Moin,
Der Buddhismus lehrt, dass es wesentlich ist, erstmal das Leid
zu erkunden. Um was für eine Form von Leid handelt es sich ?
Ist es ein Leid, das von uns durch äußeres Handeln
beeinflussbar ist oder nicht ? Ein Beispiel: Wenn das Leid
sich darin äußert, dass einer Hunger hat oder friert, dann
wäre die buddhistische Maßnahme der Wahl nicht, die
Einstellung zu Hunger oder Frieren zu verändern, sondern etwas
zu essen oder etwas anzuziehen.
Klar, eine Unterscheidung zwischen physiologischen
Beduerfnissen und,
sagen wir mal, gesellschaftlich gepraegten oder
charakterbedingten
Beduerfnissen zu treffen, ist wohl noetig.
hm…wieso gerade diese Unterscheidung? Dies war zumindest nicht das, was ich mit meinem Beispiel veranschaulischen wollte. Vielleicht wird es weiter unten deutlicher.
Ist dieser Schritt erstmal geschafft, gilt es zu
Handeln , wie oben beschrieben. Allerdings lässt sich
nicht alles Leid durch unser Handeln beseitigen. Es gibt
innere Ursachen von Leid, auf die wir auf diese Art keinen
Einfluss haben, z.B. wenn ein von uns geliebter Mensch stirbt.
Die Kernfrage ist, ob man eher handeln oder eher an seiner
Einstellung arbeiten sollte, was auch so formuliert werden
kann:
Genau. Und diese Frage stellt sich im Buddhismus so nicht. Wenn du Handeln kannst, um Leid zu lindern oder zu beenden, dann handle. Dies setzt aber voraus, dass du die Ursachen des Leids genau kennst, wobei mit Handeln durchaus auch gemeint sein kann, dass jemand eine Therapie macht, weil er zum Beispiel an einer Spinnenphobie oder Depressionen leidet.
Sollte mein Handeln nach aussen wirken, d.h. darauf zielen,
die
Umwelt zu veraendern oder sollte es nach innen wirken, also
Arbeit an
meiner Psyche sein?
Nein, so ist es nicht gemeint. Siehe oben. Das mit den inneneren und äußeren Ursachen ist auch keine wichtige Unterscheidung im Buddhismus. Wichtig ist, die Ursachen tatsächlich zu erkennen. Wie diese dann tatsächlich beschaffen sind ist erst in dem Moment relevant wo es darum geht, sie zu beseitigen.
Das kann man im Einzelfall oft schwer
entscheiden, denn es laesst sich kaum abschaetzen, ob sich die
Arbeit
lohnt und ob sie erfolgreich sein wird, ganz gleich welchen
der
beiden Wege man geht.
Auch diese Frage stellt sich im Buddhismus nicht. Der Buddhismus lehrt, dass es in jedem Fall einen Weg aus dem Leiden heraus gibt, sofern man die Ursachen richtig erkannt hat.
In diesem Fall wäre meiner Meinung nach die buddhistische
Maßnahme der Wahl nicht, unsere Einstellung zu den Dingen zu
ändern, sondern der Buddhismus geht in diesem Fall davon aus,
dass die Usrache dieses Leids in der Vorstellung davon, wer
wir sind, begründet liegt.
Aehm, ist das nicht eine Einstellung?
Schon, aber eben nicht eine Einstellung zu den Dingen, sondern eine Einstellung zu uns selbst, bzw. unsere Vorstellung davon, wer oder was wir eigentlich sind. Ich halte das für einen gravierenden Unterschied zwischen der buddhistischen Lehre und dem von dir zitierten Satz.
Wir sollten also nicht an unserer
Einstellung zu den Dingen arbeiten, sondern eher an uns selbst
und hier insbesondere an unseren Emotionen. (Ich gehe
mal davon aus, dass Emotionen etwas anderes sind als
Einstellungen).
Somit sind auch
Emotionen
Einstellungen, naemlich als Teile der Psyche.
Arbeit an der eigenen Einstellung ist also der Versuch, die
psychischen Muster neu zu programmieren (zu tunen,
einzustellen) und
diese Programmierung betrifft Emotionen wie Meinungen
(Haltungen)
gleichermassen.
