Wirtschaftssystem

Hallo,

Ist z. B. hohe Arbeitslosigkeit in einem Land (in einer
Volkswirtschaft) aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht kein
Problem?

natürlich ist sie das, aber die Lösung wird nicht sein, daß wir uns ein neues Wirtschaftsystem zulegen und uns die dazu passenden Menschen backen, sondern innerhalb des Systems was ändern, d.h. bspw. die Motivation der Wirtschaftssubjekte hinterfragen und diese entsprechend sinnvoll steuern.

Gruß,
Christian

Hallo Christian,

kann ich verstehen. Mein Tonfall war nicht angemessen und das
tut mir leid.

Das ehrt Dich sehr!

Generelle Behauptungen über ein
Fachgebiet bzw. Millionen von Studenten bzw. hunderte von
Hochschulen müssen an sich schon unzutreffend sein, weil
niemand alle diese Studenten und Hochschulen kennen kann, erst
recht nicht, wenn jemand nach eigenem Bekunden fachfremd ist
bzw. das betreffende Fach nicht studiert (hat).

Nein, das ist noch immer ein Missverständnis (ich habe es ja in meinem „Nachtrag“ an Wolfgang erklärt)

Es geht nicht darum alle Hochschulen zu kennen, aber jedes Wissensgebiet (also nicht nur die VWL) hat bestimmte Disziplin-Grenzen, die es aus wissenschaftstheoretischer Sicht zu bestimmen gilt;

wenn ich dann also eine wissenschaftstheoretische These vertrete, dann bin ich 1) qualifiziert dazu, und 2) ist es kein Rundumschlag gegen eine Disziplin, sondern die konkrete Benennung von Problemlagen, der sich diese Disziplin ausgesetzt sieht.

So ein Blödsinn; „homo-oeconomicus“ und „Pareto-Optimum“ sind
klar definierte termini technici der Ökonomie; wenn Du darin
keinen Sinn findest, dann bist Du schon selbst schuld.

In diesen Annahmen sehe ich durchaus einen Sinn, allerdings
nur dann, wenn man sich des Umstandes, daß sie eine Annahme
sind, bewußt ist und bei der Betrachtung auch bewußt bleibt.
Meine zugegebenermaßen kurz und platt und unfreundlich
formulierte Kritik richtete sich darauf, daß die VWL sich
durchaus des Umstandes, daß die Annahmen eben nicht ständig
und vollumfänglich zutrifft,

Die homo-oeconomicus-Annahme, also das alle Menschen rationale Nutzen-Maximierer mit natürlichen Bedürfnissen wären, wird als „Fiktion“ betrachtet (weil empirisch ja nicht bestimmbar), die man aber aus methodischen Gründen brauchen würde.

das Pareto-Optimum, also die Definierung des Optimums (damit den Bezugspunkt einer ökonomischen Analyse!) als denjenigen Grenzwert, durch dessen Verbesserung automatisch ein anderer schlechter gestellt würde, ist ja auch eine Grundhaltung der Methode selbst.

diese beiden methodischen Annahmen stellen die Grenzen der Methode dar, und bestimmen damit, über was ökonomisch gesprochen wird und über was nicht.

bewußt ist und Wege und Lösungen
sucht, diesen Umstand zu berücksichtigen u.a. durch Beleihung
anderer Fachgebiete.

Nein, das geschieht im Rahmen der VWL oder standard textbook economics nicht, weil es die „Methode“ grundsätzlich verändern würde.

Mit dem „homo oeconomicus“ können alle anthropologischen und psychologischen Problematisierungen methodisch ausgeblendet werden, damit aber solche Fragen wie die, ob nicht etwa ein großer Teil des Mangels im gleichen Prozess erzeugt wird, mit dem er behoben wird (die anthropologisch-psychologisch berechtigte Frage nach „künstlichen Bedürfnissen“).

Dieser Frage muss sich die VWL nicht stellen, sie kann dank der homo oeconomicus-Annahme, dass die Wirtschaftssubjekte schon wüssten, was sie täten, einfach davon ausgehen, dass sich nun mal Angebot und Nachfrage zu treffen hätten, und kann so mit Modellen rechnen, wann dies am effizientesten geschehen kann.

Das ist nun keineswegs verwerflich, aber es stellt nun mal den blinden Fleck, die Grenzen, dieser Methode dar.

Das Pareto-Optimum wird gebraucht, um alle Gerechtigkeits- und Befriedigungsfragen aus der VWL herauszuhalten:

durch das Pareto-Optimum lassen sich Modelle erstellen, die mathematifizierbare Optimierungsprobleme darstellen, also die Frage: wie kann man etwa die Allokation von XY so optimieren, dass der insgesamte Output größer wird, ohne dass sich die Stellung der Wirtschaftssubjekte verändert, also ohne dass einer besser, damit notwendig der andere schlechter gestellt wird.

Diese Annahme ist vernünftig, weil nur durch sie es ermöglicht wird, Mathematifizierbarkeit und Quantifizierbarkeit von „Output“ zu leisten;

vor dem Pareto-Optimum gab es in der Ökonomie die utilitaristische Optimierungsaufgabe: „größtmöglicher Nutzen für die größtmögliche Zahl“;
dies lässt sich aber weder messen noch berechnen, weil man dann einfach in die Rechnung einfliesen lassen müsste, dass sich der Gesamtnutzen nicht nur durch höhere Effizienz, sondern genauso durch Umverteilung erhöhen liese, weil z.B. der im Überfluss Lebende aus den gleichen Gütern einen geringeren Gebrauchsnutzen ziehen kann, als der Verhungernde.

