Weshalb die tiefe Lebenserwartung im Mittelalter?

Hallo, Wissende

War die relativ tiefe durchschnittliche Lebenserwartung der Europäerinnen und Europäer im Mittelalter eher eine Folge der hohen Kindersterblichkeit oder der Pest?

„… Im Mittelalter betrug die Lebenserwartung der Frauen 24 und jene der Männer 28 Jahre. …“
http://www.kath.ch/nucleus/ludin.php?blogid=3&archiv…

„Im Mittelalter betrug die Lebenserwartung der Menschen ca. 35, am Ende des 19. Jahrhunderts ca. 45 Jahre. …“
http://www.old.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/02-20…

„Im Mittelalter betrug die Lebenserwartung der 20-jährigen vor der ersten Pest (542 – 750) 25 Jahre für Männer und 23 Jahre für Frauen. Danach stieg sie auf 27 Jahre für Männer und 24 Jahre für Frauen. Die Lebenserwartung insgesamt betrug 30 bis 33 Jahre. …“
Ohler, Norbert: Sterben und Tod im Mittelalter, München/Zürich 1990

Gruss
Adam

Gründe:

  1. Mangelhafte Medizinische Versorgung und mangelhafte Hygiene, was vor allem zu einer immensen Säuglingssterblichkeit führte.

  2. Unter- und Fehlernährung, die vor allem die niederen Schichten betraf.

  3. Lokale Nahrungsversorgung nahe dem Subsidenzniveau, was bei einem Ernetausfall zu regelmäßigen Hungersnöten führte. Nahrungsmittel konnten in so einem Fall mangels Infrastruktur nicht von aussen zugeführt werden.

  4. Die direkten Bevölkerungsverluste durch Kriegshandlungen waren eher gering. Die Zerstörungskraft mittelalterlicher Heere war viel geringer als heute bereits mit Konventionellen Mitteln erreicht werden kann.
    Allerdings führte der Krieg dann zu einer großangelegten Humanitären Katastrophe, vor allem durch Ernteausfälle. Somit führten die Mittelalterlichen Kriege nicht zu einem Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Beide Geschlechter waren gleichermaßen vom Tod betroffen.

All das führte zu einer signifikant geringeren Lebenserwartung, wobei die „niederen“ Schichten ein viel höheres Risiko hatten als die meist gut ernährten Mitglieder der Oberschicht.
Der Unterschied bei Frauen und Männern ist auf das hohe Risiko bei Geburten zurückzuführen.

Die Unterschiede in der Darstellung der durchschnittlichen lebenserwartung rühren meist daher, dass einmal die Säuglingssterblichkeit mit eingerechnet wird, zum anderen die Überlebenswahrscheinlichkeit nach dem 1 Lebensjahr genommen wird.

Tatsächlich greift in der Präindustriellen Gesellschaft das Prinzip von Malthus, dass die Bevölkerung durch die zur Verfügung stehenden Resourcen begrenzt werden.

LG
Mike

Hallo, zunächst mal muss man ein wenig Begriffe definieren:
Lebenserwartung wird gerne auch mal für Sterbealter oder auch für Lebensalter genommen, ist aber nicht dasselbe. Ausserdem wird bei solchen „Statistiken“ gerne mal das nicht unbedeutende Wörtchen „durchschnittlich“ vergessen, dieses definiert aber was es mit dem Alter auf sich hat.
Es gibt 2 verschiedenen Arten einen Durchschnitt zu finden, das eine ist der Mittelwert, das andere der Median.
Man nehme 3 Leute, die in folgendem Alter sterben: 1 J., 25 J. u. 60 J.
Median ist 25 (das ist das Alter des mittleren)
Mittelwert ist 86 durch 3= 28 Komma irgendwas

Bei größeren Populationen verteilt es sich natürlich besser.
MAn kann also nicht unbedingt nur aus dem Mittelwert einen guten Grund finden, dazu müsste man noch etwas mehr wissen, woher die Daten stammen:
bei einem Pestmassengrab ist die Todesursache klar, ein Gräberfeld voller Kinder und weniger Erwachsener kann verschiedene Ursachen haben: Schlechte, mangelnde Ernährung, die Kinder eher trifft als Erwachsene; Eine Infektionskrankheit, die ebenfalls eher Kinder betrifft als erwachsene, die evtl schon mal mit dem erreger in kontakt kamen und Immun sind („Kinderkrankheit“), oder gehörte der Friedhof zu einem Kinderheimartigen Kloster oä. Einrichtung, so dass dort eh mehr Kinder lebten.

Insgesamt kann man sagen, dass es eine Vielzahl von Gründen gibt, die Pest kam in Folge von Missernten (diese zeitliche Realtion lässt sich über mehrere Pestzüge verfolgen, auch Ratten hatten Hunger, kamen in die Städte)und traf so auf eine vorgeschwächte Bevölkerung. Rein rechnerisch sieht dann eine durchschnitlliche Bevölkerung ganz anders aus, als im wirklichen Stadtbild. ES gab durchaus alte Leute, deren Alter wird durch die Kindersterblichkeit (viele starben unter 2 Jahren, zum Großen Teil sogar direkt in Folge der Geburt) relativiert. Dazu kommt dass auch die Jungen Frauen oft nach der Geburt sterben konnten, das Risiko war im Mittelalter nicht so hoch wie im 19. Jh durch das Kindbettfieber, aber so allgemeine Komplikationen, die heutzutage zum Kaiserschnitt führen waren zumindest nicht ungefährlich. Alte Frauen wasren daher vermutlich seltener als alte Männer. Männer hatten eher das risiko beim Beruf Verletzungen zu erleiden, da kommt es natürlich auf den Beruf an (Bergmann im Mittelalter war eh nicht gesundheitsförderlich, KAufmann aber auch kein ruhiger Bürojob…)
Allerdings wird sicher kein Mensch von 20 JAhren schon auf seinen Tod in maximal 5 Jahren gelungert haben wie es das letzte Zitat glauben lässt (das dafür aber als einziges ein wenig differenziert und historisch halbwegs korrekt zu arbeiten scheint)
Solang man sich bewußt macht, dass diese Zahlen alle für den Durchschnitt stehen kann man damit sinnvoll jonglieren.
Gruß Susanne

Gründe:

  1. Mangelhafte Medizinische Versorgung und mangelhafte
    Hygiene, was vor allem zu einer immensen
    Säuglingssterblichkeit führte.

Aber nicht nur der Säuglingssterblichkeit. Der Punkt der mit hier fehlt ist Infektionen nach Verwundungen. Denn die Unfallrate war ja auch hoch.

  1. Unter- und Fehlernährung, die vor allem die niederen
    Schichten betraf.

Dieser Punkt zeigt insbesondere die Gefahren des Mittelwertes auf. Denn er griff natürlich in den Städten mit hoher Bevölkerung und niedriger Lebensmittelproduktion stärker als auf dem Land, wo es eher umgekehrt war. Das Problem, dass es sehr stark die niedrigen Schichten betraf war demzufolge natürlich auch in den Städten stärker ausgeprägt.

  1. Lokale Nahrungsversorgung nahe dem Subsidenzniveau, was bei
    einem Ernetausfall zu regelmäßigen Hungersnöten führte.
    Nahrungsmittel konnten in so einem Fall mangels Infrastruktur
    nicht von aussen zugeführt werden.

Das stimmt für viele Gegenden und viele Zeiten. Es stimmt natürlich nicht im Sinne einer globalen Annahme. Ein Grund für den Reichtum der italienischen Seerepubliken des Mittelalters war eben, dass sie genau diese Infrastruktur hatten und Güter aus aller (damals bekannten) Welt trasportierten bzw bei Bedarf auch einführten.

  1. Die direkten Bevölkerungsverluste durch Kriegshandlungen
    waren eher gering. Die Zerstörungskraft mittelalterlicher
    Heere war viel geringer als heute bereits mit Konventionellen
    Mitteln erreicht werden kann.

