Westdeutsche Gewerkschaften und die DDR

Servus!

Ich hoffe, ihr könnt helfen, eine Streitfrage zu klären, die letztens an unserem Wirtshaustisch entbrannt ist:

Inwiefern spielte die DDR bei den westdeutschen Tarifrunden, insbesondere in den 70ern, eine Rolle?

Hintergrund: Die an unserem Tisch versammelten Linken zitierten Gewerkschafter, die sich dergestalt äußerten, dass die DDR besonders in den 70ern immer als „stiller dritter Verhandlungspartner“ mit am Tisch gesessen wäre, wenn westdeutsche Arbeitgeber und Gewerkschaften neue Tarife aushandelten.
Honecker konnte ja in den 70ern durchaus einige wirtschaftliche Erfolge verbuchen, und die westdeutschen Arbeitnehmer(vertreter) hätten also immer ganz neidisch nach drüben geschielt, weil´s dort die Arbeiter viel besser hatten als im Westen. Die Arbeitnehmer hätten „DDR-Verhältnisse“ in der BRD gefürchtet und wären mit dem Argument der Arbeitnehmer („drüben geht´s doch auch!“) quasi erpressbar gewesen, was sich in den hohen Tarifabschlüssen der 70er auch geäußert hätte.

Ich ging bisher davon aus, daß damals den westdeutschen Arbeitnehmern zwar der kalte Neid in den Augen stand, wenn sie die DDR-Arbeitnehmerrechte sahen, daß sie aber auch sahen, daß die DDR wirtschaftlich hinter dem Westen hinterher hechelte (sie versuchte ja zeitlebens, den Westen zu „überholen ohne einzuholen“, wie´s Ulbricht so schön formulierte) und daß deshalb insgesamt das Arbeitnehmersystem der DDR für die BRD-Gewerkschaftler kein Vorbild darstellte. Welcher westdeutsche Arbeitnehmer hätte mehr als 10 Jahre auf seinen Kleinwagen gewartet, der dann auch noch technisch hoffnungslos veraltet gewesen wäre?

Wie seht ihr das?

VG
Christian

Hallo,

aicher wollte keiner damals wirklich DDR-Verhältnisse.
Aber ein gewisser Druck war schon da, gerade auf tarifrechtlichem Gebiet. Immerhin gab es ja zudieser Zeit auch in der DDR Verbesserungen. Die bezahlte freistellung bei krankheit der Kinder, die Erhöhung des Mindesturlaubes, der monatliche freie bezahlte Hausarbeitstag für Frauen, die Regelungen zum Mütter- und Jugendschutz, der praktisch totale Kündigungsschutz, die regelungen über Überstunden und deren Bezahlung - das hatte schon indirekt auch Nachwirkungen in den westdeutschen Tarifverhandlungen.
Und ehrlich geasgt - wenn ich mir die Lage heute in so mancher kleinen Klitsche ansehe, die oft nicht mal dem Arbeitgeberverband angehört und mit den Zuständen damals vergleiche - also wundern tut es mich da überhaupt nicht, wenn Frauen Kinder heutzutage mehr als Berufsrisiko begreifen denn als Gewinn für die Familie.

Gernot Geyer

Hallo Christian,

in den späten 1960er und in den 1970er Jahren wurden viele
„Westliche“ Markenwaren in der DDR produziert…
Da in der DDR natürlich im Vergleich zum Westen „paradiesische“
Lohnzustände herrschten,war schon damals das „Druckmittel“
„Verlagerung der Produktion“ en Vogue…

mfg

Frank

hi frank,

kannst du mir ein paar nennen?

das regt mein interesse, weil ich das öfter gehört habe,
dies aber nie belegt worden ist.

cu
alex

Nun wenn ich damals aus dem Westen den Quelle-Katalog bekommen hatte, waren fast alle kleinelektrischen Haushaltsgeräte (Mixer, Staubsauger, Grill usw.) aus der DDR und die sahen sogar so aus wie bei uns, nur ne andere Plastfarbe (bei uns war damals die orange Periode…). Ein Arbeitskollege von mir hat früher im Plastwerk gearbeitet, die haben fast ausschließlich Brillengestelle für die BRD hergestellt.
Grüsse
Hindu

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Hallo,

Textilwaren wurden in Größenordnungen für Quelle, Karstadt u.a. produziert z.B. in den Apoldaer Textilbetrieben. Die westdeutsc hen Kaufhausketten lieferten dabei die Etiketten, das lief also nicht unter dem wahren Herstellernamen - der stand beim Enderzeugnis niergendwo, sogar die Kartons, in die die Dinger eingepackt wurden, wurden mit Packzetteln ohne Herstellerangabe beschriftet.
Der berechnete Preis lag bei Strickpullovern um die 10 - 20 DM/Stück, je nach Produkt.

Allerdings darf man den Gesamtumfang dieser Lieferungen auch nicht überschätzen, so wie das gerüchteweise zum Teil geschieht. Immerhin führte die fast sofortige Prosuktionseinstellung 1990/91 im Osten ja nicht zu nennenswerten Sortimentslücken bei Quelle und auch nicht dazu, daß dort Artikel in Größemordnungen plötzlich nicht mehr lieferbar gewesen wären. Im Gegenteil - die Westbetriebe konnten ja praktisch nach der Waährungsunion spielend mit ihren Produktionsreservenm die ehemalige DDR flächendeckend mit versorgen.

