Hallo Lydia,
entschuldigen Sie die Verzögerung, ich habe erst mal zwei Nächte darüber geschlafen, da mir nicht spontan etwas eingefallen ist, wie ich antworten soll. Eine Patentlösung kenne ich nicht, aber ich möchte Ihnen doch antworten.
Letztlich habe ich auch zwei Antworten anderer Leute zu Ihrer Frage gelesen und zumindest bei einer davon habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt.
Aber so ist das, mehrere Menschen bewerten eine Situation unterschiedlich und haben andere Sichtweisen. Vielleicht können Sie aus dem Puzzle ein eigenes Bild gewinnen.
Im Grunde geht es genau darum. Wenn Sie bei mir im Gespräch wären, würde ich keine Ratschläge geben, wie ICH etwas machen würde oder empfinde. Es geht darum, wie SIE es sehen und was Sie sich zutrauen, umzusetzen. Insofern würde ich Sie ermutigen, Ihre eigene Vorgehensweise zu finden.
Ich glaube, indem Sie bereits im Vorfeld eine Hilfe suchen oder einen Weg überlegen, zeigen Sie, dass Sie bereits auf einem guten Weg sind.
Wie können Sie es diesem Mann sagen? Wie überbringt man eine schlechte Nachricht?
Sie schätzen es vermutlich ganz richtig ein, dass Ihr früherer Mann verletzt reagieren wird. Erst hat er seine Frau gehen lassen müssen, nun wird auch seine Tochter gehen und er bleibt allein zurück. Wie er aus der Verletzung heraus reagiert, ist schwer abzuschätzen.
Sicher ist es so, dass Sie zunächst das Wohl Ihrer Tochter im Auge haben und danach Ihr ei-genes. Doch wenn Sie fragen, wie dieses Wohl sichergestellt werden kann, dann mag es hilf-reich sein, etwas um die Ecke zu denken und zu fragen, wie kann auch dem Empfinden dieses Mannes Rechnung getragen werden. Denn wenn es gelingt, seine Sicht einzubeziehen, wird dies auch auf das Wohl Ihrer Tochter und Ihres einwirken, indem die Angelegenheit ruhiger verläuft und Brücken nicht abgebrannt werden.
Wenn ich Ihr Schreiben richtig verstanden habe, möchte Ihre Tochter doch grundsätzlich den Kontakt beibehalten und möchte vermeiden, dass der Vater sie dann nicht mehr sehen will („wenn du gehst dann für immer“).
Kurz zu einer der anderen Antworten: Dem Mann einen Abschiedsbrief hinzulegen, so dass er ohne Ankündigung eine verlassene Wohnung vorfindet, um es sich selbst leichter zu machen, sehe ich nicht so positiv.
Auch sehe ich es kritisch, wenn zu stark pathologisiert wird, das heißt, bei Ihrer Tochter be-reits eine Therapiebedürftigkeit gesehen wird. Ich kann keine Therapienotwendigkeit daraus ablesen und habe Ihr Schreiben auch nicht so verstanden. Ein 13-jähriges Mädchen erkennt die Probleme doch ohnehin und ihr etwas zuzutrauen, statt sie abzuschirmen, sehe ich erst einmal nicht ohne weitere Anhaltspunkte als „psychisch verletzend“. Ich finde es im Gegen-teil nicht grundlegend problematisch, wenn ein Mensch sein 13-jähriges Kind ernst nimmt und mit ihm über seine Probleme spricht. Wohlgemerkt: Das ist nicht meine Einschätzung der Situation. Ich kenne nicht die Situation, ich kenne nicht die Tochter, nicht den Mann und nicht Sie. Manche Therapeuten „erkennen“ mir zu schnell einen Therapiebedarf, ohne die Person je gesehen zu haben, unterstellen Schuldkonflikte und raten „dringend“ zu einer The-rapie…, aber nun ja.
Darüber hinausgehend muss Ihre Tochter auch die Möglichkeit haben, sich gegen eine Über-tragung der Verantwortung abzugrenzen.
Ich würde Sie fragen (also ohne dass ich die Antwort erwarte, sondern, dass Sie selbst sich die Antwort geben), wie Sie die Situation einschätzen. Drängt die Zeit? Kann es ruhiger ange-gangen werden? Und dabei rede ich von Tagen, nicht allzu lange. Wenn die Zeit gegeben ist, dann könnte man den Auszug „vorbereiten“. Wenn Ihr Kontakt und Verhältnis zu Ihrem frü-heren Man stabil genug ist, wäre es vielleicht möglich, dem Mann die Situation Ihrer Tochter zu benennen und ihn zu fragen, was „er“ meint, was für die Tochter das Beste ist. Im Idealfall schlagen dann nicht Sie (oder die Tochter) etwas vor, sondern er selbst kommt zu dieser Er-kenntnis. Wenn nicht, geht es anders weiter. Schritt für Schritt. Es sei denn, wie gesagt, die Situation gebietet etwas anderes.
Wenn Sie zu dritt (Sie, Tochter, Mann) sprechen würden, dann wären Sie aus seiner Sicht 2:1. Bieten Sie ihm an, dass Sie gemeinsam zur Wahrung seiner Interessen eine Familienberatung aufsuchen. Natürlich werden dort primär die Interessen der Tochter gewahrt, aber Sie geben ihm etwas an die Hand. Habe ich klar gemacht, was ich meine? Sie sollen natürlich das Wohl Ihrer Tochter erreichen. Aber vielleicht erreichen Sie es besser, indem Sie Ihren früheren Mann nicht nackt dastehen lassen, nur weil sie es könnten. Vorschläge, Mitgestaltungsmög-lichkeiten. All‘ dies könnte deeskalierend wirken. Denn so habe ich sie verstanden. Nicht ein-fach raus und danach die Flut.
Ich könnte mir aufgrund Ihres Schreibens gut vorstellen, dass Sie die nötige Fähigkeit, mit Bedacht zu handeln, bereits haben. Zur begleitenden Reflexion können Sie für sich selbst den Gang zu einer Beratungsstelle in Erwägung ziehen, um Ihre Entscheidungen mit besserem Gefühl treffen zu können.
Ich wünsche Ihnen allen dreien Kraft und Ruhe für Ihren Weg.