Servus,
ein ordentlicher Wiesbadener fährt Jaguar. Wiesbaden hatte einst eine gut funktionierende Straßenbahn, die schon 1955(!) mit großem Täterätä zur Modernisierung der Stadt mit Stumpf und Stiel rausgerissen wurde. Wenn Ihr einen gescheiten Nahverkehr haben wollt, zieht Ihr nach Mainz.
„Der Wiesbadener hat den Kleiderschrank voll, der Mainzer den Kühlschrank“: Essen und Trinken hält dem Mainzer in der Zeit zwischen den Johannisnächten Leib und Seele zusammen, Mainz ist eine Bauerngroßstadt. Wenn man dann doch einmal Lust auf einen Dialog von lauwarmen Marktgemüsen an seinem Schäumlein von Jakobsmuscheln hat, kann man immer in den Neuner steigen („die größte Attraktion in Wiesbaden ist die Buslinie 9“). Und für den kleinen Hunger nach so einem Sterneessen kann man dann immer noch nach Mainz hinüber ins Gebirg, in den Beichtstuhl, in den Spiegel, in den Domgickel oder wo auch immer man lustig ist, und sich an einem Spundekäs oder einem Spießbraten laben.
Freilich gibts in Wiesbaden viel mehr und teilweise relativ wohlfeile Wohnungen aus der Belle Epoque, am ersten Ring und Umgebung: Wiesbaden hat kaum Bomben erwischt, während in Mainz zeitweise das französische Prestigeprojekt erwogen wurde, die kläglichen Reste der Stadt vollends zu planieren und das Ganze von Le Corbusier neu aufbauen zu lassen. Dazu ist es aber gottlob nicht gekommen, die Stadt ist sehr gelungen wieder aufgebaut worden.
- A propos ÖPNV: Wenn man einmal von Ffm her kommend mit dem Zug über die Mainspitz nach Mainz eingeschwebt ist, vergisst man Mainz nicht wieder.
Ach und übrigens: Die Behauptung, Mainz sei von der Fassenacht geprägt, ist eine vom ortsansässigen ZDF ins Leben gerufene Legende. Es gibt schon engagierte Fassenachter in Mainz - „Ei, Fassenachd iss e ernschd Sach!“ -, aber viel wichtiger im großen Reigen der Mainzer Trinkanlässe sind die Johannisnacht (außer Dionysischem auch der bedeutendste Bücherflohmarkt und der schönste Kunsthandwerksmarkt Deutschlands) und im September der Weinmarkt im Stadtpark. Beides nicht zu vergleichen mit den üblichen Schützenfesten, die von Bier und Schnaps geprägt sind, und bei denen irgendwann um eins oder zwei die Burschen entweder müde oder rauflustig werden. Die Mainzer Leitdroge heißt Winzersekt, da ist um die gleiche Stunde das Lächeln von Dionysos auf allen Gesichtern - seid umschlungen, Millionen!
Schöne Grüße
MM
(Zwei Jahre Walpodenstraße, am Rand vom früheren Bermudadreieck, dann vier Jahre Münchfeld - zum Arbeiten war mir WI schon recht, damals)