Wettrüsten im Kalten Krieg

Hallo!

Ich hätte ein paar Fragen zum Wettrüsten im Kalten Krieg. Vielleicht weiß ja jemand bescheid.

  1. Ab wann verfügten die USA und die UdSSR jeweils über das Waffenarsenal um den Gegner komplett zu zerstören?

  2. Ab wann verfügten die beiden Supermächte jeweils über folgende Waffengattungen? (Ich meine nicht, wann die Systeme entwickelt wurden, sondern ab wann sie in ausreichender Form einsatzbereit waren)

  • Langstreckenbomber mit Atomwaffen
  • Mittelstreckenraketen
  • Marschflugkörper
  • ICBMs
  • U-Boot gestützte nuklear bestückte Raketen
  1. Verfügte eine der beiden Supermächte jemals über die Fähigkeit zu einem Erstschlag? (Also konkret: Hätte eine der beiden Supermächte die andere komplett ausschalten können, ohne selbst vollständig vernichtet zu werden?)

  2. Wie lange war die Vorwarnzeit der beiden Supermächte? (Also die Zeit, die sie benötigt hätten, um im Falle eines konventionellen oder nuklearen Angriffs durch den Gegner mit Atomwaffen zurück zu schlagen). Wie entwickelte sich diese Vorwarnzeit von 1949 bis 1989?

  3. Welchen strategischen Vorteil hatten Mittelstreckeraketen? Ich nehme an, dass 1962 (Kuba-Krise) noch darum ging, dass diese erheblich schneller einsatzbereit waren als die Langstreckenbomber. Aber Anfang der 80er-Jahre wären doch die Internkontinentalraketen schnell genug gewesen? Warum also der Nato-Doppelbschluss?

Ich habe ein bisschen durch die Wikipedia gestöbert. Allerdings waren die Antworten auf meine Fragen eher vage. Wäre toll, wenn dazu jemand handfesteres beisteuern könnte. Auch links oder Literaturhinweise wären echt willkommen (wobei ich alles andere als ein Militärfachmann bin).

Gruß, Michael

Hallo Michael,

Ich hätte ein paar Fragen zum Wettrüsten im Kalten Krieg.

Auch links oder Literaturhinweise wären echt willkommen

Diese Seite sieht doch schon ganz interessant aus:
http://www.atomwaffena-z.info
Klar wird da nicht alles auf dem Silbertablett serviert, aber z.B. diese Graphik gibt schon mal Auskunft über die Anzahl der Interkontinentalraketen:
http://www.atomwaffena-z.info/fileadmin/user_upload/…
Seit 1968 gibt es auch das SIPRI Yearbook, herausgegeben vom Stockholm International Peace Research Institute
http://www.sipri.org/yearbook
in dem zahlreiche Infos über militärische Konflikte, Rüstungskontrolle usw. veröffentlicht werden.
Ähnlich auch die Zeitschrift „The Military Balance“
http://rzblx1.uni-regensburg.de/ezeit/detail.phtml?b…
Interessante Bücher zum Thema sind z.B.:
Arms control handbook. A guide to the history; arsenals and issues of U.S.-Soviet negotiations. Hrsg. Weinrod, W. B., Washington, D.C.: Heritage Foundation 1987, ISBN 0-89195-221-7 Buch anschauen
Rüstung und Abrüstung im Atomzeitalter. Hrsg. vom schon erwähnten
Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Reinbek: Rowohlt 1977, ISBN 3-499-14186-8 Buch anschauen

Viele Grüße
Marvin

Hallo,

ich bin leider kein Experte zum Thema Kalter Krieg, aber ich hab bezüglich Nr. 3 mal was gehört.

  1. Verfügte eine der beiden Supermächte jemals über die
    Fähigkeit zu einem Erstschlag? (Also konkret: Hätte eine der
    beiden Supermächte die andere komplett ausschalten können,
    ohne selbst vollständig vernichtet zu werden?)

In dem Buch „Essence of Decision: Explaining the Cuban Missile Crisis“ von Graham Allison und Philip Zelikow steht etwas darüber:

Eine Erklärung für die Stationierung der sowjetischen Raketen auf Kuba war die geringe Anzahl sowjetischer Raketen, die das US-amerikanische Festland erreichen konnten. Auf den Seiten 92f (ich verwendete die 2. Ausgabe von 1999) steht etwas von 20 Interkontinentalraketen im Jahre 1962, deren technische Zuverlässigkeit zudem fraglich war. Die U-Boot-Flotte und Langstreckenbomber wären laut diesem Buch auch großen Hindernissen ausgesetzt gewesen, da sie weit von den USA entfernt stationiert waren und bei der Annäherung an ebenjene abgefangen/zerstört werden konnten.

Die USA hingegen hatten zur gleichen Zeit 180 ICBM, 12 Polaris U-Boote und 630 Langstreckenbomber, die z.T. in Europa und Asien stationiert waren und die UdSSR damit leicht erreichen hätten können.

Angesichts dieser Zahlen ist es zwar nicht auszuschließen, dass die UdSSR einen Zweitschlag hätten ausführen können. Die USA hätten in einem Erstschlag aber ziemlich schlechte Umstände dafür geschaffen. Meiner Ansicht nach -und lediglich auf Basis dieser zwei Seiten- wären die USA damals imstande gewesen, die UdSSR so zuzurichten, dass die Vereinigten Staaten trotz Vergeltungsmaßnahmen überlebt und „gesiegt“ hätten.

Im Endeffekt waren beide Seiten schlau genug, sich nicht auf derlei Unsinn einzulassen.

Beste Grüße,

DaBenn

Danke + * (owt)
*

Vielen Dank!

Der Link war sehr hilfreich.

