ich schick dir einen ausschnitt aus einem aufsatz, den ich geschrieben habe, der aber noch nicht gedruckt ist:
Um die verschiedenen Formen der Verfolgung zu verstehen, kann es hilfreich sein, sich erst einmal klar zu machen, was das Typische am Nationalsozialismus ist. Letztlich geht es auch bei ihm um einen Versuch, das Problem von arm und reich zu lösen. Nicht umsonst kam er in einer wirtschaftlichen Krisenzeit an die Macht.
Im Kommunismus löst man das Problem dadurch, dass man die vorhandenen Güter gleich-mäßig an alle aufteilt, so war es jedenfalls bei seinen Gründervätern ursprünglich gedacht.
In der sozialen Marktwirtschaft - und die Ansätze liegen schon bei der Bismarckschen Sozialversicherung in den 1880er Jahren - findet ein Ausgleich dadurch statt, dass die Reichen durch höhere Steuern sogenannte Sozialtransfers (Sozialhilfe, kostenlose Bildung, Kindergeld) an die weniger Begüterten leisten.
Man kann sich aber auch die mit diesen Umverteilungen verbundenen Auseinandersetzungen sparen, indem man gar nichts umverteilt, sondern die sozialen Unterschiede überspielt oder von ihnen ablenkt. Dazu dient einmal ein totalitärer Staat, der alle in die gleichen Uniformen steckt und ihnen ständig die gleichen Ideen in das Gehirn drückt. Dazu dient eine aggressive Außenpolitik: wenn man genügend Länder überfällt und ausplündert ist irgendwann für alle Deutschen genug da. Wichtig sind schließlich gemeinsame Feindbilder, damit man nicht zu kritisch auf die Zustände bei sich selbst schaut: dazu dient der Hass auf Juden und andere angeblich rassisch minderwertige Gruppen und Völker.
Eine Rede, die Adolf Hitler 1938 vor NS-Funktionären in Reichenberg im Sudetenland gehalten hat und die als Original-Tondokument noch vorliegti, bringt die Funktion, die der totalitäre Staat hat, deutlich zu Ausdruck:
„Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben und Mädchen im Alter von 10 Jahren in unsere Organisationen hineinkommen, und dort nun - so oft zum ersten mal überhaupt - eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend. Und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei oder die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. (Beifall)
Und was dann nach sechs oder sieben Monaten an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel noch da oder da vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in SA, SS und so weiter: und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“ (Beifall)
Die Rede zeigt auch, dass man mit einem einfachen Schema „links = fortschrittlich“ und „rechts = konservativ“ dem Nationalsozialismus nicht beikommt. Einerseits wendet er sich gegen das Klassenbewusstsein der Sozialisten und Kommunisten; mit dem alten Konservativismus, der Rang und Stand hochhielt, hat er auch wenig gemeinsam. Auf der Oberfläche vertritt er ein egalitäres Gesellschaftsbild, das die Gleichheit betont. Nur: Umverteilt wurde im realen Nationalsozialismus nichts, die Löhne und Preise waren praktisch eingefroren. Die Bevölkerung bekam dennoch einen positiven sozialpolitischen Gesamteindruck, weil die Arbeitslosenzahlen drastisch zurückgingen. Dass der Aufschwung auf Kredit finanziert war, wusste außer dem ab 1937 heftig protestierenden Reichsbankdirektorium niemand. Dass der Aufschwung wesentlich durch die Aufrüstung bedingt war, wollte man vielleicht nicht wissen, außer man hatte Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, wo schon 1925 zu lesen war, dass die Reise im „Lebensraum“ in Russland enden würdeii.
Wer dem totalitären Staatsideal der Nationalsozialisten nicht entsprach, musste aus dem Weg geschafft oder zumindest mit aller Macht unterdrückt werden. Dies waren:
- Andere politische Parteien
- Institutionen und Personen, die andere Werte vertraten. Das waren in erste Linie die Kir-
chen.
- Personen oder Gruppen, die nicht in das rassistische Bild vom "nordischen Menschen“
(was immer mit diesem nebulösen Begriff auch gemeint war) passten. Dazu zählten
im Lauf der Jahre auch Behinderte aus dem eigenen Volk.
Dieser Rassismus wäre für das Funktionieren des nationalsozialistischen Staats- und
Gesellschaftmodells eigentlich gar nicht nötig gewesen, abgesehen davon dass dieses
auf Dauer eben nicht funktioniert hätte, weil entweder der totalitäre Staat sich abnützen
oder man mit der expansiven Außenpolitik scheitern würde.