Wie mit schrecklichen Details umgehen?

Liebe Erfahrene!

mein Schwager, 54, den ich seit 40 Jahren kenne und sehr schätze, ist vor 1 1/2 Jahren an Krebs erkrankt. Fortlaufende Chemo + Bestrahlungen konnten das Tumorwachstum nicht zum Stillstand bringen.

Vorgestern wurde er aufgrund einer akuten Komplikation operiert und ist seither nicht wieder aufgewacht, weil die Nieren nicht mehr funktionieren und der Kreislauf nur noch mittels Medikamenten aufrecht erhalten werden kann. So weit - so bitter die Auskunft der Ärzte für die Angehörigen.

Aber jetzt kommts:

Meiner Schwester wurde im Detail erläutert, was bei der Op alles passiert ist, was zwar sein kann, aber nicht muss, aber dennoch eingetreten ist. Und warum es jetzt keine Chance mehr gibt und nur noch ein Wunder helfen kann.

Meine Schwester hat mir die Komplikationen unmittelbar danach so wiedergegeben, wie sie es von den Ärzten erfahren hat, weil sie fix und fertig war: der Dünndarm wurde beschädigt und sein Inhalt hat sich in die Lunge ergossen. Sie hat noch mehrere schlimme Komplikationen aufgezählt, die eingetreten sind. Aber ich will hier nicht alles wiedergeben.

Hilfe, ich werde diese Bilder nicht mehr los, die ihre Schilderung in meinem Kopf ausgelöst haben.
Ich kann mit niemandem darüber sprechen, weil ich niemand belasten will, der meinen Schwager kennt. Denn dieses detaillierte Wissen nützt doch niemandem!

Ich habe heute mit einer Bekannten gesprochen, die meinen Schwager nicht persönlich kennt. Sie meinte nur lapidar, wir sollen froh sein, wenn er nicht wieder aufwacht. Stimmt ja. Aber ich bekomme die Bilder von der Op nicht aus meinem Kopf!

Hat jemand einen handfesten Tipp für mich? Gerne einen praktischen aus dem Alltagsleben. Denn auf ein Jahr Warten auf eine Therapie finde ich unsinnig, wenn mich gestern und heute die Bilder in meinem Kopf so sehr quälen.

Vielen Dank!
Maralena

Liebe Maralena,

ich hoffe, Du konntest schlafen, denn bei mir tauchen derartige Bilder zumeist nachts auf.

Ich weiß nicht, ob ich Dir wirklich helfen kann, aber ich schildere mal meine Erfahrung.

Mein Mann ist vor 1,5 Jahren an Krebs gestorben. Die drei OPs (Niere, Lunge links/rechts) hat er zwar überlebt, den Krebs aber nicht. Ich war bei jeder OP-Vor- und Nachbesprechung dabei und wusste daher auch alle Details.

Aber diese Informationen waren recht „abstrakt“. Die drei ca. 30 cm langen Narben machten es konkret - und diese Narben werde ich wohl nie vergessen; genauso wenig wie die letzten Tage, in denen er durch die Hirnmetastasen bereits sehr verwirrt war, in denen er mal einen „Polizeitee“ (?) verlangte, er Bilder an den Wänden sah, die nicht vorhanden waren, in denen er fragte, wo er denn sei und mir nicht glauben wollte, dass er zu Hause sei, da alles so anders aussehe, in denen er mal sagte: „Ich muss doch essen, ich will nicht sterben!“, in denen er sagte: „Kathleen, ich kann nicht mehr, mach was!“

Und ich denke, auch diese meine Schilderungen sind für viele Menschen abstrakt.

Was ich damit sagen will: Das, was ich nicht wirklich gesehen habe, hat sich auch nicht in meinem Kopf festgebrannt. Diese OP-Details sind bei mir recht schnell verblasst. Daher mache ich Dir jetzt mal die Hoffnung, dass sich die Bilder auch kein Jahr in Deinem Kopf festsetzen, andere Bilder (z.B. der jetzige Anblick Deines Schwagers) werden sich hingegen lange halten. Aber jeder Mensch „speichert“ ja auch anders.

Du schreibst, Du kannst/möchtest mit niemanden reden, der Deinen Schwager kennt. Das kann ich verstehen: Ich habe auch versucht, alle zu „schonen“, aber ich habe viel mit einer Krebswitwe, die ich über einen Krebsverein kennengelernt habe, geredet. Das hat mir geholfen bzw. hilft mir immer noch. Und ich schreibe viel darüber - was dem einen oder anderen Nutzer hier wohl nicht verborgen geblieben ist.

Was den Alltag betrifft: Ich muss im Nachhinein sagen, dass ich mich auch häufig in diese Bilder „gestürzt“ habe, da ich unbedingt verstehen wollte. Ich habe mich in sie hineingesteigert, weil ich das Leid meines Mannes nachvollziehen/nachempfinden wollte. Aber das kann man nicht. Und es hilft weder dem Kranken noch einem selbst.

Und auch nach seinem Tod ist das eine „Falle“, in die ich noch tappe. Nicht mehr so oft, aber sie ist immer noch da.