Michael

U-Boote
Hallo Michael,

  1. Verfügte eine der beiden Supermächte jemals über die
    Fähigkeit zu einem Erstschlag? (Also konkret: Hätte eine der
    beiden Supermächte die andere komplett ausschalten können,
    ohne selbst vollständig vernichtet zu werden?)

Gerade die U-Boot gestützten Raketen waren das nachhaltigste Abschreckungsinstrument. Das funktioniert so: Mehrere Funkstationen sendeten dauernd ein Funksignal mit dem Inhalt „Es ist kein Krieg.“
Die U-Boote, die unter Wasser jeden Atomschlag überlebt hätten, gingen von Zeit zu Zeit auf Empfang. Sobald das entsprechende Signal nicht mehr empfangen wurde (und weitere Bedingungen erfüllt waren), schossen sie ihren Raketen ab.
Damit war sicher gestellt, dass es einen Zweitschlag geben würde. Ein „Sieg“ war unmöglich.

Gruß
Andreas

Hallo nochmal,

  1. Welchen strategischen Vorteil hatten Mittelstreckeraketen?
    Ich nehme an, dass 1962 (Kuba-Krise) noch darum ging, dass
    diese erheblich schneller einsatzbereit waren als die
    Langstreckenbomber. Aber Anfang der 80er-Jahre wären doch die
    Internkontinentalraketen schnell genug gewesen? Warum also der
    Nato-Doppelbschluss?

Eine Strategie der UdSSR war die Trennung der Nato in Europäer und Amerikaner. Ein atomarer Angriff mit Kurz- und Mittelstreckenwaffen auf Europa hätte in den USA eine Diskussion in Gang setzen können, ob man sein Land für Europa opfern sollte (ähnlich der deutschen Propaganda auf die französische Armee 1939/30: „Willst Du für Danzig sterben?“).
Denn ein Angriff der amerikanischen Langstreckenwaffen auf die SU musste unweigerlich zum Gegenschlag auf die USA führen. Das war bis zur Nachrüstung aber die einzige Gegenschlagsoption. Mit der Aufstellung der sowjetischen SS20 war die Gefahr real, dass die USA von einem europäischen Krieg nicht betroffen hätten sein können.

Jaja, diese Phase des Kalten Kriegs lebte vom Konjunktiv.

Gruß
Andreas

Hallo,

Schmunzel…schon mal was von Längstwellen-Sendern gehört ???..:smile:

Die Strategischen Untersee-Boote mit Nuklear-Bewaffnung waren und sind auch heutzutage immer noch ein Bedrohungsfaktor 1.Ordnung.

Im Falle eines Falles würden diese über die Längstwellen-Sender ein
gutes altes Telegramm erhalten…das dauert zwar…ist aber absolut sicher,weil nämlich nur Code-Gruppen übertragen werden.
Diese werden dann vom Computer entschlüsselt und mit den hinterlegten Daten verglichen.Stimmen sie überein,werden der Kommandant und der
Waffenoffizier aufgefordert,die Abschußfreigabe zu erteilen.

Da die Untersee-Boote rein passiv empfangen,ist diese Art der Kommunikation ein hervoragender Schutz für ihren Standort.
Das U-Boot verät seinen Standort nämlich erst beim Abschuß der Raketen,aber dann ist es ohnehin zu spät…

1 Like

Hallo Michael,

der NATO-Doppelbeschluss war offiziell eine Reaktion auf die Stationierung der SS-20 in Osteuropa. Die SS-20 ersetzten die veralteten Raketenmodelle SS-4 und SS-5, die im Gegensatz zu den sofort einsatzbereiten amerikanischen Feststoffraketen eine gewisse Vorlaufzeit brauchten. Die SS-20 konnten zudem auch Ziele in Großbritannien erreichen, die für die älteren Typen außer Reichweite lagen. Außerdem konnten sie mit Mehrfachsprengköpfen ausgestattet werden und waren auch wesentlich zielgenauer.

Die Nato-Strategen sahen jetzt die Gefahr, dass die UDSSR im Kriegsfall die Kommandozentralen und festlandgestützten Atomwaffenbasen in Westeuropa präventiv zerstören könnte. Auch wenn Rüstungsexperten in der Stationierung der SS-20 keine vollkommen neuartige Bedrohungsqualität erkennen konnten, weil sie die Zweitschlagsfähigkeit der NATO nicht ernsthaft gefährdet sahen, da die SS-20 Raketen vor allem die auf U-Booten stationierten amerikanischen, britischen und französischen Raketen niemals hätten komplett ausschalten können, sah sich die Nato zum Handeln veranlasst. „Das Doppelangebot von Verhandlungen und angedrohter Aufrüstung sollte aus Sicht der europäischen NATO-Partner auch die USA zwingen, über diese Waffengattung zu verhandeln und einen Interessengegensatz zwischen USA und Westeuropäern in der NATO vermeiden.“ (Quelle Wikipedia)

In den USA selbst freilich spielten auch andere Überlegungen eine Rolle. Schon unter der Carter Administration rückte man zunehmend von der Doktrin des „Gleichgewichts des Schreckens“ ab, sondern wollte einen Atomkrieg führbar und auch gewinnbar machen. Die Stationierung der SS-20 bot jetzt eine für manche US-Militärstrategen willkommene Gelegenheit, in dieser Hinsicht einen Schritt voranzukommen.
Denn während das Einsatzgebiet der SS-20 auf Europa begrenzt war, konnten die sehr zielgenauen Pershing-II-Raketen von Europa aus direkt sowjetisches Gebiet bis Moskau erreichen. Die Vorwarnzeit für einen atomaren Erstschlag verkürzte sich durch die Pershings aufgrund der kurzen Entfernung und ihrer hohen Geschwindigkeit von ca. 30 min. auf nur 8 min.