Hallo Yseult,
ich freue mich über unser weihnachtliches Einvernehmen:wink:
Ein guter Punkt von Deiner Seite. Meine Aussage war allerdings
viel grundlegender gemeint. Als Beispiel: wie möchte man
Thomas von Aquins Evangelienkommentare verstehen, wenn man
seine Metaphysik, seine Theorien zur Analogie etc. nicht kennt
oder philosophisch nachvollziehen kann?
Gar nicht:wink: Scherz beiseite: Das ist auch der Grund, warum ich mich von Thomas fernhalte (wenn ich nicht gerade KG III geben muss).
Mein Gebiet ist die Patristik, und ich weiß, in welchem Umfang ich allein den Platonismus und allen seinen Zusätzen studieren musste, um frühchristliche Theologie zu verstehen. Abgesehen von Mysterienkulten, die rabbinische Literatur (mit den schrecklichen Datierungsfragen), Römischen Recht usw.
Ich meinte damit eigentlich nur, dass die
Philosophiehistoriker immer irgendwie missachtet werden: von
den Philosophen, weil sie ja „nur“ Historiker sind; von den
Historikern, weil sie sich nur auf Theorien konzentrieren; von
den Theologen, weil sie Philosophie studiert haben etc. Dass
man aber ein viel breiteres Feld an Studien dafür braucht,
leuchtet niemandem so richtig ein und eigentlich muss man sich
immer auf alle Seiten rechtfertigen.
Was ich jedoch (wir können also zusammen klagen) für ein innergeisteswissenschaftliches Problem halte, da alle derzeit in der Legitimitätskrise stecken. Und jede Seite beansprucht eine mE wenig durchdachte Wissenschaftlichkeit für sich, um, was eh irrsinnig ist, mit der Naturwissenschaft konkurrieren zu können.
Deine Erfahrung kann ich nachvollziehen: Der Historiker hört nicht zu, weil ich Theologin bin, und mancher Philosoph auch nicht - allerdings: gute Erfahrungen mache ich mit Altphilologen (nur Vorsicht vor denen, die vor Augustin ein „Heilig“ setzen) und mit den meisten Philosophen.
Der Hinweis auf ein Bibelzitat eines Kirchenvaters, was ja durchaus für die Interpretation einer QUelle wichtig sein kann, in Gegenwart von Historikern, ist im wissenschaftlichen Diskurs tödlich.
Und die Theologen sagen, ich sei gar keine, sondern Historikerin.
Und, so ungern ich es zugebe, ich kenne genug Theologen, die sich Kirchenhistoriker nenne, die einer Philosophin unterstellen würden, sie könne Augustin oder Thomas nicht verstehen, da sie nicht dasselbe glaube (eine erschreckende neue Tendenz, die aus der rk in die ev Theologie übergeschwappt ist, so dass ich versucht bin, bei den Historikern Asyl zu nehmen).
Mir lag es also fern lediglich gegen die Theologen zu
schimpfen, sondern vielmehr darum, dass man mit schnell
angeklebten Etiketten Wesentliches übersieht. (Ein Beispiel:
Ein in den „Archives d’histoire doctrinale et littéraire du
Moyen Âge“ publizierter Artikel wird von den wenigsten
Theologen gelesen, da sie anhand der Titel meinen es handle
sich um Philosophie-Artikel. Andererseits lesen wenig
Philosophen die "Freiburger Zeitschrift für Philosophie und
Theologie…)
Immerhin ist das doch immer ein leichter WEg, im Literaturverzeichnis festzustellen, ob jemand aus der Philosophie oder Theologie kommt, oder?
Unsere Disziplinen leisten sich tatsächlich einen unsinnigen Wissenschaftsautismus.
Unter diesen Umständen - und das dachte ich bereits als ich
Rolfus Anfrage las - müsste man auch Philosophiehistoriker des
Mittelalters ohne Theologiestudium als Theologen bezeichnen…
))
Im besten Sinne, ja - und umgekehrt ist es ja nicht anders (zumindest bis zu einer bestimmten eruopäischen Epoche, die zu bestimmen ich Klügeren überlasse): Ein zumindest dogmengeschichtlich arbeitender Patristiker sollte immer auch ein Philosophiehistoriker sein.
Wobei ich schon denke, kann man wirklich zusammenarbeiten, wird man aufgrund unterschiedlicher Schwerpunkte noch genug finden, wo man sich ergänzen kann und muss.
Sollten wir und also im echten Leben begegnen, können wir es besser machen:wink:
Weihnachtliche Grüße
Taju