Wie geht es weiter mit Schülern, die als nicht beschulbar eingestuft werden?

Hallo,
der aktuelle Fall mit dem erstochenen Schüler ist leider wieder ein Paradebeispiel.
In der Förderschule meiner Tochter kam es ebenfalls schon mal dazu, dass ein Schüler wegen erheblichen Aggressionen von der Polizei abgeholt werden musste und vom Unterricht ausgeschlossen wurde, eben weil er als nicht beschulbar eingestuft wurde.
Ihm wurde ein persönlicher Betreuer an die Seite gestellt und er durfte gelegentlich mit diesem Gast bei kleinen Klassenevents sein (Frühstück, kleine Aufführungen o. ä.).
Wenn ein Schüler als nicht beschulbar eingestuft wird, dann spätestens werden doch diverse Stellen aktiviert, z.B. Eltern, Jugendamt, Schulbehörde, Ärzte Psychologen.
So, jetzt mein Fragenkatalog:
Wer hat Schuld, wenn dennoch so etwas passiert ?
Behörden und Ärzte, weil sie die Sachlage unterschätzt haben?
Eltern und Betreuer, weil im ersten Beispiel der Schüler überhaupt mit Messer bewaffnet zur Schule kam?
Immerhin besteht ein Recht auf Bildung.
Wenn aber eine Beschulung auch nur ansatzweise eine Gefahr darstellt und jemand (Ärzte, Psychologen, Psychater) eine Fehleinschätzung abgibt, was dann?
LG,Mao

Fehleinschätzungen sind nicht justiziabel. Es liegt in der Natur der Sache dass sich auch Fehleinschätzungen ergeben können. Beurteilungen beruhen stets auf der Vergangenheit und man kann nicht völlig sicher sein, was in der Zukunft passiert. Man schätzt es aus dem Verhalten ein, plant unterstützende Maßnahmen, eine Beobachtung usw.
Aber letztliche 100%ige Sicherheit kann es nicht geben.

Es heißt „im besten Wissen und Gewissen“…

Das ist (leider) ein allgemeines Lebensrisiko.

MfG
duck313

Verstehe ich jetzt nicht. Paradebeispiel für was genau?

Ansonsten stimme ich duck313 zu. Dem ganzen System liegt ein Menschenbild zugrunde, das uns allen zugute kommt. Keine Vorverurteilung - vor allem bei Kindern und Jugendlichen.

Hinterher ist man immer schlauer, die Folgen ohne Frage dramatisch. Aber nicht bei jedem Unglück lässt sich ein „Schuldiger“ finden. Man kann nicht alle (und schon gar nicht so junge Menschen) vorläufig alle einfach wegsperren.

Natürlich schließe ich nicht aus, dass das Beurteilungssystem auch Schwächen hat - die man beseitigen sollte, wenn man sie identifiziert hat. Ich vermute jetzt mal, dass man die durchaus kennt, dass die Beseitigung aber Geld kosten würde…

Krötengrüße

Vorverurteilung?

Die Frage ist doch vielmehr, wie lange man daran glauben will, daß sich ein Jugendlicher ändert UND daß keine Gefahr für andere von ihm ausgeht. Alleine das Urteil, daß der Täter nicht beschulbar ist, deutet doch ganz massiv darauf hin, daß bekannt war, daß es mit dem Schüler Probleme gibt.

Die Situation, daß man das Wohl des Einzelnen dem Wohl Dritter ab irgendeinem Punkt unterordnet, tritt ja nun nicht höchst selten ein. Einen Erwachsenem, der eine Gefahr für sich und andere darstellt, weist man bspw. in die geschlossene Anstalt ein und solche, die bereits Straftaten begangen haben, zieht man irgendwann anderweitig aus dem Verkehr.

Bei Kindern und Jugendlichen schaut man sich das ganze über Jahre hinweg an, notiert Straftaten (ob nun vor oder nach Eintritt der Strafmündigkeit) auf ellenlangen Listen und wundert sich irgendwann, daß ein anderer tot oder schwer verletzt auf dem Boden liegt.

Schönes Beispiel von unserer Grundschule: ein Kind ist seit Beginn der ersten Klasse (d.h. inzwischen seit eineinhalb Jahren) praktisch durchgängig verhaltensauffällig: es werden Kinder ohne Grund getreten, geschlagen, angespuckt, angesprungen, bedroht (inkl. der Androhung „wenn Du nicht mit mir spielst, schlage ich Dich“) usw. Das einzige, was den Lehrern bisher eingefallen ist, ist ein Benimmbuch, in das am Ende des Schultages ein trauriger oder fröhlicher Smiley eingetragen wird, wobei die Zahl der fröhlichen Gesichter wahrscheinlich nicht einmal ausreichen würde, um eine Fußballmannschaft vollzubekommen.

