Verfilzte, lustlose Behörden, mafiöse Strukturen
(Seilschaften), eine desinteressierte, lethargische
Bevölkerung, wie hältst Du es da aus. Das frage ich Dich allen
Ernstes.
Die Landschaft ist schön…
Ist nun die DDR die Ursache allen Übels oder war das schon
immer die Grundeinstellung? Siehst Du überhaupt, wenn auch in
weiter Ferne, eine Perspektive?
Hallo Michael,
es ist tatsächlich die Landschaft, viel Platz, ein irgendwann einmal wunderschönes altes Haus, das alles bezahlbar, was mich hierher zog und hier hält.
Die Geschichte bis 1990 hat tiefe Spuren hinterlassen. Einerseits ein allmächtiger Staat, andererseits aber auch die Gewöhnung an eine lückenlose Rundumversorgung lassen sich nicht einfach wegwischen. Immobilieneigentum war in der DDR eine Belastung. Wer etwas bauen oder erhalten wollte, war auf ein System der Schattenwirtschaft zwingend angewiesen. Da wusch eine Hand die andere, weil es nicht anders ging. Diese Strukturen sind nicht abschaffbar, sie leben weiter.
Auch die Geschichte seit 1990 hinterließ manche schlimme Spur. Heere zweifelhafter Geschäftemacher sahen hier ihre Chance, fuhren ungezählte Vorhaben an die Wand, um danach zu verschwinden. Im Umkreis um meinen Wohnort gibts solche Objekte dutzendweise. Da kassiert jemand für die Entsorgung von Altreifen, stapelt tausende Tonnen auf und ist danach unauffindbar. Andere erwarben für ein Trinkgeld Immobilien, versprachen Sanierung und Arbeitsplätze, erhielten Fördergelder, um sich danach nie wieder blicken zu lassen. Steuerberater und Banker tauchten zu tausenden auf, trieben ahnungslos-naive Leute, die nur endlich ein Westauto fahren wollten, in die Verschuldung. Ich spürte die daraus resultierenden Vorurteile sehr deutlich, als ich in die Gegend kam. Bald merkten die paar Leute hier aber, daß da nicht schon wieder so ein Schlipsträger ankommt, der eine Immobilie geschossen hat, um sie dann verfallen zu lassen. Geradezu ungläubig wurde registriert, daß das erste Mal seit der Wende in diesem Ort an einem von einem Wessi erworbenen Haus tatsächlich gebaut wird. Das erste Mal wurde ein Wessi im Dorf mit Hauptwohnsitz ansässig. Ich unterstelle den zahlreichen „Investoren“, die hier schon durchgewandert sind, nicht einmal bösen Willen, vielmehr Fehleinschätzungen, mangelhafte Konzepte und mangelnden langen Atem. Dabei befanden sich diese Leute in bester Gesellschaft, prognostizierte der damalige Kanzler Kohl doch blühende Landschaften in kurzer Frist. Der Mann hatte keine Ahnung, wovon er redet. Jeder Handwerker weiß, wie lange es dauert, ein Kleinunternehmen auf gesunde Füße zu stellen. Da redet man nicht von Monaten oder einem Jahr, da hat man eine andere Zehnerpotenz auf der Zeitachse im Sinn. Alles andere ist Traumtänzerei. Am Ende der Träume stehen Ernüchterung und Resignation. Freude und Aufbruchstimmung von 1990 sind verpufft, weil die Erwartungshaltung auf allen Seiten zu hoch und zu kurzatmig angelegt war.
