jungs selber kennen; sind prima Kerle dabei. Wenn sie Dir am Anfang hie und da ein bissel großmäulig vorkommen: Das ist bloß Defensive - all die Boykottjahre, die Bombardierungen, der ganze Unsinn hat nicht so viel ausgemacht; aber von aller Welt als die Deppelchen aus der Wüste betrachtet zu werden (auch schon vorher in der Italienerzeit), das hat richtig wehgetan. Daher ist das einzige, was ein Libyer von vornherein von Dir verlangt und erwartet, Respekt. Irgendwann wird Dir einer zuzwinkern, wenn Du das Spiel mitspielst und alle Angaben mit einem Angeberfaktor multiplizierst: „Wieviele Kinder hast Du - Dreißig!“ „Wie groß ist Dein Haus? - 5.000 Quadratmeter!“ „Wie schnell fährt Dein Audi? - 600 km/h!“ usw. usw.

Schöne Grüße

MM

Hi Elke,

ja, das hab ich so nicht bedacht. Meines Wissens gibt es entsprechende Wohnsiedlungen in Tripoli aber eh nicht, abgesehen von Wohnblöcken, die von Industrieunternehmen nur für die eigenen Leute unterhalten werden: Die dann aber keine eigene Infrastruktur im Sinn eines Compounds enthalten. - Sport scheint mir in TIP hauptsächlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattzufinden: Die haufenweise Diabetiker, die es - wen wunderts - gibt, haben halt ihre Hometrainer in der Wohnung stehen, und der Strand lässt bloß ahnen, wie schön er sein könnte: Die Küstenstraße, auf der in den Sommermonaten allabendlich eine regelrechte Rushhour zum Strand abläuft, dann eine dichte Reihe von blickdichten Zelten, dann ein kläglicher Streifen von Sand und Müll, dann das Meer…

Fußball muss es irgendwie schon geben, aber wohl in irgendeiner Weise organisiert. Wenn eine deutsche Belegschaft eine Mannschaft zusammenbringt, wird sich auch ein Platz für sie finden. Aber halt bloß für eine Mann-schaft.

Was und wie gebaut wird, ist im wesentlichen vom Housing & Infrastructure Board vorgegeben und durchgeführt - wie genau es dabei zu einem doch irgendwie privaten Eigentum an den vielen kleinen Häuserchen kommt, hab ich nicht kapiert. Bloß das kleine Detail, daß man als Eigentümer für ein Haus erst den Grundzins zahlen muß, wenn es fertig ist. Daher die vielen Treppenhäuser, die über das Haus hinaus noch eine halbe Etage weit ins Leere gehen, die Häuser, die oben auf dem Dach noch eine halbe Wand mit einem nie eingesetzten Fenster oder auf dem Hof noch ein unverputztes Zimmer ohne Dach haben etc.

Schöne Grüße

MM

Sag mal MM,
woher weißt du das eigentlich alles? Ist ja phänomenal! :smiley:

J~

Servus,

teils vom Kontakt mit libyschen Zoll- und Ausländerbehörden, der nicht ausbleibt, wenn man Kollegen im Dutzend in die Wüste schickt; teils von den Berichten der nämlichen Kollegen; teils von einem Kollegen aus Tunesien, der als „Schnelle Truppe“ (ohne Visapflicht) in Libyen agiert; teils aus eigener Versandpraxis; teils von ein paar altgedienten Siemensianern; teils vom persönlichen Umgang mit Gästen aus Libyen, unter anderem einer Truppe von acht Projektingenieuren, die samt Familien knapp zwei Jahre in D mit uns gearbeitet haben, und einzelnen Besuchern von dort, die im Rahmen von kleineren Projekten hier waren: Solche Kontakte sind nicht rein technisch-kaufmännisch - viele von den Libyern sind mit großer Aufgeschlossenheit und Neugier in D gewesen, und haben im Gegenzug auch gern von ihrem Leben erzählt. - Betreffend die deutschen Waren, für die sie sich interessieren, ists ziemlich leicht, das zu erfahren, weil man dort keine Heimlichtuerei mit Geschenken kennt: Wer nach D reist, kommt mit einer langen Wunschliste aus der ganzen Sippe und freut sich, wenn er ein wenig Assistenz kriegt, um diese abzuarbeiten (z.B. mit solchen Einzelheiten wie „wenn Dir die Gartenschläuche aus dem Baumarkt zu pofelig sind, schau doch mal bei Raiffeisen“ etc.). Die Listen ähneln sich so stark, daß man schon von sechs oder sieben Exempeln ein repräsentatives Profil hat.

Schöne Grüße

MM

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