Wie gesagt, die VWL muss sich davon enthalten (muss davon abstrahieren), weil diese „Gebrauchsnutzen“ 1) nicht leicht quantifizierbar sind, und 2) weil die Quantifizierbarkeit eine Frage wäre, die soziologische, biologische, psychologische, etc. Betrachtungsweisen erfordern würde, damit aber die Grenzen der VWL sprengen würde.

Vom Pareto-Optimum, wie vom homo oec. kann die VWL gar nicht abrücken, weil dies ihre Disziplingrenzen komplett sprengen würde; dies ist wiederum nicht verwerflich, aber es muss als solches benannt sein.

Natürlich setzt sich die VWL damit selbst auseinander, deshalb der sog. „Becker-turn“ (benannt nach G.S. Becker, der Nobelpreisträger):
Becker hat aufgehört, die VWL bzw. die Ökonomie als eine Wissenschaft hinsichtlich eines bestimmten „Objektbereichs“, also bestimmter Vorgänge zu betrachten, sondern rein über ihre Methode: rational choice. Das heißt, Becker würde sagen: „Ökonomie ist alles das, was ich mit meiner Methode erfassen kann“.

Diese Lösung ist sehr elegant, und hat auch beschert, dass es nun auch einen soziologischen rational choice (also in gewisser Weise ein „ökonomische“ Soziologie) gibt, einen medientheoretischen, einen kriminologischen, etc.

Das Problem ist aber, dass die ganze VWL immer noch glaubt, über „das Ökonomische“ zu sprechen, und nicht ihrer wissenschaftstheoretischen Legtimation nach, über „das, was die Methode erfassen kann“.

Und wenn ich sage „immer noch glaubt“, dann weiß dies selbstverständlich jeder VWL-Wissenschaftler, aber die organisatorischen Konsequenzen sind nicht gezogen:

Lehrstühle für Ökonomie gibt es in Europa immer noch eben nur für VWLer (rational choice-Vertreter), nicht für Vertreter anderer Methoden;

auf dieser organisatorischen Ebene ist der Becker-turn also noch nicht vollzogen, obwohl er auf wissenschaftlicher Ebene bereits selbstverständlich ist.
(in den USA gibt es meines Wissens Lehrstühle am Rande der Ökonomie, z.B. als „Ökonomiegeschichte“, die von nicht-rational-choice-Vertretern besetzt sind, z.B. Wallerstein an der Binghamton University)

Das gleiche wie für die Lehrstühle gilt für die Beraterposten in der Politik (weil da halt nur Professoren zum Zug kommen); und damit wären wir am Ausgangspunkt unserer Diskussion.

Nach dieser langen Rede dürfte Dir klar geworden sein, was ich ursprünglich mit der „Verschließung“ gemeint habe (ich glaube, kürzer kann man es nicht darlegen :wink:

Nun ja, daß nicht die ganze Welt aus Monopolen besteht, ist
m.E. ein Zeichen dafür, daß in der idealisierten Denkwelt ein
Denkfehler enthalten ist. Im übrigen ging es zumindest mir
auch um den zweiten Teil der Angelegenheit, daß nämlich
Monopole in anderen Wirtschaftssystemen durchaus vorkommen
bzw. sogar gewollt sind.

Nach dem Ordoliberalismus (der sich selbst Neo-Liberalismus nennt), tendiert ein Wirtschaftssystem, in das nicht streng mit staatlicher Ordnungspolitik (darum „ordo“) eingegriffen wird, zu Monopolisierungen (nach Eucken hätte dies das 19. Jhdt. auch gezeigt);

darum lehnen diese Vertreter den „Liberalismus“ ab, sondern fordern eben den um staatliche Ordnungspolitik ergänzten Liberalismus, also Neo-Liberalismus.

Für alle marxistischen Ökonomen führt ein unregulierter Kapitalismus ebenfalls zu Monopolisierungen, ein regulierter allmählich aber auch („Kapitalkonzentration“).

Wem man nun Glauben schenkt, ist wieder eine andere Frage, um dies es hier ja nicht.

Daher ist die richtige Frage nicht,
was können wir an unserem Wirtschaftssystem ändern, damit es
keine Monopole gibt, sondern was die Ursache der Monopole ist.

Ich glaube, dass es verschiedene Ursachen für Monopolstellungen gibt, dass aber natürlich die Unternehmen nach Monopolstellungen streben, ist klar, und dass es eben deshalb immer wieder dort Monopolisierungen geben wird, wo sie damit durchkommen, oder wo die die Anwender der Kartellrechte zu langsam sind, oder wo es für einen Staat unter Umständen sogar sinnvoll ist, im globalen Wettbewerb Monopolisierungen zuzulassen, dürfte auch klar sein.

Im konkreten Fall liegt es einfach daran, daß Energie
leitungsgebunden ist und die Errichtung der Leitungsysteme im
Verhältnis zum Wert zur transportierten „Ware“ ausgesprochen
teuer ist. Das ist aber keine Spezialität unseres
Wirtschaftssystems.

Das hängt eben davon ab, in welchen engen oder weiten Grenzen Du „unser Wirtschaftssystem“ siehst;

klar ist: in der liberalistischen Konzeption des Kapitalismus im 19. Jhdt. wäre die Energiewirtschaft ein gigantisches Monopol, weil damals gar niemand auf die Idee kam, da staatlich-regulierend einzugreifen.

klar ist auch: in einer Zentralplanwirtschaft stellt sich die Frage gar nicht, weil entweder die ganze Wirtschaft ein einziges riesiges Monopol ist, oder es eben keine Monopole geben kann (je nach Betrachtungsweise).

