Selbstmitleid & co
Hi vorstadtkrokodil,
ich fühle mich berufen, meinen Senf dazu abzugeben.
Dazu sollte ich erläutern und muss (wieder einmal) mich ein klein wenig outen, denn es hat mit meiner frühesten Kindheit zu tun:
Ich wurde unmittelbar nach meiner Geburt von meiner Mutter getrennt, denn diese hatte zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte „offene TB“.
Ich wurde den Schwestern des Johanniterorden übergeben (ich wurde in einem Krankenhaus geboren, welches dem Johanniterorden angehörte oder von diesem unterhalten wurde - ich weiss die Details dazu nicht so genau). Bis zu meinem zweiten oder dritten Lebensjahr verblieb ich wohl dort und kam anschliessend zu meinen Grosseltern (ich weiss nicht weshalb das so lief - die Gründe sind mir nicht genau bekannt).
Mein Grossvater, ein alter Preusse von Schrot und Korn, hatte wohl sehr früh erkannt, dass die Ehe meiner Eltern (in der Tat sehr sehr unglückliche Voraussetzungen) nicht gut gehen würde und unterzog mich einer wahrhaft preussischen Erziehung. Ich kann mich gut erinnern, dass ich (es war noch im Vorschulalter) früh morgens (vor 06:00h) nackt im Bad anzutreten hatte und dann musste ich mich mit einer Wurzelbürste unter fliessend kaltem Wasser waschen, bzw. säubern. Auch andere Erziehungsmassnahmen (so lehrte er mich das Schwimmen, indem er mich, mitten auf dem Wannsee, einfach über Bord warf) waren doch etwas auf der rauhen Seite und dienten wohl (zumindest heute sehe ich das so) dazu, mir jegliches Selbstmitleid auszutreiben und mir eine gewisse Härte mir selbst gegenüber einzuimpfen bzw. einzubläuen. Ihm, also meinem Grossvater, war wohl klar, dass ich, ohne eine gewisse Härte mir selbst gegenüber, wohl kaum „Überlebenschancen“ in dieser Familie haben würde (die Familie meiner Mutter und meines Vaters). Sicher, mein Grossvater war nicht gerade ein begnadeter Pädagoge aber seine „Erziehungsmassnahmen“ haben möglicherweise funktioniert, denn mir ist jegliches Selbstmitleid gänzlich fremd. Zumindest komme ich mit Niederlage und Enttäuschungen gut zurecht. Ich brauchte diese Eigenschaft bzw. Fähigkeit dann auch. Im Alter von dreieinhalb kam ich dann zu meiner Mutter und die folgenden Jahre waren der Vorhof der Hölle (ja, Kindesmisshandlung in allen Facetten gab es schon damals (in den 50-er Jahren)).
Nun zum eigentlichen Thema:
es gibt jemanden, der mir am herzen liegt, der allerdings
extrem zu selbstmitleid neigt. ich weiß oft nicht, wie ich mit
ihm am besten umgehen soll.
Ich empfehle den geraden Weg (Manche werden nun aufschreien). Sprich mit der Person ganz offen darüber. Sag dieser Person, dass sein Selbstmitleid einfach nicht auszuhalten ist und eine starke Belastung für eure Beziehung ist. Sag dieser Person, dass sie Dir am Herzen liegt aber eben diese Zuneigung auf eine sehr harte Probe gestellt wird. Fordere von dieser Person Selbstdiziplin! Ja, fordere. Aber sei dabei ehrlich und überziehe nicht. Verliere Dich dabei nicht in Details. Versuch dabei Vorwürfe zu vermeiden.
ich möchte in schwierigen situationen nicht auch noch einen
oben drauf setzen
Das wird sich nicht so ganz vermeiden lassen.
…und manchmal bin ich auch wirklich verdammt wütend
deswegen
Dein gutes recht.
…aber irgendwie auch auf mich selbst, weil
ich mich überhaupt damit auseinandersetze.
Aber das ist gut. Mitgefühl ist eine gute und wichtige Eigenschaft und Fähigkeit.
was kann ich im umgang mit ihm und für mich selbst tun?
Nun, ich hoffe, dass meine Einlassungen etwas zur Klärung und zu Deiner Hilfe beitragen können.
Freundliche Grüsse
Ray