Gernot Geyer

Hallo,

Fahrräder wurden hier in Neukirch für Quelle hergestellt, hab selber da so um 1987 die Shimano Schaltungen etc. bestaunen dürfen. Die bauen auch noch heute fast alle Räder die du bei Quelle/Neckermann kaufen kannst. Und das was Gernot gesagt hat kann ich nur bestätigen, die Gegend hier war zu DDR Zeiten ein sehr starker Textilstandort und da wurde zum Grossteil für den Westen produziert.
Kleine Geschichte am Rande, meine Eltern haben 1985 einen neuen Elektroherd gekauft. Der DDR Herstellername AKA stand komischerweise nur auf einem Aufkleber, darunter fand ich den Schriftzug „Privileg“ - also Quelle.

Gruss Jan

Hallo,

in den späten 1960er und in den 1970er Jahren wurden viele
„Westliche“ Markenwaren in der DDR produziert…

Produktion für den Westen ja. Westliche Markenware nein. ‚Made in Germany‘ hat die DDR nie draufgeschrieben.

Da in der DDR natürlich im Vergleich zum Westen
„paradiesische“
Lohnzustände herrschten,war schon damals das „Druckmittel“
„Verlagerung der Produktion“ en Vogue…

Wobei man berücksichtigen muß, daß die Produktion in der DDR nicht immer kostendeckend war - Hauptsache, Devisen!

Gruß
Axel

hi ilja,

wir haben ei uralt billy-regal von ikea, dass in der damaligen ddr für die schweden bzw. die westdeutschen produziert wurde.

beste grüße,

barbara

Re^3: Ahh unser Forentroll…:smile:)

Hallo mein Lieber,

zum Bleistift kamen WRANGLER und LEVIS-Jeans lange Zeit aus der DDR.
Die Wurden dort bis auf die Etiketten gefertigt…die „Markennamen“ wurden dann in Ostwestfalen in einem Betrieb drangenäht und dort wurden
die dann auch mit „Markenkartons“ versandt…

Telefunken ließ bei RFT in der DDR Plattenspieler und Radios fertigen.

Seppelfricke ließ in Thüringen Kohleherde bauen…die kamen dann per
VEB Kraftverkehr zu einem Zentrallager hier in Wanne-Eickel und wurden
da nur noch mit den „Markennamen“ versehen (Größtenteils unter
„Privileg“ für Quelle).

mfg

Servus Gernot!

Vielen Dank erstmal für Deine Antwort - sie hat zumindest einen Teil meiner Frage beantwortet bzw. einen Teil der Aussagen meines Postings bestätigt.
Was noch offen bleibt: Du bestätigst zwar eine indirekte Rolle - per Vorbildfunktion - und einen „gewissen Druck“. Aber wurde die DDR damals auch als Konkurrenz begriffen, wenigstens von Arbeitgebern (für Gewerkschafter - hier wieder die linken - dürfte das eher in Richtung Vorbild gegangen sein)?
Und - zweitens - wie sahen das die Arbeiter am Band?

VG
Christian

aicher wollte keiner damals wirklich DDR-Verhältnisse.
Aber ein gewisser Druck war schon da, gerade auf
tarifrechtlichem Gebiet. Immerhin gab es ja zudieser Zeit auch
in der DDR Verbesserungen. Die bezahlte freistellung bei
krankheit der Kinder, die Erhöhung des Mindesturlaubes, der
monatliche freie bezahlte Hausarbeitstag für Frauen, die
Regelungen zum Mütter- und Jugendschutz, der praktisch totale
Kündigungsschutz, die regelungen über Überstunden und deren
Bezahlung - das hatte schon indirekt auch Nachwirkungen in den
westdeutschen Tarifverhandlungen.
Und ehrlich geasgt - wenn ich mir die Lage heute in so mancher
kleinen Klitsche ansehe, die oft nicht mal dem
Arbeitgeberverband angehört und mit den Zuständen damals
vergleiche - also wundern tut es mich da überhaupt nicht, wenn
Frauen Kinder heutzutage mehr als Berufsrisiko begreifen denn
als Gewinn für die Familie.

Gernot Geyer

Servus Frank,

ich meinte mit Konkurrenz nicht die industrielle Funktion, sondern eher die ideologische/tarifrechtliche.
Die Konkurrenz, die du ansprichst, wurde ja von beiden Seiten schamhaft verschwiegen…

VG
Christian

Re^3: Ahh unser Forentroll…:smile:)#

Wieder mal der nicht lesen könnende Frank M…

Hallo,

wie Du vielleicht im zweiten Versuch in meinem Post lesen kannst, habe ich dort geschrieben, daß keine Ware ‚Made in Germany‘ dort hergestellt wurde. Daß Billigware auch unter Markennamen verkauft wurde und wird ist doch nun wirklich allgemein bekannt. Oder glaubst Du allen Ernstes, daß alles, das den Namen Siemens, Grundig, oder Levis trägt, in Westdeutschland hergestellt wurde?
Ich habe damals bei den Schneider Rundfunkwerken gearbeitet und weiß, wie das gehandhabt wurde. Nur ‚Made in Germany‘ darf man eben nicht draufschreiben, wenn nur das Etikett in Deutschland eingenäht wurde. Wobei das nebenbei auch nicht funktionieren würde, bei einer Jeans wird das Etikett in aller Regel in einer Naht mit eingenäht.

Markenware ist für mich allerdings keine Ware, die nur unter einem Markennamen verkauft wird. Vielleicht hast Du das falsch verstanden.

Gruß
Axel