Kein Verweis, keine Versetzung in eine Parallelklasse, keine Androhung des Ausschlusses vom Unterricht - nix. Noch nicht einmal vom Weihnachtssingen oder anderen Schulveranstaltungen wurde es ausgeschlossen. Wie gesagt: seit eineinhalb Jahren geht das so. Wenn irgendwann mal was ernsthaftes passiert (wenn man Prellungen, Schürfwunden und Angst, in die Schule zu gehen, mal nicht zu den ernsthaften Dingen zählen möchte), wird man wahrscheinlich auch den typischen Text abspulen „wenn wir das geahnt hätten“, „was hätten wir denn tun sollen“ blablabla.

Diese Gesellschaft drückt sich in vielen Bereichen ganz grundsätzlich davor, rechtlich mögliche, aber unangenehme Konsequenzen zu ziehen. Das fängt bei Körperverletzungen in der Schule an, setzt sich über die Aussichtslosigkeit aller Versuche, arbeitsrechtliche Konsequenzen in Großunternehmen zu ziehen, fort und findet sein Fanal im famosen „wir schaffen das“ der obersten Nichtsunternehmerin des Landes. Letztlich steckt dahinter die Unwilligkeit, die Verantwortung für gezogene Konsequenzen zu übernehmen und das - um mal den ganz großen Bogen zu schlagen - liegt letztlich daran, daß ein Großteil des Staatsapparates (Bildung, Gerichtswesen, Politik) immer noch beseelt ist von der links-liberalen Revolution Ende der 60er.

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Zunächst einmal handelt es sich hier glücklicherweise über einen ganz außergewöhnlichen und absoluten Extremfall, zu dem mir auf die Schnelle kein vergleichbarer Fall einfällt (geplante Amok-Taten sind eine andere Nummer, und passen als Vergleich hier nicht). Schaut man sich mal ein paar grundsätzliche Zahlen zu schweren Jugenddelikten an, so sind die hierzu mE sehr aufschlussreich. So hat sich die Zahl der Tötungsdelikte durch Jugendlich seit 1993 fast halbiert (47% Rückgang). Die Zahl der Kinder, die an Schulen so schwer verletzt worden sind, dass sie ins Krankenhaus mussten, ist im Zeitraum von 1997 bis 2016 um 64 Prozent gesunken (und dies trotz zunehmender Helikopter-Eltern, die aus jeder Mücke ein Rüsseltier machen, und mit Dingen ins Krankenhaus rennen, die man früher mit einem Pflaster daheim versorgt hätte).

D.h. auch wenn es durchaus in nicht unerheblichem Umfang Probleme mit nur sehr eingeschränkt oder nicht im klassischen Sinne beschulbaren Kindern gibt, heißt dies nicht, dass das alles potentielle Mörder/Totschläger sind, und diese auch regelmäßig zu Mördern/Totschlägern werden, und es generalpräventiver Maßnahmen gegen solche Kinder brauchen würde, die genau hierauf abzielen würden.

Was mir vorliegend Sorgen macht ist, dass es im lokalen Umfeld an einer anderen Schule gerade vor Kurzem einen Elternbrief zum Thema „Bewaffnung von Schülern“ gab. So einen Elternbrief finde ich zwar „ganz nett“, aber bei solchen Themen gehört mE unmittelbar bei deren Bekanntwerden der Einsatz geeigneter Maßnahmen dazu, um die Waffen aus der Schule raus zu halten, und sollte es auch eine Vernetzung zwischen den Schulen geben, um schnellstmöglich zu klären, inwieweit dies auch ein Thema an anderen Schulen vor Ort ist. Es mag aber sein, dass der zeitliche Aspekt hier tatsächlich so eng war, dass solche Maßnahmen hier tatsächlich noch nicht greifen konnten.

Was nicht/schwer beschulbare Kinder und Jugendliche im Übrigen angeht, ist das mE insbesondere eine Frage des Personaleinsatzes und damit auch des Geldes. Es gibt sicherlich nicht wenige Kinder und Jugendliche in dieser Gruppe, die ganz anderen - lohnenswerten - Einsatz erfordern würde, als dieser aktuell geleistet wird. D.h. da muss nahezu ständig jemand in den betroffenen Familien auftauchen, sofern man solche Kinder und Jugendlichen überhaupt in den Familien belassen kann, und da muss mit einen erheblich höheren Betreuungsschlüssel gearbeitet werden, wenn solche Kinder aus der Familie herausgenommen werden müssen, als die aktuell vielfach der Fall ist, wenn man den Teufelskreis aus schulischem Versagen, elterlichem Versagen und Aggressivität dauerhaft durchbrechen will. Und dazu braucht es dann insbesondere auch alternative Bildungs- und Arbeitsangebote, die solchen Fällen gerecht werden.

