Hallo Ralf,
gerade an der Mosel hab ich vor einigen Wochen ein wenig über das Thema sinnirt - ich war ohne große „Vorbereitung“ dort unterwegs und ein wenig betrübt darüber, wie schwer und ganz anders als erwartet es war, im Blindflug von den dortigen - zugegebenermaßen mit ziemlichem Geschick umgelegten - Wingerten ein paar Schoppen zu finden, die diesen prächtigen Steillagen angemessen sind, die trotz der putzigen Einschienenbahnen im Grund heute noch wie vor hundert Jahren mit Hacke, Buckelspritze und Butte bearbeitet werden müssen. In vager Erinnerung hatte ich einen Elbling, mit dem vor gut zwanzig Jahren mal eine Geburtstagsfeier bestritten worden war, an der ich Teil hatte - bis ins Morgengrauen zwar nicht gesoffen, aber immerhin standhaft getrunken, und am anderen Tag (subjektiv, gefühlt) frisch wie der junge Morgen: Was für ein Stoff! Aber das waren halt Flaschen ohne Etikett gewesen, damals, bevor die Mengenbegrenzungen am Kataster aufgehängt wurden - nicht die für die Kunden. Jetzt, mit dem Radel von der Eifel aus ein paar zig Kilometer auf der Höhe Cochem - Bullay unterwegs, haben wir trotz in den Rheingauer Jahren geschultem Blick für die interessanteren Straußwirtschaften, kaum etwas getrunken, was den Schiefer, die dürren Hänge, den Abfluss jedes Fitzelchens Kaltluft und die brutale Sonneneinstrahlung, die frischen Nächte im Spätsommer, die ganze Quälerei im Wingert schmecken ließ. Das meiste war halt Handelsware für kreischende Chefsekretärinnen und Skatrunden.
Gleichzeitig sehe ich jedesmal, wenn ich die alte Rheinlinie entlang fahre, die aufgelassenen Wingerte dort: Man kann an der Struktur der Verbuschung sehen, welche vor und welche nach der Umlegung aufgelassen worden sind - am Mittelrhein, der nicht die Reputation der Mosel hat, hat man als Winzer wohl bloß die Wahl, guten Wein zu machen oder aufzuhören. So wie an der Nahe hinten, wo so gut wie jeder Schritt in eine Straußwirtschaft ein Gewinn ist.
Einige Zeit später in Tauberrettersheim ein ähnliches Erlebnis wie an der Mosel: Zuerst freudig bewegt darüber, daß da Tauberschwarz auf der Tafel stand, und dann schnell ein wenig enttäuscht darob, daß man das Ergebnis wohl auch als Carignan hätte anbieten können, ohne daß es jemandem groß aufgefallen wäre.
Der Unterschied ist halt, daß die vergleichsweise wenigen Winzer an der Mosel, die die Schätze auch heben, auf denen sie sitzen, wegen der Reputation des Gebietes die Möglichkeit haben, in der Zwanzigeuroliga mitzuspielen (und damit die mühselige Krauterei am Hang schon bezahlt kriegen), während das am Mittelrhein und an der Nahe nicht so leicht geht und an Kocher, Jagst und Tauber erst anfängt (Prosit Niedernhaller Distelfink!) und daher mit einem Risiko verbunden ist, das einer nicht ohne weiteres tragen kann.
Der Erhalt von Kulturlandschaften kommt mir, wenn ich den Umfang der erhaltenen mit dem Umfang der auf Dauer verlorenen vor Augen führe, vor wie ein Haschen nach Wind. Die Steinriegel an Jagst und Tauber, die Wacholderheiden und Schlehenhecken auf der Alb, die Mostapfelalleen in meinem alten schwäbischen Oberland, die Kirschenalleen in Sachsen, die Streuwiesen an den Weihern im Bodenseeraum, die nur ziemlich kurz gebrauchten, aber prägenden Triftanlagen im Pfälzerwald: Das ist alles vorbei und kann allenfalls exemplarisch, museal an einzelnen Stellen erhalten werden.
