Wie würde man den Fall George Floyd nach deutschem Recht bewerten?

Hallo und Guten Tag,

nachdem ja durch diverse Videoaufnahmen, die im Fernsehen und Internet zu sehen waren bzw. es noch sind, mehr oder weniger fast die ganze Welt Zeuge des grausamen Todes des schwarzen US-Amerikaners George Floyd in Minneapolis in Minnesota wurde, weil, als Floyd auf dem Boden lag, der weiße Polizist Derek Chauvin auf seinem Hals kniete:

…würde mich interessieren, wie wohl dieser Fall rechtlich zu bewerten wäre, wenn er sich so in Deutschland abgespielt hätte? Der Tatablauf ist ja eindeutig dokumentiert, aber nach welchem deutschen Paragraphen könnte sich Derek Chauvin schuldig gemacht haben? Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB? Oder Mord gemäß § 211 StGB? Läge beim Fall George Floyd eventuell ein bedingter Vorsatz, ein Eventualvorsatz vor, weil Derek Chauvin George Floyds Tod billigend in Kauf nahm?

Oder müsste man mit berücksichtigen, dass Chauvin ja im Rahmen seiner hoheitlichen Tätigkeit als Polizist gehandelt hat, wäre das nach deutschem Recht ein mildernder Umstand?

Was meinen Juristen dazu?

Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinungen,

Jasper

Ich möchte mich nicht an dem Versuch beteiligen, hier einen Fall als vollständig aufgeklärt zu betrachten, um ein endgültiges Urteil zu fällen oder die vermeintlich sicher einschlägigen §§ zu benennen. Einzelne Fragen zu beantworten und Aspekte zu beleuchten, halte ich für legitim.

Zunächst einmal ist sicher an Totschlag zu denken (§ 212 StGB). Nach der Rechtsprechung könnte der Tatbestand erfüllt sein, wenn kein Mord vorliegt. Nach der herrschenden Rechtslehre ist Totschlag der Grundtatbestand von Mord und also immer erfüllt, wenn ein Mord vorliegt. Totschlag ist die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen.

Die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen, die sich durch eine bestimmte Form der Begehung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) oder ein bestimmtes Motiv (aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niederen Beweggründen oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken) qualifiziert, ist Mord (§ 211 StGB).

In Betracht kommt fahrlässige Tötung (§ 222 StGB).

Zu denken ist an die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB). Die einfache Körperverletzung wäre wohl durch § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) qualifiziert, was den Strafrahmen erhöhte. Zu denken ist insbesondere auch an § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge).

*** Exkurs ***

An dieser Stelle muss man sich mit den Schuldformen auseinandersetzen, die du ja auch selbst ansprichst:

Es gibt drei Arten von Vorsatz: Absicht, direkter Vorsatz und bedingter Vorsatz = Eventualvorsatz.

Absicht: Der Täter wollte die Merkmale des Tatbestands erfüllen, es kam ihm darauf an.

Direkter Vorsatz: Der Täter wusste immerhin sicher, dass er die Merkmale des Tatbestands erfüllen würde.

Eventualvorsatz: Der Täter hielt es möglich, die Tatbestandsmerkmale zu erfüllen, und er nahm diese Möglichkeit billigend in Kauf.

Grundsätzlich reicht für Vorsatz jede dieser drei Möglichkeiten für sich aus. Beim Eventualvorsatz stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zur Fahrlässigkeit. Da gibt es eine einfache Formel:

Vorsatz: Ich weiß, dass es ich die Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte; na wenn schon!

Fahrlässigkeit: Es wird schon gutgehen.

Die innere Einstellung des Täters, die sich oft nur durch Indizien feststellen lässt (zu sehen an den Urteilen zur Frage, ob sich bestimmte Angeklagte mit illegalen Straßenrennen des Mordes schuldig gemacht haben), spielt eine entscheidende Rolle. Hätte der Täter weder für möglich gehalten, dass er das Opfer an der Gesundheit schädigt oder körperlich misshandelt, noch dass er es tötet, würden alle bisher genannten Straftatbestände, die einen Vorsatz voraussetzen, ausscheiden.

Der Unterschied zwischen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung besteht darin, dass der Täter zwar in beiden Fällen fahrlässig den Tod des Opfers verursacht, er in Bezug auf die Körperverletzung aber im ersteren Fall immerhin noch mit Vorsatz handelt.

*** Ende Exkurs ***

Die Festnahme erfüllt sicherlich den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB).

Wie man schon an dieser Strafvorschrift merkt, stellt sich auch die Frage nach der Rechtfertigung. Ein Polizist, der einen Verdächtigen festnimmt, darf das ja meistens, macht sich also nicht strafbar, obwohl er einen Straftatbestand erfüllt. Das Recht zur Festnahme ergibt sich aus § 127 StPO. Es kann sich insbesondere auch auf eine Körperverletzung beziehen. Eine Festnahme gegen den Widerstand des Festzunehmenden geht ja kaum schmerzfrei. Dass das Festnahmerecht hier das langfristige Abdrücken der Luftzufuhr rechtfertigt, ist natürlich äußerst unwahrscheinlich.

5 Like

Ich danke Dir für Deine ausführliche Antwort.