Wie ist das Verhalten dieser Frau zu deuten?

Hallo,

ich rätsle momentan über eine Partnerschaft in meinem Bekanntenkreis. Den Mann kenne ich schon länger, die Frau an seiner Seite lebt seit drei Jahren mit ihm zusammen, beide haben eine längere Ehe hinter sich.

Gemeinsamkeiten bei ihnen sind Bildung, Humor, viele Interessen, politische Ansichten, Hobbies etc.

Kontär bei ihnen sind Dinge wie Ordnungssinn, Kontaktfreudigkeit und Emotionalität (wie in wahrscheinlich vielen Partnerschaften).

Nun ist es bei der Frau so, daß sie manchmal aus an sich harmlosen Situationen heraus urplötzlich beleidigt ist - und zwar _richtig_ beleidigt, sie ignoriert den Mann dann komplett für mehrere Tage, bis zu einer Woche, und dann löst sich diese Spannung allmählich von alleine. Der Mann erfährt oft nicht, was Auslöser dieses Verhaltens ist. In der Zeit des „Beleidigt-Seins“ wird nicht miteinander gesprochen, nicht einander angesehen, absolut Null, wirklich komplette Ignoranz.

Anlass zu solchen „Ausbrüchen“ sind wie gesagt oft Kleinigkeiten, alles ist harmonisch, dann urplötzlich ein Wort in den falschen Hals bekommen und schon herrscht ihrerseits für mehrere Tage Funkstille. Anstrengend, wenn man zusammen in einer Wohnung lebt :wink:. Im Nachhinein heißt es dann ihrerseits als Begründung - wenn eine Begründung erfolgt -, er habe sie nicht ausreden lassen, hätte ihr nicht richtig zugehört, schätze sie nicht wert u. ä. Aber diese Zeiten der Ignoranz lösen sich immer von selbst wieder auf - nur sind diese Phasen für ihn natürlich nicht grad einfach. Man kann das auch nicht an konkreten Situationen festmachen - wenn sie an einem Tag irgend etwas lustig und nett findet, löst dasselbe Verhalten an einem anderen Tag wieder eine Riesen-Szene aus.

Ich mag beide wirklich gern, weiß, daß er manchmal etwas hölzern in seiner Art ist, sie jedoch auch nicht fehlerfrei (in manchen Dingen übertrieben penibel, perfektionistisch) - wie das nun mal so ist.

Dennoch fänd ich es schade, wenn die Beziehung daran zerbräche, weil außerhalb dieser Phasen ist alles wirklich toll bei ihnen.

Kann sich jemand auf dieses Verhalten einen Reim machen? Ich weiß, daß manche mal etwas dünnhäutig reagieren, aber aus Nichtigkeiten regelmäßig so _-derart- krass zu reagieren kann ich nicht recht nachvollziehen.

Danke für alle Tips und Ratschläge. :smile:

Schnägge

Guten Tag,

vielleicht liegt der Grund für die erhöhte Reizbarkeit an der Tagesform. Möglicherweise ist die Arbeit im Moment sehr stressig oder sie hat zu wenig geschlafen.
Du schreibst das beide eine längere Ehe hinter sich haben.
Daraus kann man schließen das beide schon etwas älter sind.
Vielleicht spielen auch die Wechseljahre eine Rolle.

Ich hoffe das hilft bei der Suche nach der Ursache

Stephan

Kommunikationsfähigkeit
Moin!

Nun ist es bei der Frau so, daß sie manchmal aus an sich
harmlosen Situationen heraus urplötzlich beleidigt ist - und
zwar _richtig_ beleidigt, sie ignoriert den Mann dann komplett
für mehrere Tage, bis zu einer Woche, und dann löst sich diese
Spannung allmählich von alleine . Der Mann erfährt oft nicht,
was Auslöser dieses Verhaltens
ist.

Im Nachhinein heißt es dann
ihrerseits als Begründung - wenn eine Begründung erfolgt -, er
habe sie nicht ausreden lassen, hätte ihr nicht richtig
zugehört, schätze sie nicht wert u. ä.

Ich vermute, dass es um genau dieses Problem geht: Dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlt. Der Kern der Sache ist aber nicht, ob er sie tatsächlich nicht wertschätzt, sondern dass sie selbst ein sehr geringes Selbstwertgefühl hat. Hinzu kommt ihre Kommunikations-Unfähigkeit.