Ich glaube, es ist doch kein Problem einzuräumen, dass Unternehmen in einem „kapitalistischen“ System ganz „natürlich“ aus vernünftigem Eigeninteresse, nach Marktmachtstellungen streben, weil da eben die höchsten Profite zu machen sind. Das allein spricht ja keineswegs gegen das „System“ selbst.

Viele Grüße (wenn Du es bis hier runter überhaupt geschafft hast :wink:
franz

Hallo Ben!

Mit unnachahmlichem Geschick windet sich Deine Darstellung um die individuelle Freiheit, ohne sie zu erwähnen. Das aber ist eine Frage des Systems, über das die VWL, die Handlungen innerhalb dieses System (genau genommen innerhalb eines beliebigen Systems) nur beschreibt und versucht, es berechenbar zu machen, nicht zu entscheiden hat.

… dass die Wirtschaftssubjekte schon wüssten, was sie täten…

Wer sonst, wenn nicht die Wirtschaftssubjekte selbst? Es sei denn, man unterwürfe sie Reglementierungen. Mit Willkür ließe sich festlegen, was als Bedürfnis und „künstliches Bedürfnis“ anzusehen ist.
In unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist der homo oec. ein der Realität nahe kommendes Modell (mit durchaus bekannten Unzulänglichkeiten), das sich gemäß der Beobachtung bei Abwesenheit von Zwang von alleine einstellt. Daraus läßt sich schließen, daß das Modell des homo oec. der menschlichen Natur mindestens sehr nahe kommt und größere Abweichungen dauerhafte Repressalien erfordern. Funktionierende Gegenbeispiele sind mir nicht bekannt, nicht einmal stichhaltige Gegenentwürfe.

Gruß
Wolfgang

Hallo Wolfgang,

Mit unnachahmlichem Geschick windet sich Deine Darstellung um
die individuelle Freiheit, ohne sie zu erwähnen. Das aber ist
eine Frage des Systems, über das die VWL, die Handlungen
innerhalb dieses System (genau genommen innerhalb eines
beliebigen Systems) nur beschreibt und versucht, es
berechenbar zu machen, nicht zu entscheiden hat.

ja, davon abstrahiert die VWL;
das Problem dabei ist aber folgendes:

es dürfte klar sein, dass jedes Wirtschaftssystem bestimmte strukturellen Zwänge besitzt, innerhalb derer dann die Wirtschaftssubjekte „frei“ handeln können;

Wenn also eine Ökonomie einen „wissenschaftlichen“ Vergleich verschiedener Wirtschaftssysteme anstellen will, dann muss es diese strukturellen Zwänge mit in den Blick nehmen.

Die VWL will davon abstrahieren, weshalb sie die Annahme des homo oec. benötigt, was durchaus seine Vorteile hat und als solches auch in Ordnung ist

… dass die Wirtschaftssubjekte schon wüssten, was sie täten…

Wer sonst, wenn nicht die Wirtschaftssubjekte selbst?

es ist ein unumstrittener Befund quasi aller Human- und Sozialwissenschaften, dass wir Menschen nicht freischwebend-rational handeln, sondern je nach Wirtschafts- und Gesellschaftssystem unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt sind;

darüber bestehen keine Zweifel, und ein VWLer weiß das ja auch, weshalb der „homo oecomicus“ eben nur eine „methodische Annahme“ ist.

Es sei
denn, man unterwürfe sie Reglementierungen. Mit Willkür ließe
sich festlegen, was als Bedürfnis und „künstliches Bedürfnis“
anzusehen ist.

Ja das ist richtig; es ist ein sehr naiver Gedanke so leicht zwischen natürlichen und künstlichen Bedürfnissen unterscheiden zu können (ich habe diese Position ja nur referiert!), dennoch aber kann man nicht alle Bedürfnisse als natürliche/gegebene voraussetzen (was ja eben die homo oec.-Annahme methodisch macht), sondern muss analysieren, wie und wo im Rahmen des Wirtschaftens auch immer wieder neue Bedürfnisse geschaffen werden, wenn man auf wissenschaftliche Weise die Funktionsweise verschiedener Wirtschaftssysteme vergleichen möchte.

Wie gesagt: die VWL abstrahiert davon, und untersucht nur die Effizienzen des matchings zwischen Nachfrage und Angebot bzw. auch die Effizienz der Versorgung der Nachfrage.

Zu einem Vergleich der Wirtschaftssysteme gehört aber natürlich genauso eine Analyse der oben genannten Mechanismen, und das kann und will die VWL nicht.
Dies ist in Ordnung (weil sie dadurch viel besser operabel wird), aber es verhindert:

  1. dass die VWL Wirtschaftssysteme umfassend vergleichen kann (außer zu didaktischen Zwecken), und
  2. dass die VWL sich für die einzige Wissenschaft des Ökonomischen halten kann.

Beide Einschränkungen würde ein VWL-Wissenschaftler auch zugestehen (Prof. Sinn z.B. nennt die VWL deshalb aus diesen Gründen eine „rein normative Wissenschaft“), dennoch wird aber sowohl im öffentlichen wie im politischen Diskurs, wie auch in den wissenschaftlichen Organisationsstrukturen weiterhin von einer Gleichsetzung VWL=Wirtschaftswissenschaft ausgegangen, was eben aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht haltbar ist.

