Wie 'denken' Taub-Stumme ?

Hallo !
Ich hoffe, das dieses Board richtig ist.
Wenn unsereins alleine ist, dann denkt man ja so vor sich hin, unterhält sich mit sich selbst oder grübelt darüber nach, was man als nächstes tun kann. Alles natürlich in der gelernten Muttersprache.
Nun frage ich mich aber, wie jemand „denkt“ wenn er noch nie eine Sprache gehört hat, also von Geburt aus an Taub-Stumm ist ? (Also das Stumm entwickelt sich ja in der Regel aus dem Taub, schon klar)
Entwickelt dieser eine eigene Sprache?
Ist diese Frage überhaupt aufklärbar ?

Vielleicht weiß das ja jemand
Gruß
Andreas

Hallo Andreas,

als Schwester einer Gehörlosen zunächst einmal die Anmerkung, dass Gehörlose den Ausdruck „Taubstumm“ überhaupt nicht gerne „hören“ und als Beleidigung auffassen. Sie sind ja nur taub, und „Taubstumm“ hat für sie den Nebenklang „Blöd“. Das kann man als Hörender vielleicht nicht so nachvollziehen, vielleicht gilt es auch nicht allgemein, aber bei meiner Schwester und in ihrem gehörlosen Bekanntenkreis ist es jedenfalls so.

Gehörlose verständigen sich mit der Gebärdensprache und denken folglich auch in dieser. Diese Sprache hat sich selbständig entwickelt und existiert in verschiedenen Dialekten. Gehörlose aus verschiedenen Ländern können sich problemlos verständigen, auch wenn es da kleine Unterschiede gibt.

Als meine Schwester ein Kind war (so in den 60er, 70er Jahren), war man von Pädagogenseite her bemüht, den gehörlosen Kindern die Gebärdensprache abzugewöhnen bzw. zu verbieten. Sie sollten die Lautsprache, die sie ja in der Schule mühsam lernten, aktiv anwenden und üben, um darin versierter zu werden.
(Davon ist man heute - zum Glück, wie ich finde - abgekommen, und ermutigt sogar die Eltern, Gebärdensprache zu lernen, um mit dem Kind kommunizieren zu können.)
Trotz dieses Verbots lernten alle die Gebärdensprache, was doch zeigt, welche Eigendynamik in dieser Sprache steckt.

Aber auch bevor meine Schwester in der Schule war und überhaupt die Gebärdensprache gelernt hat, gab es schon eine Art Sprache zwischen ihr und mir. Ich kann mich nur dunkel erinnern (bin jünger als sie), aber ich weiß, dass wir uns irgendwie verständigen konnten. Fazit also, es gab immer eine Form von Sprache, und in dieser denken sie natürlich auch.

Gruß,
Klio

Danke
Hallo Klio !

Dann entschuldige ich mich zunächst für mein Unwissen und meine Beleidigung. Ich kam nur als Kind einmal mit einem Gehörlosen in Kontakt und dort hieß es immer er wäre „Taub-Stumm“, das hat sich halt bei mir „festgefressen“. Ich werde es (ab jetzt) nicht mehr benutzen :smile:

Das sich gehörlose ausdrücken können, habe ich schon damals bemerkt. Ich wusste immer, was der gehörlose von mir wollte. An Mimik und Geste kann man schon viel erkennen.
Die Gebärdensprache finde ich persönlich auch eine gute Sache.
Eine frühere Bekannte von mir hatte auch einen gehörlosen Vater und deswegen konnten alle in der Familie diese Gebärdensprache. Das war immer recht „lustig“, wenn sie sich in der lauten Disco über mehrere Meter mit ihrer Schwester verständigen, bzw. Unterhalten konnte.

Aber zurück zu meiner Frage. Das sie in Gebärdensprache denken ist interessant. Kann ich mir irgendwie gar nicht wirklich vorstellen, aber logisch ist es schon.
Ich danke dir für deine Aufklärung.
Gruß
Andreas

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Hallo Klio !

Dann entschuldige ich mich zunächst für mein Unwissen und
meine Beleidigung. I

Hallo Andreas,
da gibt es nichts zu entschuldigen. Ich persönlich habe das nicht als Beleidigung gesehen. Wollte da nur vor einem Fettnäpfchen warnen …

Klio

Hallo Klio,

ich habe noch mal eine Verständnisfrage.

Wird ein Unterschied bei der Definition „Gehörlos“ gemacht ob jemand noch Resthörvermögen hat?
Für mich bedeutete der Begriff „taubstumm“ dass derjenige gar nichts mehr hört und demzufolge auch nicht sprechen kann.
Ein „normal Gehörloser“ hat noch Resthörvermögen und kann sich entsprechend mit mehr oder weniger ausgeprägter Sprache artikulieren.