Dazu kommt auch, daß so eine Feststellung überhaupt erst einmal getroffen werden muß. Dafür müssen die Vorfälle vom Klassenlehrer an die Schulleitung weitergegeben werden und die muß dann anschließend noch die zuständigen Behörden informieren. Da man aber dort gerne mal geneigt ist, das Problem als ein Problem der Lehrer bzw. der Schule darzustellen bzw. abzutun (genau wie im Arbeitsleben übrigens auch; dort wird dann häufig ein Führungsproblem diagnostiziert), geht man diesen Schritt eher ungern.

Im konkreten Fall war allerdings bereits ein Schulverweis ausgesprochen worden und eine Sozialarbeiterin involviert. Der Termin, anläßlich dessen es zu der Tat kam, diente dazu, die Modalitäten für die Rückkehr zur bisherigen Schule abzuklären.

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Da bin ich vollkommen bei dir. Aber dieses „abtun“ hat mE eben auch etwas mit den begrenzten finanziellen Mitteln zu tun. Denn jeden weiteren Fall, den man „anerkennt“ würde ja ein Einschreiten erfordern, für das aber Personal und Geld fehlt, und würde damit sogar noch zu einer Verschärfung der Situation für andere Betroffene führen, bei denen der Einsatz dann noch weiter heruntergefahren werden müsste, um zusätzliche Fälle bei gleichen Ressourcen bedienen zu können.

Ich sehe allerdings auch, dass Lehrer teilweise kein Interesse daran haben, in solchen Fällen wirklich tätig zu werden. Teils aus Desinteresse und Scheu vor der damit verbundenen Arbeit, teilweise um sich nicht selbst eingestehen zu müssen, dass man mit so einem Fall überfordert ist/ggf. selbst nicht genug dafür getan hat, dass eine solche Situation nicht so weit eskalieren konnte.

Auf der anderen Seite bin ich allerdings auch durchaus besorgt, dass wir zunehmend in eine Situation kommen, ganz normales kindliches Verhalten zu pathologisieren, und alles zu unterdrücken, mit dem sich Kinder auch mal „Luft“ verschaffen können, was ein besonderer „Verdienst“ der ganzen Blackhawk-Parents ist. Was ich momentan an „Aufbauschen“ von Lappalien, vollkommen überzogenen Verboten und Pädagogisieren erlebe, lässt mich vermuten, dass dies auch nicht unerheblichen Anteil an dann letztendlich überschießender Gewalt hat.

Auch zu meiner Schulzeit gab es bereits Exzesse, bei denen ein Einschreiten notwendig war, und dies war oftmals nicht ausreichend. Aber es gab eben auf der anderen Seite auch noch eine ganz andere Akzeptanz dafür, dass Kinder nun mal noch so gut in der Lage sind, Konflikte verbal auszutragen, sich noch nicht so gut in der Gewalt haben, und auch noch nicht in der Lage sind, so gut abzuschätzen, wann aus einer Kleinigkeit dann gefährliche Dinge werden können. Trotzdem wurde der Einzelfall, in dem sich dies dann einmal verwirklichte nicht so hochstilisiert, und beließ man Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten sich ganz anders auszuprobieren, und das funktionierte ja regelmäßig auch gut, und hat nicht zu bleibenden Problemen geführt.

Wenn ich gerade gestern die Einladung zum Schulfasching lese, in der ausdrücklich noch einmal auf das Verbot von „Waffen“ hingewiesen wird, dann fasse ich mich einfach nur an den Kopf. Wenn ich mir meinen Schulkarneval aus Aachener Zeiten in Erinnerung rufe, müssten wir alle längst tot oder als Massenmörder im Gefängnis sitzen! Natürlich gab es da auch mal die ein oder andere kleine Verletzung. Aber das war eben akzeptiert: Pflaster drauf, und weiter gespielt! Da haben wir mal ein paar Tage (Samstag Schulkarneval, Sonntag zum Kinderzug, Montag zum Rosenmontagszug, Dienstag mit den Freunden in der Straße) die Sau rauslassen dürfen, und das war sehr befreiend, und tat dem seelischen Gleichgewicht gut.

Neulich musste Sohnemann einen Mitschüler identifizieren, der einen anderen Mitschüler geschubst hatte, dessen Mutter (die überbehütende, die ich hier schon mal thematisiert hatte), „Konsequenzen“ von der Schulleitung gefordert hatte. Ich konnte mich gerade noch beherrschen, nicht bei der Dame anzurufen, um sie zu fragen, ob sie eigentlich einen Knall habe?

Wie verhält es sich mit Kindern aus Kriegsgebieten und ehemaligen Kindersoldaten o.ä.?
Mit schweren Traumata und anderem Aggressionsverhalten wird man da doch eigentlich rechnen müssen.
Gruß
rakete

Ach endlich sind wir beim Thema :slight_smile:

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Das fällt alles unter Verbesserungen.
Auf den 68ern rumzuhacken halte ich für unberechtigt

Ich hacke nicht auf den 68ern herum, sondern ich kritisiere die daraus resultierende, heutige Situation.