Daraus läßt
sich schließen, daß das Modell des homo oec. der menschlichen
Natur mindestens sehr nahe kommt und größere Abweichungen
dauerhafte Repressalien erfordern.

das ist überaus problematisch:

  1. ist die Natur des Menschen empirisch absolut nicht bestimmbar, bleibt deshalb immer einer schwärmerischen Anthropologie oder einer Theologie vorbehalten

  2. würde das ja heißen, dass der Mensch die Jahrzehntausende vor dem Kapitalismus gegen seine eigene Natur gelebt hat …

Funktionierende
Gegenbeispiele sind mir nicht bekannt

zum Kapitalismus?

den gibt es seit ca. 500 Jahren; vorher gab es Feudalwirtschaften und archaische Tauschwirtschaften; allein die Tatsache, dass diese so lange bestanden beweist doch, dass sie zu ihrer Zeit funktioniert haben.

Viele Grüße
franz

Hallo,

den gibt es seit ca. 500 Jahren; vorher gab es
Feudalwirtschaften und archaische Tauschwirtschaften; allein
die Tatsache, dass diese so lange bestanden beweist doch, dass
sie zu ihrer Zeit funktioniert haben.

ja, mit den entsprechenden Konsequenzen: Unterdrückung, Not, Gewalt. Das ist es, was ich immer wieder sage und auch Wolfgang unermütlich wiederholt: Unser System ist das einzige, daß die Freiheit der Menschen sicherstellt. Alles andere funktioniert nur mit Zwang (wie Du weiter oben auch richtig schriebst, wenn auch mutmaßlich anders meintest).

Gruß,
Christian

Hallo Christian,

Feudalwirtschaften und archaische Tauschwirtschaften;

ja, mit den entsprechenden Konsequenzen: Unterdrückung, Not,
Gewalt.

völlig richtig;

aber was gibt es bei uns so auf der Welt: totale Freiheit, Überfülle, vollkommene Friedfertigkeit?

Wer hier ja sagt, der mus dazu sagen, dass dies nur für die West-Europäer und Nord-Amerikaner der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. gilt, der Kapitalismus aber weder zeitlich noch räumlich auch nur annähernd sich damit deckt.

Und man kann anscheindend auch nicht mehr sagen: das hat halt gebraucht, bis er greift, weil wir auch bei uns möglicherweise inzwischen die ersten Anzeichen einer Zeit erleben, in der das nicht mehr so sein wird.

Alles andere
funktioniert nur mit Zwang (wie Du weiter oben auch richtig
schriebst, wenn auch mutmaßlich anders meintest).

Ich habe es schon so gemeint, mit einer Einschränkung:

Alles andere funktioniert nur mit Zwang

Klar ist die Art und Weise des Zwangs, sein modus operandi, in jedem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sehr unterschiedlich; aber Zwänge wird man in jedem leicht finden, wenn man sie finden will und in der Lage ist, den richtigen „Blick“ dafür zu haben (und eben das war unser Ausgangsthema).

Viele Grüße
franz

Hi,

Feudalwirtschaften und archaische Tauschwirtschaften;

ja, mit den entsprechenden Konsequenzen: Unterdrückung, Not,
Gewalt.

völlig richtig;

aber was gibt es bei uns so auf der Welt: totale Freiheit,
Überfülle, vollkommene Friedfertigkeit?

sicherlich nicht, aber in den Teilen der Welt, in denen man von diesen Idealen besonders weit entfernt ist, herrschen weder Kapitalismus noch Demokratie. Ich bin Willens, darin einen Zusammenhang zu erkennen.

Wer hier ja sagt, der mus dazu sagen, dass dies nur für die
West-Europäer und Nord-Amerikaner der zweiten Hälfte des 20.
Jhdts. gilt, der Kapitalismus aber weder zeitlich noch
räumlich auch nur annähernd sich damit deckt.
Und man kann anscheindend auch nicht mehr sagen: das hat halt
gebraucht, bis er greift, weil wir auch bei uns möglicherweise
inzwischen die ersten Anzeichen einer Zeit erleben, in der das
nicht mehr so sein wird.

Ein besseres Leben ist nicht erst dann erreicht, wenn man zuhause eine Playstation und einen Flachbildschirm stehen hat, öffentlich seine Politiker beschimpfen darf und drei mal im Jahr in Urlaub fahren kann. Es ist bereits dann erreicht, wenn man keine Angst mehr haben muß, von den Truppen des Markgrafen auf der Straße ohne Grund erschlagen zu werden, in absehbarer Zeit verhungern zu müssen und seinen Wohnort frei wählen zu können.

Klar ist die Art und Weise des Zwangs, sein modus operandi, in
jedem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sehr
unterschiedlich; aber Zwänge wird man in jedem leicht finden,
wenn man sie finden will und in der Lage ist, den richtigen
„Blick“ dafür zu haben (und eben das war unser Ausgangsthema).

Ich finde schon, daß es einen Unterschied zwischen dem Zwang gibt, sich eine Arbeit suchen zu müssen, um ein einigermaßen angenehmes Leben zu führen und dem, alles tun zu müssen, was der Lehnsherr gerade für angebracht hält. Dafür braucht es keinen besonderen Blick sondern gesunden Menschenverstand.

All das, was gerne heute unter Zwang verstanden wird, sind letztlich kleine Unannehmlichkeiten im Vergleich zu dem, was in den letzten 5000 Jahren an Zwängen auf die gemeine Bevölkerung ausgeübt wurde.

Gruß,
Christian

Hallo Christian,

ich glaube, wir haben ohnehin schon einen Riesenthread hingelegt, darum vielleicht nur noch eine letzte Replik.

aber was gibt es bei uns so auf der Welt: totale Freiheit,
Überfülle, vollkommene Friedfertigkeit?

sicherlich nicht, aber in den Teilen der Welt, in denen man
von diesen Idealen besonders weit entfernt ist, herrschen
weder Kapitalismus noch Demokratie. Ich bin Willens, darin
einen Zusammenhang zu erkennen.

