Wird einem wohnungslosem Menschen die menschliche Würde aberkannt?

Folgendes passiert gerade einer Frau, Mitte 50, physisch als auch psychisch erkrankt nachdem sie viele Schicksalsschläge einstecken musste.
Zeitgleich kam es vor drei Jahren zu unverschuldeter Arbeitslosigkeit, Trennung vom Ehemann, dadurch Wohnung verloren. Dazu noch Todesfälle in der Familie, gekrönt von einem Schlaganfall. In den ersten zwei Jahren kam sie bei Familienmitgliedern unter. Durch Hartz IV dann auch Schulden aufgebaut.
Vor einem halben Jahr ging sie zum Staat und bat um Hilfe. Jetzt hat man ihr ein „Apartment“ in einem Heim für Wohnungslose angeboten. Nun kommt es zum aktuellen Problem. In diesem Zimmer ist ALLES verdreckt. Die vorhandenen „Möbel“ mit Panzertape repariert. Die Matratze kann man nur als HORROR PUR bezeichnen. Vollkommen hinüber. Die Sprungfedern kommen durch, der Bezug vollkommen versifft. In den Schränken bietet sich ebenfalls ein ekelerregender Anblick. Dreckig, Müll. Den Herd kann man unter eingebrannten Dreck nicht mehr erkennen. Wände ebenfalls vollkommen dreckig. Der Boden ist mit zerbrochenen Kunststofffliesen ausgestattet. Laut Aussage des Heimleiters dürfen keine eigenen Möbel besorgt werden. Es darf auch nicht renoviert werden.
Wie kann man gegen dieses menschenunwürdige Angebot vorgehen?
Oder gibt man seine Würde ab wenn man in diese Situation gerät?

Ich beginne ja schon zu fürchten, wohin diese Frage führen wird. Aber es gelingt mir grad nicht, meine allerwerteste Klappe zu halten. Also: das ist schrecklich - sowohl die Gründe, warum die Dame jetzt dort ist als auch die von Dir beschriebenen Zustände. Aber wenn ich das richtig verstehe, ist diese Unterkunft auch erstmal ihre einzige Möglichkeit ein Dach überm Kopf zu kriegen, auch richtig?

In dem Fall hilft vermutlich nur: selber schrubben macht sauber. Müll kann man wegbringen, versiffte Schränke auswischen, einen versifften Herd putzen. Den Boden mal soweit noch möglich schrubben. Den Bezug der Matratze ggf. waschen. Das ist doof, man hat die Sauerei ja selber nicht verursacht. Aber bitte, die Alternative ist doch in dem Siff zu leben oder notfalls gar kein Dach überm Kopf zu haben.

Und ich denke, wenn man das mit der Heimleitung abspricht, wird bestimmt das eine oder andere Putzmittel rausspingen. Und vermutlich auch eine neue Matratze, und vielleicht auch das eine oder andere Reparaturwerkzeug um das Panzertape „professioneller“ zu ersetzen. Und ganz ehrlich: diesen Teil hier würde ich mal in Frage stellen.

Wenn man da in Rücksprache handelt und denen keine (oder nur minimale) Kosten und keinen Aufwand verursacht, sind die vermutlich schon einverstanden.

Immerhin Einbettzimmer. Es gibt auch Unterbringung von Wohnungslosen in Mehrbettzimmern.

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Das ist richtig. Es gibt keine andere Möglichkeit ABER
in meinen Augen ist es nicht undankbar wenn man sich halbwegs „häuslich“ einrichten möchte und zumindest eine neue Matratze sowas wie Würde ausdrückt.
Ausserdem finde ich es auch absolut unwürdig einer kranken Frau so einen Dreckstall anzubieten. Sie selbst ist sehr gepflegt,nimmt weder Drogen noch Alkohol zu sich.
Ich selber habe oft mit Obdachlosen auf der Straße gesprochen. An vielen „Abstürzen“ ist leider der Staat nicht ganz unschuldig. Angeblich gibt es genug Hilfeangebote und Unterstützung vom Staat aber ich sehe es als Verwahrung an.
Gerade Menschen wie diese Frau können SO nicht wieder auf die Beine kommen.
Unterm Strich sind alle Wohnungslosen der letzte Dreck im Auge des Staates

Ihr finde die Schilderung zu schwierig zu verstehen im Zusammenhang mit Menschenwürde und dem durchgängigen Tenor, dass fast das gesamte bisherige Leben in gut 50 Jahren durch fremde böse Einflüsse bestimmt wurde. Menschenwürde ist etwas, was man in der konkreten Bedeutung auch für sich selber bestimmen muss. Ich kenne einzelne wenige Personen, die es für „unter ihrer Würde“ halten, trotz Arbeitslosigkeit einer Tätigkeit unterhalb ihrer formellen gefühlten Qualifikation nachzugehen.Ist nur Beispiel.
Für mich gehört zu Menschenwürde auch, dass ich meine eigene Würde achte und aufrecht halte. Das erfordert gelegentlich Entscheidungen, die ich keinem Anderen überlassen darf , muss ich halt Verantwortung für mich selber und meine Entscheidung übernehmen. Im konkreten Fall bedeutet das für mich, dass ich zumindest damit anfangen kann, Dreck sellber wegzuputzen. Das mag zwar unterhalb der gefühlten Menschenwürde liegen, ist aber mit eigener Aktivität zu beheben.
Amokoma1

Hi Ahnungslose,

Inwiefern ist der „Staat“ den Schuld? Was macht er den falsch / Was müsste er den anders machen?
Was müsste den getan werden um der Dir bekannten Dame zu helfen?

Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass die kommunalen Obdachlosenunterkünfte eine Art Notunterkunft darstellen, die eigentlich als Kurzzeitlösung gedacht sind.

Leider gibt es viele Obdachlose, die sich dort häuslich einrichten und dort Teils über Generationen (!!) wohnen.
Aus diesem Grund sind die Wohnungen auch in einem so schlechten Zustand: Man möchte einfach verhindern, dass sie zu attraktiv werden und noch mehr Menschen zu einem dauerhaften Aufenthalt zu verleiten.

Das ist zwar eine sehr unbefriedigende Situation. Aber eine Idee für eine andere Herangehensweise (Ich spreche bewusst nicht von „Lösung“) habe ich bis jetzt auch nicht gefunden.

Dein
Ebenezer

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Hi,

dass man sich zB selber einrichten kann, wenn man es noch vermag?
Dass der Staat SEIN EIGENTUM reinigt, bevor er jemanden dahin SCHICKT?

Aber der Staat spart bei denen, die sich am wenigsten helfen können. Damit sie sich nicht ausruhen und anstatt zu arbeiten lieber von Hartz4 leben. Was ja so viel attraktiver ist als sich gebraucht und nützlich zu fühlen, weil man Arbeit hat. Keine Abhängigkeiten erzeugen.
Für Referendare, die keine Stelle bekommen (das schafft man durchaus mit einer 1,0 nach zwei Staatsexamina, wenn man die richtige bzw. falsche Fächerkombination ht) lockt dann auch direkt Hartz IV, Arbeitslosenged gibt es nicht. Aber ich schweife ab.

die Franzi

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Wie schon erwähnt. Die Frau ist krank. Zeigt aber viel Eigeninitiative. Fährt zum Beispiel jeden Tag stundenlang durch die Stadt um Wohnungen zu besichtigen. Das obwohl sie sehr schlecht zu Fuß ist. Sie tut alles in ihrer Macht stehende um ihre Situation zu verbessern. Sie schreibt Wohnungsbewerbungen für ALLE angebotenen Wohnungen. Sie will auch arbeiten und ihr Leben wieder in eigene Hände nehmen.
Leider leidet sie unter Panikattacken und Depressionen. Trotzdem hat sie sich nicht aufgegeben. Seitdem ich sie kenne hat sie nicht einmal geklagt oder andere für ihr Elend verantwortlich gemacht. Es hat lange gedauert sie zu überreden staatliche Hilfe zu ersuchen.
Ich befürchte halt, dass sie sich aufgibt. Der Dreck in der Wohnung ist zu beseitigen aber diese verwöhnte Abstellkammer wird die Depressionen vermutlich verstärken.

ich möchte das thema einmal aus sicht der betroffenen angehen:

die einforderung von demut ist demütigung.
und das ist gleichbedeutend mit abgeben von würde.

die nöte in diesem land, sei bildungspolitisch, infrastrukturell, wohnungspolitisch, oder armut betreffend, sind bekannt. die chancen für aufstehen werden geringer.

alles andere von neoliberaler seite oder links-grün-extremen vorgetragene ist deren inhumanen egoistischen grundeinstellungen geschuldet. sie sind auch dafür verantwortlich, aber eben doch nicht. sie lassen es einfach zu.

rechtlich betrachtet steht zwar ein grundgesetz da, aber da ist nichts definiert. und wenn der persönliche lebensweg ein anderer als der behördlich erwartete ist, bleibt da wenig bis nichts.

pasquino

Das beantwortet aber meine Frage nicht.

Warum bekommt sie die Wohnungen die sie sich angesehen hat nicht? Gerade wenn sie Hartz IV bekommt, ist dass ja für den Wohnungsgeber eine sichere Miete.

Warum hat sie noch keinen Job gefunden? Die von Dir beschriebenen psychischen und physischen Probleme sind kein pauschaler Grund für Arbeitslosigkeit, auch wenn es solche Menschen natürlich schwer haben was zu finden.
Es gibt viele Einrichtungen in denen Menschen zumindest noch eingeschränkt im Rahmen ihrer Möglichkeiten beschäftigt werden.