Inzwischen ist zumindest in der Region meines Wohnortes eine Spirale nach unten in Gang gekommen, die nur noch schwer zu bremsen sein wird. Junge Leute finden kaum betriebliche Ausbildungsplätze und so gut wie keine Arbeit. Sie wandern ab, die Gegend überaltert. Inzwischen besteht der Ort überwiegend aus Rentnern und Arbeitslosen, die auf die Rente warten. Die Bevölkerung Meck.-Pomms schrumpft jährlich um 0,5 bis 1%. Betroffen sind insbesondere die ländlichen Bereiche, die sich mit wachsender Geschwindigkeit z. T. regelrecht entvölkern. Damit gehen alljährlich schärfere Folgen für die Gemeindefinanzen einher. Das örtliche Gewerbe besteht nur noch aus Alleinunterhaltern, die kaum noch existenzfähig sind. In der einzigen Autowerkstatt schweißt der Inhaber gerade an einer Gartenschaukel für seine Tochter. Er schließt den Betrieb nächsten Monat. Der örtliche Elektriker hat keine Aufträge mehr. Der Fernsehhöker hat längst zugemacht. Der Raiffeisenmarkt hat nur noch eine Haushaltswarenabteilung, der Rest wurde gerade geschlossen. Der Bäcker hat Ende vergangenen Jahres Insolvenz angemeldet, ein Friseur wirtschaftet noch im Nebenerwerb. Der Gerüstbauer stellte mir noch zu Weihnachten ein halbfertiges Gerüst auf, um sich dann nie wieder zu melden - pleite. Er wackelte vorher auch schon und hatte seine Leute entlassen. Einen Bauunternehmer gibts noch, aber er klönt den ganzen Tag am Gartenzaun und hat keine Arbeit. Im Nachbarort gibts einen Baumarkt, sehr ordentliches Warenangebot, qualifizierte Beratung, der Inhaber gibt sich Mühe. Ein Trauerspiel, der große Laden ist immer menschenleer. Eine Meisterstunde eines Elektro- oder Kfz-Meisters kostet hier 20 Euro. Mehr ist nicht drin. Kannst Du mir verraten, wie damit klarzukommen sein soll? Ich weiß es auch nicht. So geht das örtliche Gewerbe den Bach herunter, die jungen Leute wandern ab, übrig bleibt eine Region, die man als aussterbendes Altenheim ansehen muß. Übrig bleiben aber auch Altlasten z. T. aus DDR-Zeiten, z. T. von ideenlosen und überforderten Investoren. Am Ort gibts ein Schloß. Ein Schild am Bauzaun kündigt eine Altenresidenz an. Inzwischen ist der Bauzaun 12 Jahre alt und so verfallen wie das Schloß. So gehts hier fast allen unter Denkmalschutz stehenden Anwesen. Es vergammelt und entsprechend trist sieht es aus. Den Leuten, die ihre Häuser selbst bewohnen, fehlt das Geld für Sanierungen. Falls doch einmal etwas gemacht wird, dann sind es ausnahmslos schlimme Geschmacksentgleisungen. Plaste-Vordächer, Kunststoffenster mit in den Scheiben liegenden Fensterkreuzen, weiße Haustüren mit Butzenscheiben, außen angeschraubte Rolläden, Klinker auf Fachwerk, Ortgangverblender an historischen Dächern *schüttel*… das alles an einst sehr schönen alten Häusern, die so zu Baumarkt-Heimwerker-Ruinen werden. Die lukrativen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Baudenkmäler können die Leute nicht nutzen. Sie haben überhaupt kein Einkommen, von dem es etwas abzuschreiben gäbe.
Für einige Gebiete ist der Zug abgefahren. Ich erkenne absehbar keine Möglichkeiten, daß eine gesunde wirtschaftliche Basis entsteht. Es gibt keine Arbeit, die Bevölkerungsstruktur gibt nicht einmal mehr Arbeitskräfte her, der Wohnraum vergammelt derart, daß man auch von außen niemanden mehr herlocken kann. Ich sehe hier für mich eine Möglichkeit, so zu leben, wie ich es gerne möchte, aber nur deshalb, weil ich beruflich nicht auf die Region angewiesen bin. Im Laufe der Zeit werden sich gewiß noch weitere Leute finden, die beruflich unabhängig einfach nur viel Platz und schöne Landschaft in extrem dünner Besiedelung genießen. Insofern sehe ich die blühende Landschaft, aber sehr wörtlich genommen und nicht in Form einer funktionierenden Wirtschaft mit Arbeitsplätzen.
Es ist nur eine Frage der Sichtweise. Man kann das alles als ganz fürchterlich schlimm darstellen. Ist es vielleicht auch. Ich setze mir aber keinen Heiligenschein auf, betrachte die Lage vielmehr sehr egoistisch. Hier kann man mit Platz satt regelrecht residieren. Wenn man Angst hat, daß in der Nachbarschaft etwas unangenehm Lautes gebaut wird (es wird bestimmt nichts gebaut), kauft man den Fetzen Land drumherum eben. Es kostet nur wenig. Es ist natürlich nur etwas für Leute, die auf Remmi-Demmi, Szene-Kneipen und Nachtleben verzichten mögen, Kindergarten und Schulangebot nicht brauchen und bereit sind, zum Einkaufen viele Kilometer zu fahren. Nebenbei muß man damit leben, daß es bei Elbehochwasser gelinde gesagt sehr feucht werden kann.
Gruß
Wolfgang