Wie kann ich jemandem helfen?

Hallo,
ich bin Mutter einer 14jährigen Tochter. Meine Tochter war längere Zeit mit einem etwa gleichaltrigen Jungen zusammen, der sehr häufig bei uns Zeit verbrachte. In dieser Zeit lernte ich ihn auch sehr gut kennen. Er hat mir auch vom Schlaganfall seiner Mutter erzählt, da war er erst 6 Jahre alt. Ich hatte immer das Gefühl, er sucht sich eine Zweitfamilie, z.B. wollte er auch immer hier sein, wenn sein Vater nicht zu Hause war, vielleicht aus Angst, seine Mutter könnte jederzeit wieder so einen Hirnschlag erleiden?! Probleme in der Schule waren auch immer wieder auf der Tagesordnung. Wenn er verletzt oder traurig ist, wird er schnell aggressiv.
Jedenfalls sind meine Tochter und er nicht mehr zusammen, aber er hat immer wieder den Kontakt zu ihr bzw. zu uns aufgenommen, wollte auch immer wieder mal herkommen. Ich habe ihm dann im März geschrieben, dass es besser wäre, er ließe die „Hintertür“ zu ihr zu, da sie noch sehr an ihm hing, und er hatte ja in der Zwischenzeit auch eine neue Freundin. Nun bekomme ich seit längerer Zeit mit, dass er unglücklich ist, beinahe depressiv wirkt. Meine Tochter hat ihn via Internet auch gefragt, warum, aber keine Antwort bekommen. Ich habe aber das Gefühl, dass er sich nicht traut, darüber zu schreiben oder zu reden, obwohl er eindeutig „Hilfesignale“ in ihre/unsere Richtung sendet. Er traut sich leider auch nicht her, obwohl wir mal ein sehr vertrauensvolles Verhältnis hatten.(Wahrscheinlich wegen der Bitte, meine Tochter vorerst in Ruhe zu lassen?!) Ich würde ihm gerne helfen ohne ihm zu nahe zu treten. Was kann ich tun? Ich mache mir wirklich große Sorgen. Mit seinen Eltern möchte ich nicht reden, da diese das wahrscheinlich als Einmischung sehen, und darauf reagieren ja viele Eltern allergisch. Ich hoffe auf wertvolle Hinweise von euch.
Herzliche Grüße von sternchen1968

Hallo,

Ich habe ihm dann im März geschrieben, dass es besser wäre, er ließe
die „Hintertür“ zu ihr zu

Wäre es denkbar, selbstverständlich in Abstimmung mit deiner Tochter, dass du ihm vielleicht doch noch mal eure „Vordertür“ öffnest? Und du bist nicht dabei?

da sie noch sehr an ihm hing

Vergangenheit?

er hatte ja in der Zwischenzeit auch eine neue Freundin.

Gegenwart!

Ich würde ihm gerne helfen ohne ihm zu nahe zu treten. Was kann ich tun?

Könnte/würde deine Tochter das übernehmen und die Angelegenheit mit ihm klären?

Sie scheinen mir beide alt genug zu sein, das miteinander alleine zu regeln.

Ich mache mir wirklich große Sorgen.

Du hast aber keinen Erziehungsauftrag (das ist jetzt nicht böse und vorwurfsvoll gemeint, auch wenn es so klingen mag).

Franz

Danke für den Beitrag. Also, ich muss mir keine Vorwürfe machen, wenn dann mal ´was mit ihm „passiert“?!
Vielleicht, das hat meine Tochter auch gemeint, können sie sich im örtlichen Jugendtreff mal ganz „zufällig“ begegnen und ins Gespräch kommen. Ich denke trotzdem, dass mein Kind mit solchen Problemen, bei denen es um den Verlust des Vertrauens zu seinen Eltern und dem daraus resultierenden Mangel an Selbstwert sowie weitere daraus entstandene Probleme in vielen Bereichen (Schule, soziale Kontakte usw.) geht, echt überfordert ist. Es geht momentan, glaube ich, eher darum, ihn zu unterstützen, und zwar von Erwachsenenseite. Aber, wie Sie schon schrieben, ich habe keinen Erziehungsauftrag, muss aber nun mit ansehen, wie ein Junge auf dem Weg ins Erwachsenwerden quasi „vor die Hunde geht“?! Das ist zwar mein Problem, wenn ich mich dabei schlecht fühle, aber was ist mit dem Jungen? Er schrieb z.B. an seine Pinwand: „Alle sind glücklich, nur ich nicht…“ Meine Frage zielte darauf ab, ob ich nicht doch vorsichtig versuchen sollte, nochmal mit ihm zu reden. Ich will natürlich in einem möglichen Gespräch nicht noch zusätzlich betonen, was er für schlimme Probleme hat, sondern ihm nur klarmachen, dass ich ein Anlaufpunkt für ihn wäre, wenn er Sorgen hat. Meine Tochter sagt, dass sie nun über ihn hinweg ist. Also wäre ein Gespräch zwischen ihm und mir für sie nicht mehr so problematisch. Ich befürchte aber, ihn mit meiner Aufforderung, sich vorerst von unserem Zuhause fernzuhalten, total verschreckt habe, sodass er zwar Redebedarf verspürt, aber sich absolut nicht mehr traut. In dieser Hinsicht bin ich immer noch ratlos, aber Ihre Anmerkungen haben dazu geführt, gezielter zum Kernpunkt vorzudringen.
Im Grunde müsste meine Frage jetzt lauten: Wie stelle ich es an, dass er wieder Vertrauen zu mir fasst, nachdem ich ihm vor einigen Monaten so derartig „vor den Kopf gestoßen“ habe?