Sie braucht die Bestätigung durch den anderen und fühlt sich zurückgesetzt, wenn er ihr diese nicht gibt. Dieses Gefühl schluckt sie häufig runter, bis es so übermächtig wird, dass eine Kleinigkeit reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Dann kommt ihre Unfähigkeit zu kommunizieren dazu. Sie kann nicht aussprechen, wie sie sich fühlt und „rächt“ sich, indem sie ihn mit ihrer Kommunikationsverweigerung bestraft.

Sie will damit erreichen, dass er mit ihrem Selbstwertgefühl noch vorsichtiger umgeht, um sie bloß nicht nochmal zu verletzen.

Leider klappt sowas selten, denn das Problem kann nicht er lösen, das kann sie nur selbst! Sie muss an ihrem eigenen Selbstwertgefühl arbeiten. Wenn sie sich nicht selbst achten kann, wie soll es jemand anders können?

Ich mag beide wirklich gern, weiß, daß er manchmal etwas
hölzern in seiner Art ist, sie jedoch auch nicht fehlerfrei
(in manchen Dingen übertrieben penibel, perfektionistisch) -
wie das nun mal so ist.

Dass sie perfektionistisch passt ins Bild: Menschen mit geringem Selbstwertgefühl versuchen oft nach außen hin fehlerfrei aufzutreten, um sich die Achtung zu verdienen. Sie können sich selbst nicht mit ihren Fehlern akzeptieren und reagieren empfindlich, wenn andere diese Fehler aufspüren.

Dennoch fänd ich es schade, wenn die Beziehung daran
zerbräche, weil außerhalb dieser Phasen ist alles wirklich
toll bei ihnen.

Naja, was daran ist echt und was ist Fassade?

Sie sollte sich von einem Therapeuten darin unterstützen lassen, ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen. Ihr Partner kann das nicht und ist auch nicht dafür zuständig.

IANAP

Gruß, Noi

Hallo,

es ist schwer eine Ferndiagnose zu stellen. Ein derart „schwankendes“ Verhalten, welches von Tag zu Tag schwanken kann, könnte auf eine Borderline-Persönlichkeit hindeuten.
Für mich ist immer ein Indikator für das Syndrom, dass die Betroffenen ein Elefantengedächtnis für Kränkungen haben, derlei empfundene Kränkungen auf die Platinwaage legen und immer wieder „aufwärmen“ in Konfliktgesprächen.
Es kann jedoch durchaus eine sehr ausgeprägte Form eines mangelnden Selbstwertgefühles sein (wie es mein Vorgänger beschrieb), basierend auf negativen früheren Erfahrungen des sich-im-Stich-gelassen-Fühlens.
Zum Erhalt der Partnerschaft wäre es wirklich sinnvoll, wenn die Frau sich diesen Mustern stellen könnte. Für den anderen ist es nämlich nicht auf Dauer aushaltbar, den schwankenden emotionalen Zuständen Stand zu halten.

Viele Grüße
Ginny

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Danke
Danke Euch. :smile:

Was Ihr schreibt klingt alles recht passend (auch wenn das mit dem Borderline ad hoc etwas krass klingt).

Ich bin mir nicht sicher, ob sie kritikfähig genug ist, wenn man ihr sagt - grob ausgedrückt - „es liegt an Dir, Du hast kein Selbstwertgefühl“ (natürlich sagt man das so nicht, aber sinngemäß).

Sie hat eine jüngere Schwester, die ihr gegenüber immer bevorzugt wurde. Vielleicht war das ein prägendes Erlebnis, auch wenn beide heute die 50 überschritten haben und die Eltern nicht mehr leben?

Natürlich ist das für den Partner sehr schwer, vor allem diese Zeiten der Stille sind natürlich unheimlich anstrengend und belastend. Es ist ja dann auch nicht sinnvoll, wenn er dann Buße heuchelt, auch wenn er gar nicht weiß, was überhaupt falsch war.

Hallo,

es ist ja schon einiges dazu gesagt worden.

Es gehören jedoch immer zwei dazu und so lange er in Resonanz zu ihrem Verhalten geht, wird sich nichts an den Situationen ändern.