Sachlich falsch. Ein Massaker wie beispielsweise das bei der Einnahme Jerusalems 1099, bei dem innerhalb von 24 Stunden 80% der Bevölkerung umgebracht wurde, sollte, rein mathematisch, den Durchschnitt verändert haben. Der nette Schachzug Pestleichen über Mauern zu schleudern führte 1346 in Kaffa zu einer Epidemie , die von Flüchtlingen über halb Italien verbreitet wurde. Usw, usw. Da aber die Gesamtbevölkerung nicht so groß war, die Anzahl der äußerst brutal geführten Auseinandersetzungen jedoch viel höher, machten sich Kriegshandlungen mit Sicherheit statistisch bemerkbar.

Allerdings führte der Krieg dann zu einer großangelegten
Humanitären Katastrophe, vor allem durch Ernteausfälle. Somit
führten die Mittelalterlichen Kriege nicht zu einem
Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Beide
Geschlechter waren gleichermaßen vom Tod betroffen.

Was von der mathematischen Seite her die höhere Sterblichkeit von Frauen wegen Kindbettfieber etwas vertuscht.

All das führte zu einer signifikant geringeren
Lebenserwartung, wobei die „niederen“ Schichten ein viel
höheres Risiko hatten als die meist gut ernährten Mitglieder
der Oberschicht.
Der Unterschied bei Frauen und Männern ist auf das hohe Risiko
bei Geburten zurückzuführen.

Die Unterschiede in der Darstellung der durchschnittlichen
lebenserwartung rühren meist daher, dass einmal die
Säuglingssterblichkeit mit eingerechnet wird, zum anderen die
Überlebenswahrscheinlichkeit nach dem 1 Lebensjahr genommen
wird.

Tatsächlich greift in der Präindustriellen Gesellschaft das
Prinzip von Malthus, dass die Bevölkerung durch die zur
Verfügung stehenden Resourcen begrenzt werden.

Was die Sache grob vereinfacht, da die Menge der zur Verfügung stehenden Ressourcen wiederum durch die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte begrenzt wurden. Es ergibt sich also wiederum ein sich ausbalancierendes Kreislaufmodell. Nur wurde der Zustand des Ausbalancierens im Mittelalter nicht erreicht weil nämlich schon wieder der nächste Krieg stattfand, die nächste Pest von außerhalb eingeschleppt wurde, umgekehrt aber auch immer neue Erfindungen und Entdeckungen zum Produktionsanstieg führten. Insofern: Malthus trifft es dann doch nicht, auch wenn er gerne angeführt wird.

Gruß
Peter B.

hohe Kindersterblichkeit
Hallo Adam,

bei solchen Zahlen darfst du nicht vergessen, dass die statistische Lebenserwartung, wenn nichts weiter dabei steht, für Neugeborene gilt. Und zwar damals wie heute.

Nur war im Mittelalter die Kindersterblichkeit sehr viel höher als heute. Das ist ja auch schnell passiert - Durchfall, hohes Fieber, ein gebrochenes Bein, ein vereiterter Zahn, und schon gab es wieder einen kleinen Mittelalter-Bewohner weniger. So trivial sind solche Erkrankungen gar nicht, wenn es keine ausreichende medizinische Versorgung gibt.

Schöne Grüße

Petra

Hi,
richtige statistische Zahlen gibt es aus der Zeit eher nicht.
Die früheste Sterbetafel des Statistischen Bundesamt die ich kenne sind aus dem Jahr 1871. Das ist zwar nicht Mittelalter aber noch weit genug weg von Antibiotika, dass sie einen Überblick geben können wie solche Zahlen zustande kommen.

(in Klammern die Zahlen aus dem Jahr 2004 zum Vergleich)
Ein Neugeborener hatte damals die durchschnittliche Lebenserwartung von
35.6 (75.9) Jahren. Hatte das Baby das erste Lebensjahr überstanden, lag die Lebenserwartung schon bei 42.5 (76.2) Jahren. Ist es 5 Jahre alt geworden, so war die Lebenserwartung bei 54.5 (76.3) Jahren.

Ganz interessant finde ich folgendes:
1871 sind von 100000 Lebendgeburten ganze 31000 60 Jahre alt geworden.
2004 haben von 100000 Lebendgeburten immerhin 88000 dieses Alter erreicht.

Soviel die Statistik zum Thema Rentenversicherung :smile:

Gruss
Joey

Ich danke für die interessanten Beiträge

Ich danke für die interessanten Beiträge.

Gruss
Adam