So genau habe ich mich mit der Thematik noch nicht auseinandergesetzt, bitte entschuldige also wenn ich jetzt Stuss daherschreibe :wink:

Gruß
Miriam

Hallo Miriam,

Wird ein Unterschied bei der Definition „Gehörlos“ gemacht ob
jemand noch Resthörvermögen hat?
Für mich bedeutete der Begriff „taubstumm“ dass derjenige gar
nichts mehr hört und demzufolge auch nicht sprechen kann.
Ein „normal Gehörloser“ hat noch Resthörvermögen und kann sich
entsprechend mit mehr oder weniger ausgeprägter Sprache
artikulieren.

Sehr viele Gehörlose haben noch Resthörvermögen und können sich trotzdem nicht normal artikulieren. Meine Schwester hört z.B. einen Hund bellen, aber normale Sprache z.B. hört sie nicht.
So viel ich weiß, gibt es in der frühen Kindheit ein Zeitfenster, in dem es möglich ist, Sprachverstehen zu lernen. Wenn die Reize ausbleiben, bilden sich die entsprechenden Synapsen nicht aus.

Alle Gehörlosen lernen in der Schule unsere Lautsprache (mehr oder weniger gut), und das ist für alle, auch die mit Resthörvermögen, nicht einfach. Allerdings hilft das Resthörvermögen schon etwas, die eigene Sprache zu kontrollieren.

Deutlicher ist die Abgrenzung zu den (von den Gehörlosen so genannten) „Schwerhörigen“. Sie hören zwar zu wenig, um in eine normale Schule gehen zu können, aber offenbar genug, dass sie die Sprache lernen konnten. Ich kenne einige - man kann sich fast normal mit ihnen unterhalten (sogar telefonieren), und mit den „richtigen“ Gehörlosen kommunizieren sie per Gebärdensprache.

Klio

Hallo Miriam,

Für mich bedeutete der Begriff „taubstumm“ dass derjenige gar
nichts mehr hört und demzufolge auch nicht sprechen kann.

auch ein völlig Gehörloser, der als solcher geboren wurde, kann sprechen. Es ist zwar ein sehr mühsamer Prozess und ein Entgegenkommen des Gehörlosen an die Hörenden, aber er ist möglich.
Ich wurde für unsere Hochschule als Gehörlosentutor ausgebildet und habe in den Kursen viele Gehörlose kennengelernt. Die meisten konnten sprechen.

Ein „normal Gehörloser“ hat noch Resthörvermögen und kann sich
entsprechend mit mehr oder weniger ausgeprägter Sprache
artikulieren.

Ab einer gewissen Schwere der Schwerhörgkeit ist ein Spracherwerb auf ‚natürlichem‘ Weg nicht mehr möglich.

Da muß ein spezialisierter Pädagoge ran.

Gandalf

Entgegenkommen

Hallo,

Es ist zwar ein (…)
Entgegenkommen des Gehörlosen an die Hörenden, aber er ist
möglich.

Merkwürdige Formulierung. Lernt ein Gehörloser Sprechen, um den Hörenden damit einen Gefallen zu tun? Ich könnte mir eher vorstellen, dass es auch für einen Gehörlosen in verschiedenen Situationen praktischer ist, sprechen zu können.

Oder willst Du mit der Formulierung auf den Missstand aufmerksam machen, dass es fast keine Hörenden gibt, die die Gebärdensprache auch nur ansatzweise beherrschen? (Das allerdings hat mich schon öfter gewundert, denn das liesse sich sicher recht spielerisch in der Schule so nebenbei einbringen und würde vermutlich sogar nebenbei zum Verständnis von Sprachstrukturen beitragen.)

Mit vielen Grüssen, Walkuerax

Hallo Walkuerax,

Lernt ein Gehörloser Sprechen, um
den Hörenden damit einen Gefallen zu tun?

das wurde mir von mehreren Gehörlosen so gesagt.

Ich könnte mir eher
vorstellen, dass es auch für einen Gehörlosen in verschiedenen
Situationen praktischer ist, sprechen zu können.

Das stimmt schon, aber es geht so in die Richtung, daß viele Hörende sich so verhalten wie deutsche Touristen in Spanien oder den Niederlanden - man spricht eben (Deutsch).

willst Du mit der Formulierung auf den Missstand
aufmerksam machen, dass es fast keine Hörenden gibt, die die
Gebärdensprache auch nur ansatzweise beherrschen?

Nicht ich, sondern die Gehörlosen .
Aber vielleicht ändert sich das in Zukunft von alleine, wenn die Walkmänner und -frauen mit ihrer Schwerhörigkeit auf Gebärde angewiesen sind :wink:

(Das
allerdings hat mich schon öfter gewundert, denn das liesse
sich sicher recht spielerisch in der Schule so nebenbei
einbringen und würde vermutlich sogar nebenbei zum Verständnis
von Sprachstrukturen beitragen.)

Schöne Idee. Übrigens ist Gebärde mittlerweile als eigenständige Sprache anerkannt.

Gandalf

Danke für eure Antworten owT
.