Also ich würde am 2.Tag verschwinden und bei Freunden oder Verwandten schlafen. Wenn sie nicht reden will, dann bin ich ja überflüssig und auch ich habe Wertschätzung verdient.
Er muß auf alle Fälle etwas anders tun, als er bisher gemacht hat in dieser Situation, natürlich nicht sich auch auf die Ebene eines verletzten Kindes begeben.

MfG

Kerstin

Nachgeklecker
Hallo -

Ich bin mir nicht sicher, ob sie kritikfähig genug ist, wenn
man ihr sagt - grob ausgedrückt - „es liegt an Dir, Du hast
kein Selbstwertgefühl“ (natürlich sagt man das so nicht, aber
sinngemäß
).

Das wäre eine einseitige Schuldzuweisung. Ihr Verhalten ist eine Reaktion auf eine Verletzung, auch, wenn die Verletzung nur in ihrer Einbildung besteht. Das Gefühl ist das gleiche. Eine Interpretation wie „sie will ihn bestrafen“ halte ich nicht für sonderlich hilfreich. Es ist doch eher eine Unfähigkeit, Konflikte angemessen auszutragen. Unter der sie möglicherweise genauso leidet wie ihre Umgebung. (Auch im Wort Be-leid-igung steckt Leid.)

Wenn du schreibst, dass tagelang Funkstille zwischen den beiden ist, strickt er ja wohl auch mit an dem Strumpf, oder?
Eine Sichtweise, wer jetzt Schuld an dem Schlamassel ist, bringt nicht viel weiter. Nützlicher wäre doch, sich zu fragen: Wie kommen wir da raus?

Und wenn sie zu so einem „Totstell-Reflex“ („Ich sag jetzt gar nichts mehr“) tendiert, muss er das ja nicht auch tun.

Meine Großmutter konnte das auch, tagelang schweigen. Irgendwann holte mein Großvater dann seine Ziehharmonika raus und spielte „Annchen, Annchen, sei wieder gut“. ;o) Und dann war’s wieder gut…

Natürlich ist das für den Partner sehr schwer, vor allem diese
Zeiten der Stille sind natürlich unheimlich anstrengend und
belastend. Es ist ja dann auch nicht sinnvoll, wenn er dann
Buße heuchelt, auch wenn er gar nicht weiß, was überhaupt
falsch war.

Weshalb sollte er auch.
Aber er könnte das Verhaltensmuster durchbrechen. Sie zum Beispiel direkt und ohne Vorwurf (!) auf die Situation ansprechen. Ihr signalisieren, wie er sich damit fühlt. Dass er ein dringendes Interesse daran hat, die Situation zu klären. Den Körperkontakt nicht meiden, sondern suchen. Man kann schlecht streiten, wenn man sich bei der Hand hält. (Streiten kann man auch schweigend.) Ihr nicht die Zuwendung entziehen, indem er gleichfalls schweigt.
Ich vermute, sie sitzt in einer „Verhaltensfalle“. Es könnte gut sein, dass sie da auch gern raus käme, es aber allein nicht schafft.
Dazu müsste er aber schon über seinen Schatten springen. Und Gedanken wie „Jetzt geht das wieder los - Was hab ich denn jetzt schon wieder gesagt“ u.ä. beiseite schieben…

Wenn sich was ändern soll, muss einer die Initiative ergreifen. Und wer? Der’s am besten kann. Oder man lässt alles, wie es ist. Und hat eine(n) Schuldige(n). Jeder von beiden… ;o)

Alles Gute.
C.

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Narben auf der Seele
Hi Schnägge,

sicher liegt hier ein Kommunikationsproblem vor, aber das ist nicht die vorrangige Ursache. In Zweitbeziehungen nach einer miserablen Erstbeziehung läuft jeder Partner Gefahr, unbewusst durch Äusserungen, die jedem Anderen harmlos erscheinen, alte Wunden aufzureissen. Schlüsselreize halt, die sind bei jedem Menschen durch ganz persönliche Erfahrungen entstanden.
Wenn nun noch jeder der Beiden die Erfahrung gemacht hat, dass Reden nichts bringt?
Wenn Du kannst, versuche Beide zu der Erkenntnis zu bringen, dass sie es mit „neuen“ Menschen und Reaktionen zu tun haben und nicht mehr nach altem Schema reagieren.

Hth,

tantal.