Kleinstaaterei und so
Hallo A.,
es wäre viel zu kurz gegriffen, wenn man das Phänomen der deutschen Zaunkönigreiche auf diesen kurzen Zeitraum beschränkt sähe. Die letzten halbwegs erfolgreichen Bestrebungen, gegen Papst und Fürsten ein einheitliches deutsches Reich zu formen, hatten schon 1250 mit dem Tod Friedrichs II. von Staufen ein Ende, und auch nach der formalen Auflösung des Wechselbalgs „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ 1803 dauerte es noch sehr lange, bis 1919 mit der „Weimarer Republik“ ein deutscher Staat entstehen konnte - die „Reichsgründung“ 1871 hatte bloß eine Form für die bewaffnete Eroberung einiger Fürstentümer und Königreiche durch Preußen gebildet.
Das zunächst in der frühen Neuzeit schnell entwickelte Manufaktur- und frühe Industriewesen erlitt einen verheerenden Rückschlag mit dem dreißigjährigen Krieg 1618-1648, der das Gebiet des heutigen Deutschland weitgehend entvölkerte (und beiläufig das Kleinstaatenunwesen auf lange Zeit festigte). Jede Aussicht, die technisch und wirtschaftlich bereits völlig überflüssig gewordenen Feudalherren und kirchlichen Organisationen - Klöster und Deutschen Ritterorden - in ihre Schranken zu weisen oder gar abzuschütteln, war auf lange Zeit dahin. Das „Sonnenkönigtum“ bei Nachbars war viel besser dazu geeignet, das Ritter-, Grafen-, Herzogs- und Fürstengeschwerl auszusortieren.
Dass sich da in dem Gebiet, das der dreißigjährige Krieg ruiniert hatte, nichts erholen konnte, war zwar auch durch viele größere und kleine Kriegshändel - im Südwesten auch mit Nachbars - veranlasst, aber wesentlich durch den völlig überdimensionierten Konsum der Zaunkönige und Schrebergartenfürsten, die nicht bloß konsumierten, wo ein ordentlicher Kapitalist investiert, sondern auch jeweils für sich zu schwach waren, um auf den abfahrenden Zug des Kolonialismus aufzuspringen (was sich à la longue nach 1945 als ganz rentabel erwiesen hat, aber das ist nochmal ein ganz anderes Kapitel). Eine Idee davon, wie diese ehrenwerten Herrschaften ihre Länder schröpften, kann man insbesondere im süddeutschen Raum heute noch bekommen, wenn man sich die riesigen, prächtigen Schlossanlagen anschaut, die da aus winzigen Herzogtümern herausgepresst wurden: Mannheim, Karlsruhe, Solitude und Ludwigsburg sind bloß ein paar Beispiele. Wer trotz allem nicht mehr genug aus der Arbeit seiner „Landeskinder“ herausquetschen konnte, verkaufte sie kurzerhand als Söldner - von den rund 30.000 deutschen Soldaten, die 1776-1783 am amerikanischen Unabhängkeitskrieg teilnahmen, waren rund 20.000 allein aus Hessen, darunter nicht wenige von den Nachbarzaunkönigen zugekauft. Ein zwar belletristisch gemaltes, aber sauber recherchiertes Bild vom Anfang des 18. Jahrhunderts im Schrebergartenherzogtum Württemberg unter der Zecke Karl Alexander gibt Lion Feuchtwanger in „Jud Süß“.
Für Aufklärer und die Aufklärung, die als persönliche und materielle Träger ein nach vorne orientiertes, gedeihendes Bürgertum gebraucht hätten, bot die Mitte des 18. Jahrhunderts keine guten Karten - wer kennt heute noch die Namen Klopstock und Wieland außerhalb von Kreuzworträtseln?
Wenn auch Manufakturen und Industrie nicht so vorwärtskamen wie in anderen Ländern Europas, gediehen doch immerhin Handel und Finanzwesen: Geld und Waren brauchten auch die Schmarotzer - mit diesem weiten Bogen zurück zu „Sturm und Drang“: Einer seiner (vielleicht nicht literarisch, aber gemessen an seiner heutigen Bekanntheit) wichtigsten Vertreter war in jungen Jahren der Sohn einer der reichsten Familien aus der damals reichsten Stadt Deutschlands, die damals wie heute nicht so sehr von Manufaktur- und Industriewesen, sondern vor allem von Handel und Banken lebte: Johann W. Göthe - jemand, dem ähnlich den Spontis der 1970er/1980er Jahre als materielle Lebensgrundlage im Wesentlichen „Warten auf das Erbe“ genügte. Vor diesem komfortablen Hintergrund konnte er zusammen mit seinem Spontikumpel Herder in den legendären „Straßburger Jahren“ richtig wild kläffen, ohne wirklich zu beißen - nebst Kollateralschäden wie z.B. dem ruinierten Leben der böse sitzen gelassenen Friederike Brion, die halt auch bloß ein Spielzeug des Herrn Stürmers und Drängers gewesen war.
Nota/Disclaimer: Das ist jetzt alles ziemlich „tendenziös“ und keineswegs „ausgewogen“, sollte also in dieser Form und überzeichneten Verkürzung nicht irgendwelchen Lehrbeamten unterbreitet werden!
Schöne Grüße
Dä Blumepeder