Und gerade hier liegt das zentrale Problem der Obdachlosigkeit: Wer sich einmal aufgegeben hat, dem kann kein Staat und kein Geld der Welt mehr helfen.

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Danke, dass Du den Sinn dieser "Notlösung " klar gestellt hast… ich mochte das nicht gleich reinhauen.
50 Jahre alt und krank sind rational kein Grund, um sich selber in Deutschland aufzugeben und sich in so einer Notunterkünft uf Dauer gedanklich einrichten zu wollen. Das selbsbetimmte Ziel ist ja wohl, eine akzeptable Wohnung zu haben. Und da hilft es wenig, an den Bedingungen in der Notunterkünft rumzumaulen. Da muss die Dame mal in sich gehen und rauskriegen, was sie selber Alles tun kann, um ihre Wohn- und Lebenstuation zu verbessern. Das ist nicht einfach, es gibt dafür aber staatliche Hilfe . Die nimmt Aufgaben nicht ab, hilft aber dabei, sie selber wahrzunehmen.
LG
Amokoma1

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Hi Franzi,

wie ich schon gesagt habe, sind das Notunterkünfte, die nicht zur dauerhaften Bewohnung gedacht sind.
Da dies leider von einigen Menschen missbraucht wird, wird sich am Zustand der Einrichtungen nichts ändern.

Dein
Ebenezer

Durch die aufgebauten Schulden ist die Schufa Auskunft negativ. Das war bisher auch die Begründung für Absagen. Die Frau ist vom sozial-medizinischen Dienst als arbeitsunfähig eingestuft worden. Ein beständiger und eigener Wohnsitz könnte die Arbeitsfähigkeit wiederherstellen.

Nun kommen hier mehr und mehr wichtige Informationen zusammen. Meine recht pragmatischen Einschätzungen liegen dann ziemlich entfernt von erreichbaren Zielen, wenn es sich um eine wirkliche Depression bei der Dame handelt. Das ist ein medizinisch vorrangig zu behandelndes Problem nicht einfacher Natur… ich bin qua gegenseitig angelegtem Naturell die Letzte, die dazu mitreden kann und halte nun einfach die Schnauze. Wünsche aber viel Glück bei Hilfen.
LG
Amokoma1

Schufa negativ ist zwar durchaus ein verständlicher Grund, aber da sie ja im Moment das Geld vom Amt bekommt, sollte das kein entscheidender Grund sein.

Bemerkenswert finde ich auch, dass sie zwei Jahre von ihren Verwandten versorgt wurde und es in dieser Zeit mit einigermaßen geordneten Lebensverhältnissen, es nicht geschafft hat eine neue Arbeit und dann auch eine neue Wohnung zu finden.

Zur Einschätzung des sozial-medizinischen Dienstes und seiner Bedeutung bei der Jobsuche kann ich leider nichts sagen. Dafür hatte ich mit diesem Dienst noch nicht genug zu tun.

Man gibt seine Würde nicht ab, wenn man Sozialarbeiter um Hilfe bittet.
Ist das denn mal geschehen?
Mao

Ja genau. Es gehört zur Menschenwürde, dass man auch Hilfe annimmt, die es gibt. Wollte ja eigentlich die Schnauze halten, aber Mao weiß, um was es geht.
Amokoma1

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Hi,

Aber das tut sie doch alles. Die Frage hier ist doch, warum diese notunterkünfte so aussehen, wie sie aussehen.
Ich bin gottfroh, dass es damals für mich diese eine einzige Stelle gegeben hat, die mich vor Hartz iv bewahrt hat. Ich wusste, dass man keinen Respekt und keine Hilfe kriegt, aber dass es so schlimm ist…

Die Franzi

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Bemerkenswert finde ich, dass hier penetrant versucht wird, der Frau die Schuld für die Situation zu geben. Dabei sollte es sich inzwischen wirklich herumgesprochen haben, dass die Mieten in vielen Regionen Deutschlands selbst für gesunde Normalverdiener kaum noch bezahlbar sind und kranke Alg2-Bezieher im Zweifelsfall die Letzten sind, die eine Wohnung bekommen. Außerdem gibt es nun einmal Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer um vieles nicht selbst kümmern können - und in solchen Fällen steht nach meinem Verständnis von Solidargemeinschaft der Staat in der Verantwortung. Und von all dem abgesehen: Die Frage war ja, warum die Obdachlosenunterkunft in einem derart erbärmlichen Zustand ist - und für diesen Zustand kann die Frau absolut überhaupt nichts.

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Wohnungsnot. Hohe Mieten.

Doch.

Nein. Chronisch Kranke werden nicht in Behindertenwerkstätten aufgenommen.

Sie hat sich noch nicht aufgegeben.

Und es ist auch nachgerade perfide: Da wird jemandem quasi ein Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen, und wenn er dann irgendwann einfach nicht mehr kann, kommt ein großes Ätschbätsch: „Wenn du dir nicht selber helfen kannst, helfen wir dir auch nicht!“

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