In einem früheren Leben hat mir einmal ein Prof, der sich mit der Evaluierung von Investitionen aus privater und aus öffentlicher Hand beschäftigt hat, vorgerechnet, daß die Mittel, die für Flurbereinigung einschließlich der Maßnahmen in leichter zu bereinigenden, eher ebenen Gebieten mit Ackerbau und Grünland aufgewendet worden sind, zu einem normalen Sparbuchzins angelegt, bei Verteilung der Zinsen als flächenabhängigem Bewirtschaftungszuschuß den Nutznießern der Flurbereinigungsverfahren ein ziemlich auskömmliches Leben ermöglicht hätten, jedenfalls monetär bewertet einen eher höheren Nutzen gebracht hätten als in der Anwendung, die sie gefunden haben.
Sicher ist es ein Holzhammerexempel, wenn man hier immer wieder den Kaiserstuhl strapaziert - umso erfreulicher übrigens, wenn Du hier sine ira et studio antwortest, obwohl der Kaiserstuhl Dir respektive Deinen Kollegen von BUND & Co wahrscheinlich mit schöner Regelmäßigkeit unter die Nase gerieben wird.
Trotzdem finde ich es als Gedankenspiel ganz interessant, wenn man sich mal die Gegenprobe ausmalt: Wie sähe das denn aus, wenn man Flurbereinigungs- und Reblandumlegungsmaßnahmen ganz bleiben ließe?
Die nicht mehr mit angemessenem Aufwand zu bewirtschaftenden Flächen blieben liegen, verbuschten wie die Gemüse-, Obst- und Ackerbauterrassen im Speyerbachtal, im Jagsttal, im Taubertal etc., wie auch die ehedem wunderschöne Partie zwischen Senheim und Kloster Stuben mitsamt der unter Naturschutz gestellten, aber als Kulturlandschaft dadurch nicht geretteten Insel bei Senheim, die den brutalen Franzosenkanal zwar überlebt, aber den Wandel der Zeiten nicht überstanden hat. Teile davon blieben kultiviert erhalten - die von den Winzern aus der Zwanzigeuroliga. Andere würden möglicherweise ihr Gesicht ändern, aber Kulturland bleiben: Als wohlfeil zu pachtende Flächen für Ziegenhaltung. Die Attraktivität zum Wohnen, Leben und auch für den wirtschaftlich in Mittelgebirgen bedeutenden Fremdenverkehr ginge wahrscheinlich zurück, weil die Mittelgebirgstäler wieder finsterer würden, eben nicht mehr so ein freundliches Gehügel böten wie der Rheingau heute.
Tier- und Pflanzenwelt würde sicherlich auch anders, Kulturfolger hätten das Nachsehen wie in den Städten und deren Umgebung die Spatzen, die ich heute schon extra begrüße, wenn ich einmal einen oder einige sehe.
Gleichzeitig könnten sich lokal Winzergenossenschaften, die das Konzept „Wein und Landschaft“ konsequent verfolgen, genau mit dieser dann seltenen, ergo „wertvollen“ Landschaft profilieren, und ggf. dann auch - warum nicht - von den örtlichen Erlebnishotelfritzen und Konsorten den Obolus dafür einheben, daß sie sich auf - in diesem Fall dann aber „authentischen“, kleinen - Terrassen herumquälen. Ein immerhin auch mögliches Ergebnis wäre, daß die Landschaften, die bei der AREV bisher eher virtuell existieren, dann tatsächlich erhalten und gepflegt würden.
Ach, ich weiß es doch nicht. Aber dem Riesling, dem Spätburgunder, dem Silvaner, dem Lemberger tuts halt oft gut, wenn man weniger daran macht. Da könnt man das doch mit den Wingerten auch einmal sorum probieren.
Schöne Grüße
MM