Bezüglich des Kapitalismus sehe ich das ganz anders (warum, müsste man an anderer Stelle mal diskutieren; aber fürs erste reicht vielleicht schon mal der Hinweis auf Südamerika, das, bis auf kleine und zum Teil kurze Ausnahmen, seit 1945 nicht weniger kapitalistisch war als Nordamerika, dennoch aber wirtschaftlich enorm zurückfiel; man könnte nun sagen: ja, das waren halt die „sozialistischen Experimente“ und die Militärdiktaturen, …; aber die Frage ist natürlich auch: wollte man nicht vielleicht eher anders herum mit diesen Sonderwegen den ökonomischen Rückfall stoppen?)

Bezüglich der Demokratie sehe ich ebenfalls einen Zusammenhang, ich bin mir aber nicht so sicher, dass man sagen kann: Weil Demokratie, darum Frieden und Wohlstand, sondern sehe es eher als Wechselwirkung: weil Friede und Wohlstand, darum Denokratie, darum Sicherung von Friede und Wohlstand, …)

Ein besseres Leben ist nicht erst dann erreicht, wenn man
zuhause eine Playstation und einen Flachbildschirm stehen hat,
öffentlich seine Politiker beschimpfen darf und drei mal im
Jahr in Urlaub fahren kann. Es ist bereits dann erreicht, wenn
man keine Angst mehr haben muß, von den Truppen des Markgrafen
auf der Straße ohne Grund erschlagen zu werden, in absehbarer
Zeit verhungern zu müssen und seinen Wohnort frei wählen zu
können.

Ja, das ist richtig, aber:

  1. auch im Mittelalter war es nicht die Regel, einfach so überfallen zu werden; ich glaube, da sind Städte wie New York oder Rio, etc. weit gefährlicher als das ganze Mittelalter (bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit hast Du sicher recht, aber die Rechtsstaatlichkeit hat nicht direkt mit dem Wirtschaftssystem zu tun). Und von unseren großen Kriegen im 20. Jahrhundert muss ich wohl gar nicht sprechen.

  2. das Problem der Freiheit (Freizügigkeit) ist ein komplexes; es ist richtig, dass wir es historisch betrachtet der Entwicklung des Kapitalismus verdanken, nicht mehr an die engen Grenzen einer Grafschaft gebunden zu sein. Auf der anderen Seite ist die Wohnortswahl aber auch bei uns nicht wirklich frei, sondern daran gebunden, ob man die Mieten bezahlen kann, ob man Aufenthaltsgenehmigungen bekommt, ob man dort Arbeit findet, etc.
    Das alles sind keine Freiheiten;
    und dazu kommmt, dass der Wohnortswechsel ja teilweise auch gar keine Freiheit ist, sondern ein Muss; wenn es in A keine Arbeit gibt, dann muss ich nach B, ob ich will oder nicht …
    eine solche „Freiheit“ kennt das Mittelalter nicht.

Ich finde schon, daß es einen Unterschied zwischen dem Zwang
gibt, sich eine Arbeit suchen zu müssen, um ein einigermaßen
angenehmes Leben zu führen und dem, alles tun zu müssen, was
der Lehnsherr gerade für angebracht hält. Dafür braucht es
keinen besonderen Blick sondern gesunden Menschenverstand.

Es ist zweifelsohne ein riesiger Unterschied;

aber man muss ehrlich sagen, dass es immer ein Problem ist, das Gegenwärtige und das Vergangene zu vergleichen, erstens weil man allzu schnell die Vergangenheit negativer sieht, als die Menschen sie damals selbst gesehen haben, und zweitens, weil es nicht möglich ist, zu seiner Zeit eine kritische Distanz einzunehmen, weil man zu viele Dinge für gerechtfertigt hält, die die Nachwelt einmal für absolut skandalös halten werden, so wie wir etwa den Zehnt für skandalös halten, dieser aber zu seiner Zeit selbstverständlich und gerechtfertigt schien.

Ich bin sicher, dass ein Bauer aus dem Mittelalter es für viel absurder und gewalttätiger halten würde, an den Ort A gehen zu müssen, weil da ein Arbeitsplatz ist, als dem Lehnsherrn seinen Zehnt zu geben. Jeder ist halt das Kind seiner Zeit; dies muss man aber berücksichtigen.

Darum ist ein solch direkter historischer Vergleich wenig aussagekräftig.

Viele Grüße
franz

Guten abend,

sicherlich nicht, aber in den Teilen der Welt, in denen man
von diesen Idealen besonders weit entfernt ist, herrschen
weder Kapitalismus noch Demokratie. Ich bin Willens, darin
einen Zusammenhang zu erkennen.

Bezüglich des Kapitalismus sehe ich das ganz anders (warum,
müsste man an anderer Stelle mal diskutieren; aber fürs erste
reicht vielleicht schon mal der Hinweis auf Südamerika, das,
bis auf kleine und zum Teil kurze Ausnahmen, seit 1945 nicht
weniger kapitalistisch war als Nordamerika, dennoch aber
wirtschaftlich enorm zurückfiel; man könnte nun sagen: ja, das
waren halt die „sozialistischen Experimente“ und die
Militärdiktaturen, …; aber die Frage ist natürlich auch:
wollte man nicht vielleicht eher anders herum mit diesen
Sonderwegen den ökonomischen Rückfall stoppen?)

die Entwicklung Südamerikas habe ich ein wenig anders im Kopf. Mit den Militärdiktaturen gingen massive Verstaatlichung, Korruption und innovative Verwendung ausländischer Kredite einher. Damit verspielte man immer wieder seinen Ruf, mit entsprechenden Konsequenzen für die Investitionsbegeisterung ausländischer Investoren, die Wechselkursentwicklung und damit auch die Wirtschaftsentwicklung.

