Wie viel Unterhaltung braucht das Kätzchen?

Lernen gegen die Angst
Hallo,

Genau, und das Gefühl bekommt das Tier nicht, wenn man es dauerhaft zwingt. Vertrauen kommt von alleine.

Das stimmt nur sehr bedingt. Katzen aus menschennaher Aufzucht werden dadurch auf den Menschen geprägt, dass sie bereits in den ersten Tagen und Wochen immer wieder hochgenommen und gestreichelt werden. Sie machen dabei die Erfahrung, dass ihnen nichts passiert und lernen den körpernahen Umgang mit dem Menschen als selbstverständlich kennen.

Dieses Hochnehmen, Festhalten und Streicheln passiert nicht mit dem erklärten Willen der Katzen. Sie brauchen zum Überleben als Katze keinen engen Menschenkontakt, also sieht ihr genetisches Programm einen solchen nicht zwangsläufig vor.

Betrachtet man sich die Fähigkeiten eines neugeborenen und sehr jungen Katzenwelpen, dann lässt sich feststellen, dass die Tiere sich deswegen nicht gegen diese Behandlung durch den Menschen wehren, weil sie es schlicht und ergreifend nicht können.

Da ihnen dabei aber nichts Schlimmes geschieht, nehmen sie in ihr Verhaltensprogramm auf, die (körperliche ) Nähe zum Menschen zu akzeptieren und später möglicherweise auch zu suchen. Eine menschenbezogene Katzenmutter unterstützt dies durch ihr eigenes Vorbild in der Phase der Sozialisation. Das Entscheidende ist aber schon vorher passiert.

Bei dem Katzenwelpen im UP ist bereits ein Entwicklungsstadium erreicht, das es dem Tier ermöglicht, sich gegen ungewohnte Behandlung zur Wehr zu setzen. Das Tier hat bislang nicht die Erfahrung machen können, dass Körpernähe zum Menschen nichts Gefährliches ist. Es reagiert demzufolge mit Abwehr.

Die Methode, mit der Katze nun das Selbe zu tun, was man (bewusst und gezielt und selbstverständlich) mit einem jüngeren Welpen getan hätte, bietet der Katze die Chance, eine Lernerfahrung nachzuholen. Dies wird zum Teil nicht mehr im selben Umfang gelingen, da Prägung und Sozialisation unterschiedliche Intensität in der Wirkung auf Verhaltensweisen haben.

Es zeigt sich bei sehr vielen Angstreaktionen von Tieren, dass es kontraproduktiv ist, diese Verhaltensweisen zu unterstützen, indem man zulässt, dass das Tier sich der Situation entzieht.

Holt man nun also nach, was das Tier in der Prägephase nicht erlebt hat, passiert Folgendes: Die Katze zeigt instinktiv Gegenwehr und möchte sich der unbekannten und daher für sie zunächst bedrohlichen Situation entziehen. Lässt man dies zu, lernt die Katze: „Wenn ich mich wehre, entgehe ich der Gefahr“. Sie wird in der Folge auf jeden Versuch, sie hochzunehmen oder festzuhalten erst recht mit Abwehr reagieren.

Da diese Gefahr aber de facto gar nicht besteht, ist diese Lernerfahrung für das Zusammenleben mit dem Menschen kontraproduktiv. Hält man die Katze nun gegen ihren Willen fest, wird sie irgendwann die Gegenwehr aufgeben. Und genau dann kann und wird sich die Erkenntnis festsetzen, dass die scheinbar so gefährliche Situation überlebt wurde und somit gar nicht wirklich gefährlich war.

Wiederholt man dieses Vorgehen in kurzen Abständen regelmäßig, geschieht auch für die Katze eine Lernwiederholung in dem Sinn, dass sich in ihrem Gehirn die Erkenntnis festigt, dass Körperkontakt zum Menschen nicht gefährlich und somit kein Grund zur Gegenwehr ist.

Was hier passiert, ist Lernen. Und es funktioniert in dieser Art und Weise nur deswegen noch gut, weil die Sozialisationsphase noch nicht abgeschlossen sind. Ist diese vorbei, stehen die Chancen auf nachhaltig positive Lernerfahrungen im Zusammenhang mit dem Umgang mit Menschen weit schlechter.

Schöne Grüße,
Jule

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Hallo Jo,

Deine Tiere vertrauen dir einfach nicht genug.

Es geht hier nicht um meine Tiere.

Alles andere, was du beschreibst ist das Ergebnis einer frühzeitig positiv menschengeprägten Erziehung. Mit dir selber hat das erst mal wenig zu tun, auch wenn du und deine Katzen in der Folge natürlich davon profitieren. Die Katze der UP hat ein ganz anderes Problem.

Schöne Grüße,
Jule

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Hallo,

ich glaube, es kommt einfach auf das richtige Maß an. „Dauerhaft zwingen“, wie jo schrieb, ist sicher falsch.
Auch sind die Voraussetzungen von Katze zu Katze verschieden. Ist die Katze sowieso ängstlich, so muss man sicher viel behutsamer vorgehen als wenn sie neugierig durch die Wohnung spaziert.
Unser erster Kater (14 Wo) hatte eingeschüchtert die Nacht und den Vormittag unter dem Schrank gesessen. Ich habe mich dann stundenlang (mit Unterbrechungen) in einiger Entfernung vor den Schrank gelegt und sanft gesprochen. Langsam kam er raus. Eine Bewegung meinerseits und er war wieder drunter. Dann Spielen mit dem wackelnden großen Zeh u.s.w. Nach ein paar Stunden schlief er auf dem Bürostuhl und ließ sich anfassen. ich denke, das wäre nicht so schnell geschehen, wenn ich ihm nicht meine Anwesenheit „aufgezwungen“ hätte. Ihn hervorzuziehen wäre genauso schlecht (bzw. schlechter) gewesen.

Gruß, Niels

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Hallo Niels,

ich denke, wir gehen von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Es macht einen Unterschied, ob eine grundsätzlich menschengeprägte Katze, die ausreichend lang bei der Mutter war, ein paar Tage lang Unsicherheit und Scheu zeigt oder ob die Umstände so liegen, wie bei der Katze der UP.

„Dauerhaft zwingen“, wie jo schrieb, ist sicher falsch.

Hier muss man den Begriff „dauerhaft“ definieren. Nach meiner Erfahrung dauert es zwischen zwei und fünf Tagen, bis die Katze den Körperkontakt akzeptiert, auch abhängig von der Häufigkeit des Hochnehmens und der Konsequenz des Festhaltens. In diesem Zeitraum wird sie also unter Umständen durchaus „dauerhaft gewungen“. Ich nehme die Katzen bis zu zwanzig Mal am Tag auf den Arm.

Ist der Punkt erreicht, an dem die Katze das Hochnehmen toleriert, entfällt dabei bereits der Zwang des Festgehaltenwerdens. Die Katze liegt ruhig auf dem Arm und wird nach einer kurzen Weile wieder abgesetzt. Das Ganze wird über einige Tage gefestigt und dann in der Häufigkeit nach und nach reduziert.

Je nach Alter, der genetischen Disposition und den Vorerfahrungen reicht das Ergebnis von Katzen, die soviel Vertrauen gelernt haben, dass sie jederzeit anzufassen, hochzuheben und festzuhalten sind, wenn das nötig wird (Tierarzt, Körperpflege…)bis hin zu solchen, die von sich aus Körperkontakt suchen und diesen auch einfordern.

Beim Umgang mit älteren und/oder erwachsenen Katzen klappt das in dieser Form nicht mehr. Da sind dann andere Methoden gefragt.

Schöne Grüße,
Jule

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