Wie erklärt sich das Verhalten von Mitschülern?

Hallo zusammen,
vielleicht kennt ihr so eine Situation:

Auf dem Schulgelände geraten zwei Jugendliche in Streit und fangen an sich lautstark zu provozieren bevor sie sich voneinander wegschubsen und sich dann Kopf an Kopf gegenüberstehen.
Die Hälfte der Klasse kommt angelaufen, stellt sich um die Schüler herum, manche feuern sofort an und rufen „Los, prügelt euch!“, manche holen eine Handykamera heraus, andere sehen stumm zu als bei den Streithähnen die Fäuste anfangen zu fliegen :boxing_glove:.

Als die aufsichtsführende Pädagogin davon Wind bekommt und auf den Schülertrupp zugeht mit lauter Ermahnung „AUFHÖREN!“, versuchen die Mitschüler den Kreis um den Kampf enger zu bilden, bevor es die Lehrerin schafft, die Umherstehenden beiseite tu schieben um die Prügelei rigoros zu beenden.

Woran liegt es, dass Schüler/innen in so einer Situation so reagieren und

  1. die Gewalt ihrer Mitschüler nicht selbst beenden,
    2., versuchen die Aufsicht davon abzuhalten/hinauszuzögern einzugreifen,
  2. die beteiligten Schüler nicht rechtzeitig davor warnen, dass die Aufsicht dazukommt?

Und wie sollten Pädagogen darauf reagieren?

  1. die Schüler, die bewusst sticheln/filmen, bestrafen?
  2. im Unterricht das Thema Zivilcourage im Nachgang an den Vorfall durchnehmen?
  3. als Priorität die betroffenen Schüler trennen und die umherstehenden Schüler einfach wegschicken und nichts weiter wegen der Mitschüler unternehmen?

Vielleicht wart ihr selbst mal in so einer Situation oder kennt sie noch aus Schultagen.

Gruß, R.

Hallo

Ich glaube kaum, dass nur Schüler so reagieren. Ich vermute, dass genau auf diese Weise der Boxsport entstanden ist, und da gucken ja bis heute noch eine Menge Leute gerne zu, und das sind ja nicht nur Schüler, die da zugucken.

Wenn die von vornherein rufen, die sollen sich prügeln, kann man annehmen, dass die Umstehenden einfach einen Boxkampf sehen wollen. - Möglich ist natürlich auch, dass sie wissen, was das Thema der Auseinandersetzungen ist, und dass sie Partei ergriffen haben; wenn, dann vermutlich mit demjenigen, den sie für stärker halten, denn es wäre ja dumm, einen Kampf zu unterstützen, bei dem man vermutet, die eigene Partei verliert.

Diese Aufsicht scheint wenig Autorität zu besitzen, sonst hätten sie wohl gewarnt, auf jeden Fall hätten sie nicht versucht, die Aufsicht davon abzuhalten einzugreifen.

Um Gottes Willen, das wäre ja schwarze Pädagogik.

Man könnte das Thema besprechen, es hätte aber wenig Sinn, wenn da von vornherein feststünde, die umstehenden Schüler hätten keine Zivilcourage gehabt (was ich bei der beschriebenen Situation in keiner Weise als Grund annehme für deren Verhalten; also, ich meine, wenn ich einen Boxkampf sehen will, dann verhindere ich ihn doch nicht, das hat doch mit Zivilcourage nichts zu tun). Der Lehrer muss verstehen, was die Schüler dazu bewegt. Eine sinnvolle Stunde könnte sein, die Schüler ergebnisoffen erzählen zu lassen, was sie sich denken. Deren Äußerungen in eigene Worte fassen und den Schülern zurückgeben. - Jedenfalls ist es zwingend notwendig zu wissen, was die Schüler antreibt, und sie auch zu respektieren, wenn man irgendwas bei denen erreichen will.

Dann - nach dem Unterricht - könnte der Lehrer selber darüber nachdenken, auch über die eigenen Werte, und wie die zu denen der Schüler passen. Und vielleicht nächste Woche nochmal eine halbe Stunde mit der Klasse darüber reden.

Letzen Endes kann der Lehrer das Ergebnis der Diskussion auch völlig offen lassen. Selbst wenn ihn die Schüler davon überzeugen würden, dass es eine prima Sache ist, Boxkämpfe auf dem Schulhof durchzuführen, oder ihm überhaupt keine vernünftigen Argumente einfallen, dann hätte er immer noch das Argument, dass er das nicht durchgehen lassen darf und große Probleme kriegen könnte, wenn er es doch tut.

Das geht auch, wenn der Lehrer den bequemen Weg gehen will.

Nein, war nicht üblich.

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Weil Sie Spass haben, Gewalt zu sehen.
Wie Autounfall zugucken und nicht helfen.

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Hallo, danke für die Antwort. Ja, das wird der Grund sein. Aber wenn sie die Auseinandersetzung so laut anheizen, provozieren die Mitschüler durch ihr Verhalten ja erst Recht, dass die Aufsicht drauf aufmerksam wird und den Scharmützel beendet.