Nichts läge mir insofern ferner, als die wirtschaftspolitische Entwicklung Südamerikas mit der Europas oder der USA gleichzusetzen.

Bezüglich der Demokratie sehe ich ebenfalls einen
Zusammenhang, ich bin mir aber nicht so sicher, dass man sagen
kann: Weil Demokratie, darum Frieden und Wohlstand, sondern
sehe es eher als Wechselwirkung: weil Friede und Wohlstand,
darum Denokratie, darum Sicherung von Friede und Wohlstand,
…)

Ich kann mich nur daran erinnern, daß mehr Demokratie immer eine Folge von Protesten gegen schlechte Lebensbedingungen war.

man keine Angst mehr haben muß, von den Truppen des Markgrafen
auf der Straße ohne Grund erschlagen zu werden, in absehbarer
Zeit verhungern zu müssen und seinen Wohnort frei wählen zu
können.

Ja, das ist richtig, aber:

  1. auch im Mittelalter war es nicht die Regel, einfach so
    überfallen zu werden; ich glaube, da sind Städte wie New York
    oder Rio, etc. weit gefährlicher als das ganze Mittelalter

Da glaubst Du sicherlich falsch. Ich sprach nicht von Kriminalität innerhalb der Bervölkerung sondern von staatlicher Willkür. Die Mordrate in den als besonders gefährlich verschrieenen Städten bewegt sich im übrigen im Promillebereich. Das sah im Mittelalter noch ein wenig anders aus.

(bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit hast Du sicher recht,
aber die Rechtsstaatlichkeit hat nicht direkt mit dem
Wirtschaftssystem zu tun).

Die Frage, was Du unter Wirtschaftsystem verstehst, bleibt auch weiterhin offen. „Staatliche“ Willkür ist ein unmittelbarer Auswuchs der Feudalherrschaft, so daß man das nicht trennen kann.

  1. das Problem der Freiheit (Freizügigkeit) ist ein komplexes;
    es ist richtig, dass wir es historisch betrachtet der
    Entwicklung des Kapitalismus verdanken, nicht mehr an die
    engen Grenzen einer Grafschaft gebunden zu sein. Auf der
    anderen Seite ist die Wohnortswahl aber auch bei uns nicht
    wirklich frei, sondern daran gebunden, ob man die Mieten
    bezahlen kann, ob man Aufenthaltsgenehmigungen bekommt, ob man
    dort Arbeit findet, etc.
    Das alles sind keine Freiheiten;

Das sind die Zwänge, die ich in meinem vorherigen Artikel als kleine Unanhemlichkeiten bezeichnete. Natürlich muß man heute arbeiten und seine Wohnsituation dem Einkommen anpassen, aber das ist doch kein Zwang im eigentlichen Sinne. Das hat was damit zu tun, daß man nur das ausgeben kann, was man als Einkommen bzw. Vermögen zur Verfügung hat. Das ist in keinem Wirtschaftssystem anders und letztlich eine einfache Rechenaufgabe, die aber jeder so lösen kann, wie er möchte. Man kann also auf das zweite Auto oder eine Urlaubsreise pro Jahr verzichten, um sich eine schönere Wohnung leisten zu können. Diese Entscheidung stellt sich in anderen Systemen gar nicht. Da wird einem eine Wohnung zugewiesen (wenn überhaupt) und die hat man dann zu akzeptieren.

und dazu kommmt, dass der Wohnortswechsel ja teilweise auch
gar keine Freiheit ist, sondern ein Muss; wenn es in A keine
Arbeit gibt, dann muss ich nach B, ob ich will oder nicht …
eine solche „Freiheit“ kennt das Mittelalter nicht.

Natürlich. Umherziehende Arbeitskräfte sind ein Phänomen, das erst mit der Industrialisierung bekannt geworden ist. Wobei: Wie komme ich jetzt auf den Begriff Lehr- und Wanderjahre? Und da gabs dann noch die Völkerwanderung, die Rodungen im frühen Mittelalter, die Nomaden in diversen Regionen. Hm, jetzt wo ich darüber nachdenke, gibts das Phänomen doch schon was länger.

Ich finde schon, daß es einen Unterschied zwischen dem Zwang
gibt, sich eine Arbeit suchen zu müssen, um ein einigermaßen
angenehmes Leben zu führen und dem, alles tun zu müssen, was
der Lehnsherr gerade für angebracht hält. Dafür braucht es
keinen besonderen Blick sondern gesunden Menschenverstand.

Es ist zweifelsohne ein riesiger Unterschied;

aber man muss ehrlich sagen, dass es immer ein Problem ist,
das Gegenwärtige und das Vergangene zu vergleichen, erstens
weil man allzu schnell die Vergangenheit negativer sieht, als
die Menschen sie damals selbst gesehen haben, und zweitens,
weil es nicht möglich ist, zu seiner Zeit eine kritische
Distanz einzunehmen, weil man zu viele Dinge für
gerechtfertigt hält, die die Nachwelt einmal für absolut
skandalös halten werden, so wie wir etwa den Zehnt für
skandalös halten, dieser aber zu seiner Zeit
selbstverständlich und gerechtfertigt schien.

