Hallo!
Die Leiterplatte soll prinzipiell ein Ölbad in Mineralöl
nehmen und zwar so lange bis sie ihre funktion nichtmehr
ausführen kann. Ließe sich das berechnen oder abschätzen?
Zu viele Materialien sind beteiligt, deren Eigenschaften unter den speziellen Bedingungen unbekannt sind. Auch die Hersteller der Bauelemente sind dazu i. d. R. nicht aussagefähig.
Wenn das umgebende Medium nicht Luft ist (auch darin können zuweilen Stoffe enthalten sein, die für Überraschungen gut sind), sondern z. B. ein Öl, ist von vornherein nur gewiss, dass sich alle möglichen Kapazitäten, etwa zwischen Leiterbahnen und zwischen Bauelementen, vergrößern. Das liegt an der im Vergleich mit Luft größeren Dielektrizitätszahl des Mediums. Zudem werden vermutlich manche Kunststoffe aufgehen wie ein Hefekuchen (bildlich, aber sehr zutreffend). Es gibt zahllose verschiedene Öle, die in sehr unterschiedlicher Weise auf Werkstoffe wirken.
Dein Problem ist keineswegs besonders ungewöhnlich. Abgesehen von natürlich auch etlichen bekannten Unverträglichkeiten hat man es i. d. R. mit so vielen Materialien zu tun, dass nur der Versuch klug macht. Dazu bedient man sich einer einfachen Zeitraffermethode: Man lege die bestückte Leiterplatte mit ihrer bunten Materialmixtur ins Ölbad mit genau der zu testenden Ölsorte (weil eben verschiedene Öle sehr unterschiedliche Eigenschaften besitzen), das Ganze in den Materialprüfschrank und lasse Temperaturzyklen ablaufen, z. B. -20°C bis +60°C. Dann merkt man spätestens nach wenigen Tagen und einigen Dutzend Zyklen, was sich da alles verändert und auflöst. Von manchen angeblich ölresistenten Teilen werden nur noch unförmige Gebilde übrig bleiben.
_Aus dem Nähkästchen: Vor Jahren brauchte ich einen ölresistenten Faltenbalg für das Entwicklungsmuster eines Sensors. Klar, sowas kann man selber gießen, aber Formherstellung für ein Einzelstück erschien mir zu viel Aufwand zu sein. Deshalb hielt ich es für naheliegend, millionenfach eingesetzte Faltenbälge zu verwenden, die fast nichts kosten und in ihrer gewöhnlichen Anwendung ölresistent sein sollten. Ich benutzte den Faltenbalg, der das Lenkgetriebe zur Spurstange eines Pkw abdichtet, baute meine Elektronik drumherum und legte die Anordnung im Ölbad in den Klimaschrank, um meine Elektronik Temperaturstress auszusetzen. Zu meiner Verblüffung wurde der Spurstangen-Faltenbalg immer größer und unförmiger und löste sich im Öl auf. Ich setzte aber kein Motorenöl ein, sondern Weißöl, das man in der Pharmazie als Abführmittel und in der Lebensmitteltechnik zum Schmieren von mit Lebensmitteln in Berührung kommenden Teilen verwendet. Seitdem weiß ich: Spustangen-Faltenbälge vom Opel-Kadett und Weißöl vertragen sich gar nicht
.
Bei anderer Gelegenheit musste ich lernen, dass manche in der Optik gebräuchlichen Vergütungsschichten alle Tests überstehen, Radiergummitest, Salzwasser, Kochtest - alles bestens. Aber wehe, diese Schicht kommt mit destilliertem Wasser in Berührung und wird auch nur geringem Temperaturstress ausgesetzt. Binnen kürzester Zeit zerfressen.
Bei wieder anderer Gelegenheit (ich entwickelte über viele Jahre faseroptische Sensorik) ging es um die Reinigung von mit einer hauchdünnen Kunststoffschicht ummantelten Glasfasern. Funktionierte mit reinem Alkohol klaglos. Irgendwann benutzte ich aber Brennspiritus zur Reinigung. Funktionierte ebenso, aber nach längerer Zeit kam es zu gehäuften Ausfällen. Nach mühsamer Suche und erst nach Untersuchung von Materialunverträglichkeiten unter Temperaturstress stellte sich heraus, dass es Spiritussorten gibt, deren Vergällung zur Schädigung der Kunststoffschicht auf den Glasfasern führte. Nach solchem Mist kann man sich totsuchen.
Und weil das so ist, läuft in meinem Labor schon seit vielen Jahren gar nichts mehr ohne Materialprüfschrank und vielen Temperaturwechseln. Was darin absolut nicht kaputt gehen will, bekommt noch einen kräftigen UV-Strahler dazugestellt. Dann bleibt kaum etwas ganz, wenn es nicht gerade massive Metallteile sind (die zerlegen sich dann in Resonanz gebracht auf der Rüttelplatte). Manchen Leuten reicht auch das nicht. Die wollen zusätzlich Resistenz gegen Gammastrahlung nachgewiesen haben…_
Also: Nehme deine Elektronik, lege sie in die Ölsorte deiner Anwendung, nehme die Anordnung in Betrieb und lasse tagelang Temperaturzyklen durchlaufen. Hinterher weißt du, wo die Schwachstellen liegen. Eine andere sichere Möglichkeit, das herauszufinden, gibt es nicht.
Gruß
Wolfgang