Hallo, danke für die ausführliche Antwort.

Deine Vermutung ist schlüssig, dass Mitschüler die Auseinandersetzung als Unterhaltungsprogramm sehen, das sie gern anfeuern und vorantreiben.

Trotzdem kommt es bei Prügeleien auch schnell mal zu einem Ungleichgewicht der Kräfte beider Parteien und der Unterlegene wird ab dann ernsthaft verletzt.
Die Frage ist für mich dann, springt die Begeisterung der „Unterhaltung“ ab diesem Punkt auf „Zivilcourage“ um oder wird auch dann schlichtweg weiter gegafft und sich nicht für den Schüler, der grade fertiggemacht wird, eingesetzt? Sollte der Lehrer/die Lehrerin im Nachgang dieser Frage auf den Grund gehen?

Besteht also ein Bewusstsein für den Unterschied einer noch harmlosen Rangelei und einer härteren Form, die in Körperverletzung resultiert?

Wenn die Schüler so einen Kampf anheizen und nicht wollen, dass er verhindert wird, passt für mich nicht zusammen, dass durch ihr Verhalten die Aufmerksamkeit der Aufsicht viel eher auf das Geschehen gelenkt wird, als wenn sie sich ruhig verhalten würden.

Sich dazu ruhig verhalten, das wäre wohl eine Spaßbremse. Das lautstarke Anfeuern gehört mit zum Spaß. Das ist doch auch bei Fußballfans so.

Ob die einfach nicht an die Lehrkraft denken, oder hoffen, dass es diesmal unbemerkt bleibt, oder dass das Eingreifen der Lehrkraft mit dazu gehört, keine Ahnung.

Ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann. Ich würde ja denken, dass im großen und ganzen weiter gegafft wird, und einzelne, die das dann nicht mehr so toll finden, lieber nichts sagen. - Ob es so ist, und wenn ja, ob es diese einzelnen gibt, das müsste die Lehrkraft rausfinden.

Wenn sowas öfter passiert, natürlich. Das sollte dann ein wichtiges Thema werden. Letzten Endes kann die Situation ja regelrecht kriminell sein. Und ob sich beide prügeln wollten, oder nur der Stärkere, das weiß man als Lehrkraft ja wahrscheinlich auch nicht.

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Es kann übrigens auch sein, dass die nicht nur gaffen, sondern genau sowas sehen wollen.

Wenn sowas öfter passiert, natürlich. Das sollte dann ein wichtiges Thema werden. Letzten Endes kann die Situation ja regelrecht kriminell sein. Und ob sich beide prügeln wollten, oder nur der Stärkere, das weiß man als Lehrkraft ja wahrscheinlich auch nicht.

Nein, wird sie/er nicht wissen, aber sollte er/sie auf jeden Fall in Erfahrung bringen, denn wenn beide den Kampf wollten und unterbrochen werden, stehen die Chancen, dass sie wieder aufeinander losgehen sobald die Aufsicht weg ist, groß.

Ob die einfach nicht an die Lehrkraft denken, oder hoffen, dass es diesmal unbemerkt bleibt, oder dass das Eingreifen der Lehrkraft mit dazu gehört, keine Ahnung

Ich vermute eher ersteres.

Zwei letzte Fragen dazu:

  1. Ist es der Aufsicht erlaubt das Smarthone von Schüler/innen abzunehmen, die die Prügelei filmen, ggf. sogar die Intervention, wie sollte das durchgesetzt werden, wenn sich die Schülerin/der Schüler dagegen wehrt?

  2. Sollte es einen Unterschied machen, ob Schüler mit der Auseinandersetzung aufhören entweder, bevor die Aufsicht selbst körperlich dazwischengeht oder erst mit deren Eingreifen, wenn es darum geht Konsequenzen für die Beteiligten auszusprechen?

Es kann übrigens auch sein, dass die nicht nur gaffen, sondern genau sowas sehen wollen.

Das wäre dann schon als Gewaltverherrlichung anzusehen. Aber wie will die Aufsicht das herausfinden…die Frage wäre hier dann auch, ob sie die anheizenden Mitschüler sofort wegschickt wenn sie eingreift, oder sie durch Ermahnungen dazu bringt solange am Ort des Geschehens zu bleiben, bis die Hauptakteure getrennt und nachvollzogen werden kann, wieviele indirekt mitgemacht haben durch ihr Verhalten.

Hallo Robin, du fragst, wie sich das Verhalten von Mitschülern erklärt.
Verunsicherung! Wie hast du selbst reagiert?
Was ist ratsam?
An erster Stelle:
Keine Gewalt! Es DARF niemand verletzt werden! Das ist das allererste, was verhindert werden muss. Also nicht das zarteste Persönchen unter den Lehrerinnen, sondern jemand zur Hilfe rufen, der ein Kreuz wie ein Kleiderschrank hat!
Dann können alle anderen dann noch das WOZU fragen,und- was ich hoffe, fragen, was die Kampfhähne antreibt, sich derart gehenzulassen und zur Schau zu stellen!
Aufmerksamkeit, wo ist der Mangel?
nicht fragen warum- sondern WOZU machen sie das! Es wird einen Zweck erfüllen.