Der Zehnte ist nicht skandalös im eigentlich Sinne, wenn man sich die heutige Belastung von Einkommen in Deutschland als Vergleich hernimmt. Und wenn Du der Ansicht bist, daß die Menschen in früheren Jahrhunderten mit ihrem Schiksal zufrieden waren, hilft vielleicht ein Geschichtsbuch mit zeitgenössischen Berichten. Blenden, Zunge abschneiden oder gelegentliches Vierteilen waren nicht Schwerverbrechern vorbehalten, sondern wurden allen zuteil, die nicht wollten wie sie sollten.

Später wurde das dann etwas einfacher, weil die Kirche die Behandlung mißliebiger Zeitgenossen übernahm, wenn man nur das Wort Hexe® oft und laut genug in den Mund nahm. In dem Zusammenhang fällt mir gerade der Fall des Dr. Georg Haan aus dem Jahre 1628 ein. Während man sich in unserer Zeit damit begnügt, schlecht gelittene Gestalten als schwul, drogenabhängig oder kommunistisch darszustellen, wurde damals gleich eine ganze Familie ausgelöscht, wenn einem was nicht paßte.

Insgesamt ist nach allem, was man so liest, die Gesamtbevölkerung mit den herrschenden Verhältnissen lange nicht so zufrieden gewesen, wie Du es angedeutet hast.

Darum ist ein solch direkter historischer Vergleich wenig
aussagekräftig.

Daß sich die Sachen in der Historie abgespielt haben, liegt daran, daß man von solchen Vorgehensweisen in unseren Breiten weitestgehend abgerückt ist. In anderen Ländern gibt es so etwas immer noch, so daß man die Historie nicht bemühen muß. Interessanterweise herrschen in solchen Ländern - wie erwähnt - normalerweise nicht Demokratie und Kapitalismus sondern Diktatur und Vetternwirtschaft oder so was ähnliches wie Planwirtschaft.

Gruß,
Christian

Danke für die interessante Diskussion
Hallo Christian,

wie ich schon angedeutet habe, sollten wir die Diskussion an dieser Stelle beenden, weil sie inzwischen weitgehend oT ist, und sowieso keine Leser mehr findet.

Außerdem werden wir diese Diskussion ja wahrscheinlich sowieso noch oft genug aufgreifen :wink:

Du hast ja im Grunde in fast allen Punkten dieses Artikels Recht;
ich behaupte aber, dass ich das genauso habe, und außerdem dass dies kein Widerspruch ist, sondern in erster Linie das Problem, dass wir wohl noch weitgehend aneinander vorbeireden, weil wir z.B. noch recht unterschiedliche Dinge meinen, wenn wir „Kapitalismus“ sagen.

Die Frage, was Du unter Wirtschaftsystem verstehst, bleibt
auch weiterhin offen.

genau das ist der Punkt;

Das sind die Zwänge, die ich in meinem vorherigen Artikel als
kleine Unanhemlichkeiten bezeichnete. Natürlich muß man heute
arbeiten und seine Wohnsituation dem Einkommen anpassen, aber
das ist doch kein Zwang im eigentlichen Sinne.

es ist ein völlig andersartiger Zwang als etwa die Sklaverei, gar keine Frage, aber FREIHEIT ist es eben auch nicht;

Du schreibst doch selbst eben von „Anpassung“ und „Arbeiten-Müssen“; das ist natürlich ein äußerer Zwang, etwas das man eher nicht tun würde bzw. nicht so tum würde, wenn man die FREIE Wahl hätte.

Das hat was
damit zu tun, daß man nur das ausgeben kann, was man als
Einkommen bzw. Vermögen zur Verfügung hat. Das ist in keinem
Wirtschaftssystem anders

ebenfalls richtig, keine Frage.

Wobei
Wie komme ich jetzt auf den Begriff Lehr- und Wanderjahre? Und
da gabs dann noch die Völkerwanderung, die Rodungen im frühen
Mittelalter, die Nomaden in diversen Regionen. Hm, jetzt wo
ich darüber nachdenke, gibts das Phänomen doch schon was
länger.

das ist nur polemisch und führt zu nichts;
Dir wird klar sein, dass etwa die Tatsache, dass im Durchschnitt jeder US-Amerikaner 7 Mal im Laufe seines Lebens umzieht, ganz andere Ursachen und ganz anderen Konsequenzen hat als das Nomadentum oder die Völkerwanderung …

Es ist sinnlos historische Grausamkeiten gegeneinander aufzurechnen; stattdessen muss aber doch dieses heutige „Wandertum“ als eine Art struktureller Zwang eines Wirtschaftssystems begriffen werden, in dem das Arbeitsangebot eben seine Nachfrage finden muss, und in einer bestimmten Phase sogar hinterherziehen muss;

dies ist weder etwas total schlimmes noch etwas völlig vernachlässigbares, sondern ganz schlicht eine Tatsache, die nicht durch den Hinweis auf die Völkerwanderung relativiert werden kann.