Hallo,

gleich so ein Alles-oder-Nichts Satz zu Beginn:

Also, ich muss mir keine Vorwürfe machen, wenn dann mal ´was mit ihm „passiert“?!

Selbstverständlich kann man nie etwas ganz ausschließen. Und ich könnte mir es jetzt leicht machen und es dabei belassen. Aber ich tendiere zu „!“ (Erläuterung zu „keine“ unten nochmal) und neige immer dazu, eine Entscheidung zu treffen anstelle auszusitzen und alle Beteiligte lange Zeit im Unklaren zu lassen. Ein paar Gedanken, weshalb ich mich vorerst zurückhalten würde.

Du (das ist hier so üblich) hast deine Karten ein wenig verspielt, weil du dich für deine Tochter und gegen ihn entschieden hast. Das wird bei nächster Gelegenheit wieder so sein, und er weiß es.

Er ist in einem kritischen pubertären Alter, da legt man gewisse Dinge mehr auf die Waage. Du siehst sein Verhalten in seiner Familie begründet, er vielleicht eher in Liebeskummer (muss nicht deine Tochter sein)?!

Du hast ein Schuldgefühl, welches sich erst jetzt, nachdem du deine Tochter in stabilen Lage wähnst (was ihn betrifft), meldet. Und ein schlechtes Gewissen.

Viele Emotionen. Konkretes/Aktuelles zu seiner Familie weißt du?

Ich denke, … bei denen es um den Verlust des Vertrauens
zu seinen Eltern und dem daraus resultierenden Mangel an
Selbstwert sowie weitere daraus entstandene Probleme in vielen
Bereichen (Schule, soziale Kontakte usw.) geht, echt
überfordert ist.

Bist du wirklich sicher in deiner Einschätzung und seiner Entwicklung?

Es geht momentan, glaube ich, eher darum, ihn
zu unterstützen, und zwar von Erwachsenenseite.

Dann solltest du es auf dieser Ebene versuchen. Vorsichtig, und ohne irgendwelche Vorwürfe.

Vielleicht, das hat meine Tochter auch gemeint, können sie
sich im örtlichen Jugendtreff mal ganz „zufällig“ begegnen und
ins Gespräch kommen.

Eine gute Idee. Sie kennt ihn schließlich auch sehr lange und gut, sie liegen im gleichen Alter. Deutlich einfacher für ihn, als wenn du ihn anrufst/anschreibst und „bittest“.

Im Grunde müsste meine Frage jetzt lauten: Wie stelle ich es
an, dass er wieder Vertrauen zu mir fasst, nachdem ich ihm vor
einigen Monaten so derartig „vor den Kopf gestoßen“ habe?

Vertrauen ist ein größere Angelegenheit. Es wird auch dann kommen, wenn deine Tochter zuerst den Kontakt wieder herstellt und ihn bei Gelegenheit mit nach Hause zu euch nimmt. Und er es möchte. Das kannst du nicht erzwingen.

Zu deiner Eingangspassage nochmal:

Also, ich muss mir keine Vorwürfe machen, wenn dann mal ´was mit ihm „passiert“?!

„Keine“ ist falsch, aber: Würdest du dir weniger Vorwürfe machen, wenn du mit ihm wieder einmal gesprochen hast, und es „passiert“ dennoch etwas? Wohl nicht. Vorwürfe anderer Art vielleicht, weniger jedoch kaum. Solange wie du ihn kennst.

Du übernimmst übrigens Verantwortung. Und anderen diese weg. Will gut überlegt sein, langfristig und ob möglicher Konsequenzen für viele Beteiligte.

Franz

Ich finde Ihre Antworten sehr detailliert und wirklich großartig!:smile: Schön, wenn sich jemand dafür interessiert und man nicht alleine dasteht. Meine (gemischten) Gefühle sind zwar nicht weg, aber ich fühle mich deutlich erleichtert.
Übrigens: Er hat die Schule gewechselt, und ich hab´ ihm alles Gute zum Neustart gewünscht via FB. Er hat sich ganz nett bedankt und schrieb, er wolle mal wieder vorbeikommen, woraufhin ich antwortete, dass mich das freuen würde. Falls er dem nachkommt, werde ich erstmal ganz allgemein mit ihm plaudern, und wenn er etwas loswerden möchte, wird er das tun, wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist. Ich werde ihn jedenfalls nicht explizit nach Problemen fragen.
Vielen Dank für Ihre Antwort! Herzliche Grüße

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