Ok, mit dieser Definition komm ich klar.
Schauen wir uns also mal einen konkreten Fall an und vergleichen den Umgang damit entsprechend der buddhistischen Lehre und dem von dir zitierten Satz nach meinem Veständnis.
Das „Ding“, um welches es in diesem konkreten Fall geht, sind Hunger und Armut in der Welt.
Jetzt haben wir mehrere Personen in D, die nicht direkt selbst unter diesen Dingen leiden. Allerdings heißen sie diesen Zustand, dass es Hunger und Armut auf der Welt gibt, nicht gut (Einstellung/Wertung).
Bei einer dieser Personen kommt zusätzlich hinzu, dass er angesichts dieser schlimmen Zustände starke Gefühle von Ohnmacht und Wut empfindet.
Soweit gehen wir konform.
Jetzt trennen sich aber IMHO die weitere Vorgehensweise gemäß dem Buddhismus und dem von dir zitierten Satz.
Der Buddhismus würde sagen, der Mensch leidet nicht an den Dingen (Armut/Hunger), sondern an seinen Emotionen (Wut/Ohnmacht). Es ist also die Aufgabe dieses Menschen, die Ursachen für diese Emotionen in sich selbst zu finden. Seine Einstellung (Wertung) gegenüber den Dingen (Armut/Hunger) kann davon unberührt bleiben.
Laut dem von dir zitierten Satz wäre der Mensch jedoch angehalten, an seinen Einstellungen gegenüber den Dingen zu arbeiten. Er könnte sich zum Beispiel sagen, dass es unmöglich für ihn ist, Hunger und Elend von der Welt zu beseitigen, dass er sich also einfach damit abfinden muss, dass es dies gibt. Oder er könnte sich sagen, dass er sich nicht so aufregen soll, schließlich ist er ja nicht direkt selbst betroffen. Oder er könnte sich sagen, dass ein Teil dieser Armut von den Menschen selbst verschuldet ist, und diese seine Anteilnahme eigentlich gar nicht verdienen. Oder er könnte sich sagen, dass Angesichts der Überbevölkerung ein Gewisses Maß an Toten durch Hunger und den Folgen von Armut vielleicht gar nicht so schlecht ist etc.
Ist er mit dieser Strategie erfolgreich, kann er sein Leid ebenfalls verringern oder beseitigen. Allerdings hat sich dann auch seine Einstellung zu den Dingen geändert. Wie sehr diese Art zu Denken unsere heutige Gesellschaft prägt, sieht man meiner Meinung nach tagtäglich auch hier im Forum.
Das Leid anderer Menschen, das durch die Nachrichten tagtäglich in unser Bewusstsein drängt, führt nicht zu Mitgefühl (Mitleid), weil die Menschen vielleicht gar nicht mehr in der Lage sind, mit diesem (ihrem eigenen Leid, oder den durch das Leid anderer verursachten Emotionen) dann umzugehen. Statt dessen wird dann an der Einstellung gefeilt, um dieses Leid gar nicht erst an sich heran kommen zu lassen. Dabei heraus kommen dann eben Strategien wie dieses in meinen Augen unsägliche und penetrante „positive Denken“ (im konkreten Fall: sei froh, dass du selbst nicht betroffen bist, denk an die Überbevölkerung etc.), oder der Versuch, den anderen für seine Situation selbst verantwortlich zu machen (selbst schuld, warum setzen die so viele Kinder in die Welt etc.), oder eine gewisse Apathie (man kann doch eh nichts machen) etc.
Versteh mich nicht falsch, diese Strategie ist ja durchaus erfolgreich in dem Sinne, dass sie z.B. das durch die eigenen Emotionen entstehende Leid gar nicht erst aufkommen lässt, bzw. durch eine Einstellungsänderung eliminiert. Aber sie führt meiner Meinung nach zu einer zunehmend von Gefühlsarmut, Zynismus und Egozentrik geprägten Gesellschaft. Und das ist so ziemlich das Gegenteil von den Idealen und dem Weg zur Aufhebung des Leids durch den Buddhismus.
Gruß
Marion