Es gibt dazu immer zwei Erklärungsansätze:

  1. Das Verhalten der SchülerInnen ist biologisch determiniert, die Allgemeinheit fördert lediglich diese bereits biologisch existierenden Anlagen und ist sogleich auch ein Ausdruck dieser (schließlich hat alles einen Anfang)

  2. Dieses Verhalten ist ausschließlich sozialisiert z. B. durch die Familie, Unterhaltungsmedien, Kindergarten, Obere Schulklassen etc. Die SchülerInnen reproduzieren also nur das was ihnen gelernt wurde, weil sie davon aber auch profitieren.

Ich kann beiden Ansätzen etwas abgewinnen - bzw. dem ersten, weil eigentlich ist der 2te unlogisch. Auf einem trocknen, verschmutzten Boden wächst auch nix mehr, daher es brauch immer gewisse Anlagen, damit Saaten aufgehen.

Ich kann mir vorstellen, dass Menschen schon mit bösartigen Streben (Absichten) geboren werden. Also Streben, wodurch andere unterdrückt werden, die dieses Streben eher nicht haben.
Genauso muss es Individuen geben, die mit guten Streben geboren werden, daher keinen Nährboden für bösartige Saaten bieten und sich lieber z. B. aus dem Schulkampf-Szenarien heraushalten oder jemand der das beenden könnte in Aktion setzen.

Aus der Psychologie gibt es die Konzepte der Dunklen und der Hellen Triade.
Die sind dazu ganz interessant.

Außerdem behauptet Jonathan Haidt, Konservatismus sei natürlich. Solang er damit diskriminierendes Verhalten also Unterdrückung von Tieren, Zwittern und Frauen nicht als „gut“ rechtfertigen will, finde ich seinen Gedanken als Erklärung zumindest auch interessant. Ich erlebe sowieso immer wieder, dass die Allgemeinheit in ihrer Grundstruktur von oben bis unten voll von Bösartigkeiten ist d. h. unterdrückend, ausbeuterisch, ausgrenzend und mordend wirkt und besonders betroffen sind davon Tiere, Zwitter und Frauen.

Was dagegen unternommen werden könnte, wäre je nachdem woran es liegt abzuschätzen.
Bei 1. Prä- und Postnatale Gentechnik. Sowohl gute als auch bösartige Verhaltensweisen könnten direkt gezüchtet werden. Das hieße den verschmutzten Boden säubern oder sauberen Boden verschmutzen.

Bei 2. Müsste es Initiativen geben, die entsprechende Bösartigkeiten bzw. Brutalitäten (Normen, Unterdrückungsstrukturen) erst mal benennen und alternative Verhaltensweisen schaffen.
Beispielsweise statt Speziesistisch zu sein, Antispeziesistisch (Fruktarisch, Vegan).
Oder statt Rechts, Links, statt Militaristisch, Antimilitaristisch. Statt Pronatalstisch, Antipronatalstisch. Statt Patriarchal, Antipatriarchal (bzw. Matriarchal). Statt Hetero-Sexistisch, Lesben- und Zwitter freundlich etc.

Das Problem ist bloß die Allgemeinheit zieht bei den Alternativen nicht mit wie es eigentlich überall zu sehen ist. Und das könnte so sein, weil deren Inneres biologisch ganz >gemein< ist, darum kann das bei denen nicht wachsen. Die können sich nicht mit dem „Anderen“ identifizieren.

Identifikationsprozesse würde ich übrigens auch mit Suchtverhalten vergleichen. Nur weil ein Kind in einer Raucherfamilie groß wird, führt das nicht dazu, dass dieses Kind süchtig wird. Genauso eine Familie in der nicht geraucht wird, wo das Kind dann aber doch die Droge anfängt zu nehmen.

Stichwort: Reaktanzverhalten(?), Aber die Ursprünge der Reaktanz könnten auch wieder in 1 und 2 liegen. Auf jeden Fall ist gesichert, dass zwar ein hohes Risiko besteht, dass die Kinder die Erwachsenen nachahmen, aber es gibt auch immer wieder die Chance, dass dem nicht so ist.
So ist mit Kindern die nicht rauchen, aber damit aufwuchsen was anders.
Und an veganen Individuen ist was anders, an Lesben… usw. weil die wachsen in 99% der Fällen in Familien auf und in Staaten, die speziesistisch und hetero-sexistisch (lesbenfeindlich) und misogyn sind.
Trotzdem existieren sie aber, obwohl es ihnen niemand beibringen konnte und niemand diese Lebensformen positiv propagiert - oder zumindest nicht in dem Ausmaß wie das Normale propagiert wird. Deren Existenz ist also ziemlich ungewöhnlich, aber mMn. nicht verwerflich, sondern so schön wie ganz besondere Edelsteine.

MfG

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