Da muss man sich auch mal selber stoppen. Wenn ich z.B. mit jemanden geredet habe/rede und ich merk(t)e, dass sich ein Kloß im Hals bildet, habe ich gesagt/sage ich: „Lass uns das Thema wechseln, sonst fange ich an zu heulen!“ Ich nenne es mal laienhaft bewusste Verdrängung. Es mag sich so anhören, als belöge man sich selbst, aber in bestimmten Situationen muss man sich auch vor sich selbst schützen. Und bei einem der oben erwähnten Sätze, musste ich auch schon wieder kämpfen. Da muss ich mich auch stoppen!

Wie geht denn Deine Schwester jetzt damit um? Ich kann natürlich nur spekulieren, aber ich kann mir vorstellen, dass Du auch ihr Leid nachempfinden möchtest, Dir vorstellst, dass es für sie doch noch viel schlimmer sein muss. Magst Du daher nicht mit ihr darüber reden?

Deine Schwester benötigt jetzt ganz viel Halt! Sie wird auch einen Redebedarf haben. Ihr solltet Euch vielleicht gemeinsam eine Krebs-/Trauer-Gruppe suchen, aber Ihr solltet vorsichtig sein, dass Ihr Euch nicht gegenseitig im Alltag „hochpusht“. Die Gespräche sollten „dosiert“ sein und Ihr müsst Euch auch gegenseitig stoppen.

Versteh mich bitte nicht falsch, aber Deinem Schwager kannst Du nicht helfen, aber Deiner Schwester! Unterstütze sie! Er wird von all dem Elend unter Narkose und in seinem jetzigen Zustand nichts mitbekommen haben/mitbekommen. Aber Deine Schwester!

Aufgaben lenken ab - und wenn sie dann auch „sinnvoll“ sind (was in so einer Situation nun einmal eine andere Bedeutung hat), kann man manchmal ein klitzekleines gutes Gefühl entwickeln.

Alles erdenklich Gute für die nächste Zeit wünscht

Kathleen

Liebe Maralena,

mein Mitgefühl für diese schwierige Situation.

Wie man damit umgehen soll, dafür gibt es kein Patentrezept. Manchen hilft es, wenn sie drüber sprechen, für andere ist es besser, das nicht zu tun. Du äußerst das Bedürfnis, zu reden, dann solltest du das auch tun. Es ist meist der richtige Weg, dieser Stimme zu folgen.
Besser ist es aber, mit jemandem zu reden, der geschult ist. Das muss nicht gleich eine Therapie sein. Krankenhäuser haben in den onkologischen Abteilungen in der Regel einen psychoonkologischen Dienst. Wende dich am Besten direkt an das Krankenhaus und sage dort, dass du Hilfe brauchst, damit umzugehen und man dir bitte weiterhelfen soll. Du brauchst keine Scheu zu haben. Dafür sind diese Angebote da.

Viel Kraft

Max

Hallo !

Zu den Vorredenern möchte ich noch ergänzen, dass es viele Selbsthilfegruppe für Krebskranke, aber auch für deren Angehörige gibt. Sowohl „Live“, als auch im Internet.
Vielleicht kann es dir helfen, dich dort auszutauschen.

Erkundigen kannst du dich auch bei der deutschen Krebshilfe, dort bekommst du auch Informationen darüber, welche Anpsrechpartner es evtl. in deiner Wohnortnähe gäbe. Die Hilfen dort greifen i.d.R. rasch und unkompliziert.

Ich wünsche dir alles Gute !

Liebe Kathleen,

Deine Antwort hat mich sehr getröstet.
Herzlichen Dank und Dir alles Gute

Maralena

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Lieber Max,

Das muss nicht gleich eine Therapie sein. Krankenhäuser haben
in den onkologischen Abteilungen in der Regel einen
psychoonkologischen Dienst. Wende dich am Besten direkt an das
Krankenhaus und sage dort, dass du Hilfe brauchst, damit
umzugehen und man dir bitte weiterhelfen soll. Du brauchst
keine Scheu zu haben. Dafür sind diese Angebote da.

entweder das nicht unbekannte und nicht kleine Universitätsklinikum hier im Norden ist diesbezüglich unqualifiziert oder die Psychoonkologen haben wirklich nur die Aufgabe, sich um die Krebspatienten zu kümmern???

Mein Mann hat den Psychoonkologen aus dem Zimmer geschmissen mit der Aussage „Ich brauche Sie nicht, ich habe meine Frau!“ Ich habe versucht, mit dem Psychoonkologen zu sprechen, da ich mich in dieser von meinem Mann gewünschten Rolle Unterstützung erhoffte, da ich mich stellenweise auch überfordert fühlte und ich schließlich kein Psychologe bin. Ich bekam nur zu hören: „Wir können nichts gegen den Willen Ihres Mannes machen!“ Die hat es einen Sch… interessiert, wie es mir ging!

Ich hoffe, Du hast Recht und andere Krankenhäuser arbeiten anders. Die, die wirklich geholfen haben und mir gesagt haben, dass ich mich jederzeit melden dürfe, auch wenn ich nur mal reden will, waren die Menschen vom Sozialdienst im Krankenhaus.

Viele Grüße

Kathleen

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