Viele Grüße
franz

Hallo,

wie ich schon angedeutet habe, sollten wir die Diskussion an
dieser Stelle beenden, weil sie inzwischen weitgehend oT ist,
und sowieso keine Leser mehr findet.

zumindest mein letzter Artikel wurde noch drei mal angeklickt, es ist also nicht vergebens :wink:

Das sind die Zwänge, die ich in meinem vorherigen Artikel als
kleine Unanhemlichkeiten bezeichnete. Natürlich muß man heute
arbeiten und seine Wohnsituation dem Einkommen anpassen, aber
das ist doch kein Zwang im eigentlichen Sinne.

es ist ein völlig andersartiger Zwang als etwa die Sklaverei,
gar keine Frage, aber FREIHEIT ist es eben auch nicht;

Völlige Freiheit kann es nicht geben. Wenn man von Selbstmordgedanken absieht, müssen wir essen, trinken, atmen, schlafen usw. Aber das war es auch schon. Jeder Mensch in Europa hat die Freiheit, sich ab sofort von Quellwasser, Käfern und Borke zu ernähren oder aber sich anzupassen und einen gemütlichen Bürojob zu erlernen und sich damit vielen gesellschaftlichen Konventionen unterzuordnen. Zwischen diesen beiden denkbaren Extremen gibt es viele, viele Abstufungen und jeder hat bei uns zu jedem Zeitpunkt die objektive Möglichkeit, sich für diese oder jene Variante zu entscheiden.

Was Du als Zwang oder Abwesenheit von völliger Freiheit bezeichnest, sind tatsächlich nur Konsequenzen unserer eigenen Entscheidungen oder der unserer Eltern. Auch in Zeiten fehlender staatlicher Strukturen und damit maximal denkbarer Freiheit (man hätte sein Mammut reiten können, wo und wie schnell man wollte, konnte es direkt vor einer Furt abstellen oder sogar grün-weiß anstreichen können) konnte man nicht alles machen, was man wollte. Wenn es nur Säbelzahntiger gab, konnte man keinen Hirschen grillen oder ein Karnickel verspeisen. Das sind Sachzwänge, die einfach mit der Realität zu tun haben.

Wenn ich ein geregeltes Leben mit ebenso geregelten Einkommen führen will, muß ich in Kauf nehmen, daß ich nicht nackt zur Arbeit laufen kann. Das hat aber m.E. mit fehlender Freiheit nichts zu tun, sondern mit Regeln, die sich die Gesellschaft selbst gegeben hat und die letztlich (in einer freiheitlichen Demokratie) die Summe der Wünsche und Vorstellungen bzgl. eines gemeinsamen Miteinanders der Individuen darstellen. Diesen freiheitseinschränkenden Regeln kann ich mich entziehen, indem ich mich in den Wald zurückziehe und meine Ernährung wie oben beschrieben umstelle oder einen Beruf ergreife, der mir weitestgehend den Kontakt mir anderen Menschen erspart.

Du schreibst doch selbst eben von „Anpassung“ und
„Arbeiten-Müssen“; das ist natürlich ein äußerer Zwang, etwas
das man eher nicht tun würde bzw. nicht so tum würde, wenn man
die FREIE Wahl hätte.

Du hast die freie Wahl: Geh nicht arbeiten! Der Staat gibt Dir ab dem Ende Deines Studiums 450 Euro und bezahlt Deine Miete. Mit dem Geld kannst Du alles machen inkl. verschenken, ausgeben oder verbrennen. Überhaupt kein Thema. Du bist noch nicht einmal verpflichtet, zu verhungern, wenn Du nicht arbeiten willst.

Wie komme ich jetzt auf den Begriff Lehr- und Wanderjahre? Und
da gabs dann noch die Völkerwanderung, die Rodungen im frühen
Mittelalter, die Nomaden in diversen Regionen. Hm, jetzt wo
ich darüber nachdenke, gibts das Phänomen doch schon was
länger.

das ist nur polemisch und führt zu nichts;

Kein Wort wird so oft falsch verwendet, wie das Wort Polemik.

Dir wird klar sein, dass etwa die Tatsache, dass im
Durchschnitt jeder US-Amerikaner 7 Mal im Laufe seines Lebens
umzieht,

Ja, natürlich. Die ruhelose Gesellschaft (gleichnamiges Buch von Packard ist durchaus lesenswert) ist seit 40 Jahren ein Thema, was eigentlich keins ist.

ganz andere Ursachen und ganz anderen Konsequenzen
hat als das Nomadentum oder die Völkerwanderung …

Ursache: Lebensunterhalt kann an Ort und Stelle nicht mehr gewährleistet werden.
Konsequenz: Weiterziehen mit Kind und Kegel.

Damals so wie heute. Der einzige Unterschied ist, daß der moderne Mensch mehr Besitztum ansammelt, als er mit zwei Händen und auf dem Rücken mit sich herumtragen kann. Der Deutsche als solcher ist in dieser Hinsicht übrigens führend.

Mit fällt gerade noch ein Unterschied zu damals ein: Wäre man nicht weitergezogen, wäre man verhungert. Wenn man heute nicht weiterzieht, sucht man sich entweder einen neuen Arbeitsplatz oder kassiert zukünftig 450 Euro im Monat zzgl. Miete. Ich finde schon, daß wir uns in Sachen Freiheit derzeit auf einem ganz hervorragenden Niveau befinden.

Der Slogan Deutschlands könnte also lauten: „Man muß nichts zu tun - gar nichts.“

Oder ums mit Dieter Nuhr zu sagen: „[Ein Säugling] kennt doch nichts außer der eigenen schmierigen Bude. Und bei manchem bleibt das das ganze Leben so.“

Gruß,
Christian

ändern, d.h. bspw. die Motivation der Wirtschaftssubjekte
hinterfragen und diese entsprechend sinnvoll steuern.

Welche meinst Du?

ändern, d.h. bspw. die Motivation der Wirtschaftssubjekte
hinterfragen und diese entsprechend sinnvoll steuern.

Welche meinst Du?

Welche was? Wirtschaftssubjekte? Das sind private Haushalte, Unternehmen und Staat.

Gruß,
Christian