Hallo Ultra,
die Herleitung, ob 16:30 h in konsequent angewandter niederdeutscher Formulierung „halb nach vier“ oder „halb vor fünf“ heißen müsste, könnten wir auch noch angehen; „halb fünf“ ist jedenfalls eine Anleihe aus dem oberdeutschen System
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Die „Umschiffung“ von „zehn vor fünf“ hab ich bewusst vorgenommen, um zu zeigen, dass die Zählung nach Viertelstunden und das System genauerer Zeitangaben sprachlich verschiedene Hintergründe haben - genauere Angaben waren nicht relevant, bevor der Adler das erste Mal von Nürnberg nach Fürth gefahren war, und wurden auch nicht verwendet. Man findet übrigens noch lange im 19. Jahrhundert auch in Fahrplänen schriftliche Formulierungen, die sich auf die sich füllende Stunde beziehen: „4 1/4“, „4 1/2“, 4 3/4" usw.; die dem niederdeutschen System entsprechende Angabe „5 ./. 1/4“, mit der „viertel vor fünf“ ausgedrückt werden müsste, gibt es aber nicht.
Wie auch immer: Auch hier ist das Deutsche einmal mehr eher auf Ausnahmen denn auf Regeln gebaut, so dass Kriterien wie „Logik“, „Kohärenz“ und „Folgerichtigkeit“ nicht geeignet sind, und im vorliegenden Fall eben auch nicht „richtig“ oder „falsch“ gesagt werden kann, sondern allenfalls „gewohnt“ und „ungewohnt“. Letztlich entscheidet auch die Dominanz des Niederdeutschen in der Standardsprache seit 1866 nicht darüber, was richtig und falsch ist; darum geht es mir wesentlich.
Der Hintergrund des niederdeutschen Systems dürfte das Ablesen von Uhren sein, die sehr lange Zeit nur einen Stundenzeiger hatten, so dass es nahe lag, dass man sich jeweils auf die dem Zeiger am nächsten liegende Stunde bezog - daher auch die oben angeführte Inkohärenz des Systems, wenn es um die halbe Stunde geht, bei der nicht auszumachen ist, welcher vollen Stunde sie näher liegt.
Das oberdeutsche System ist vermutlich ein Erbe aus der römischen Besatzungszeit, in der die Stunden mit Ordinalzahlen benannt wurden: Da liegen die Formulierungen „ein Viertel weniger als die sechste“ oder „die fünfte und ein Viertel mehr“ nicht sehr nahe.
Wie auch immer: Sie sind so geworden, wie sie sind, die beiden Systeme der Benennung von Uhrzeiten im Deutschen, und keines der beiden ist „richtig“ oder „falsch“ - übrigens auch daran zu erkennen, dass ganz in der Nähe der Gegend, wo angeblich Deutsch gesprochen wird und am Sitz der Väter der deutschen Standardsprache Gebr. Grimm, nämlich im Raum Braunschweig - Göttingen, das oberdeutsche System durchaus verwendet wird.
Wenn man also einem Nichtmuttersprachler empfiehlt, sich vor allem mit dem niederdeutschen System von Zeitangaben zu beschäftigen, kann das nicht damit begründet werden, dass dieses das „richtige“, „logische“ oder „bessere“ wäre, sondern schlicht damit, dass Leute, die dieses System gewohnt sind, in sehr vielen Fällen das oberdeutsche System nicht verstehen, während Leute, die das oberdeutsche System gewohnt sind, in der Regel beide Systeme beherrschen: So dass man mit dem niederdeutschen System fast hundert Millionen Sprecher mit einer Klappe erschlagen kann (abgesehen vielleicht von dem piefke-aversen Teil der Kieberer, die Angaben im niederdeutschen System in voller Absicht nicht verstehen und ggf. dann auch falsch protokollieren), während das beim oberdeutschen System bloß vielleicht fünfzig oder sechzig Millionen sind.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder