Wissenschaftlich kritisch arbeiten aber WIE?

Im Laufe meines Germanistik Lehramtsstudiums habe ich bisher nicht verstanden, was wissenschaftlich kritisch arbeiten genau heißt. Ich meine, wenn ich eine Hausarbeit verfasse sind mir die einzelnen Schritte klar. Ich sammle Literatur, fertige ein Inhaltsverzeichnis bzw. grobe Gliederung an, lese viel und extrahiere. Dann irgendwann beginne ich zu schreiben.Mir ist klar, dass ich nicht nur resumieren und extrahieren soll, sondern einen Schritt zurück treten soll von diesen Ausführungen und dann mir eine eigene kritische Meinung bilden soll. In der Germanistik ist es jedoch oft so, dass Fakten vorherrschen, wie z.B. Einflüsse des Autorenlebens auf Werke oder Epocheneinflüsse auf Werke. Das sind doch Fakten, die auch so in der Literatur stehen. Wie kann ich dazu eine kritische Haltung einnehmen? Wie kann ich Aristoteles Poetik beispielsweise kritisch beleuchten? Es sind doch immer Meinungen dazu, die bereits existieren. Wo kann mein Erkenntnisgewinn dabei liegen?

Aus der Sozialwissenschaft kommend, habe ich in der Literaturwissenschaft ebenfalls nüchtern die Tatsachen dargestellt und die vorgefundenen Meinungen gegenübergestellt.

Dann aber verlangten die Dozenten der Literatur von mir eigene Einschätzungen - nicht der Weltlage, sondern der Texte. Dies schien mir vermessen - oder zumindest zu subjektiv. Aber ohne schien es nicht zu gehen.

Der Grund dafür kann darin liegen, dass ja auch die Wirkung der Literatur auf den Rezipienten, den Leser erforscht werden soll - und dieser Faktor letzlich auch den späteren Schülern nahegebracht werden soll.

Insofern macht es sich schlecht, wenn man sich selbst als Erstleser einer Selbsterfahrung entzieht, und damit nicht nur einer (hier, im Gegensatz zu den Sozialwissenschaften) für nötig erachteten Vorraussetzung, das Werk zu gutieren - und es auch anderen, hier Schülern, nahebringen zu können.

Vielleicht kann man diese Erwartung nach einer eigenen Erfahrung und der Schilderung derselben vergleichen mit der Anforderung an einen Schüler und künftigen Lehrer der Psychoanalyse, selbst eine solche Analyse durchzumachen.

Plump verallgemeinert: Wie will ein Lehrer bei Schülern deren Empfinden angesichts eines Werkes abfragen, wenn er selbst weder empfindet noch dies schildern kann?

Nicht, dass ich diesem etwas esoterisch klingenden Plan blindlings folge! Aber könnte es nicht doch sein, dass er ein wenig Hand und Fuß hat? Oder zumindest Hand?

Oder ist er völlich für’n Arsch?

Gruß aus Berlin, Gerd

wie z.B. Einflüsse des Autorenlebens auf Werke

oder Epocheneinflüsse auf Werke. Das sind doch Fakten, …

Hallo,
vielleicht ist das jetzt vermessen, aber ich sehe nicht, dass das unbetreitbare Fakten sind. Da spielen viele psychologische Faktoren mit, und das, was andere Forscher vor dir dazu gesagt haben, sind ebenfalls nur (mehr oder weniger gut begründete) Meinungen.

Noch vermessener gesagt: Was sollte an deiner kritischen Einschätzung schlechter sein als an der von Aristoteles ? :wink:

meint bixie

Hallo Fragewurm,

Wie kann ich Aristoteles Poetik
beispielsweise kritisch beleuchten? Es sind doch immer
Meinungen dazu, die bereits existieren. Wo kann mein
Erkenntnisgewinn dabei liegen?

Es geht ganz einfach darum zu dokumentieren, wie du zu deiner persönlichen Meinung gekommen bist.

Dazu braucht man zuerst einmal alle von dir benutzten Quellen.
Dann muss man wissen welche Quellen, und warum, du z.B. verworfen oder als besonders wichtig bewertet hast.
Die ganzen Informationen hast du dann gewichtet, zueinander in Beziehung gesetzt und evtl. noch mit eigenen Ideen ergänzt, was dann zu deiner persönlichen Meinung geführt hat.

Im Gegensatz zu einer Stammtischargumentation *ich habe aber recht" geht es bei der Wissenschaftlichen Arbeit darum, diese ganzen Abläufe nachvollziehbar zu dokumentieren.

Wenn jetzt z.B. ein neues Dokument von Aristoteles auftauchen würde, könnte man dann deine Schlüsse nachvollziehen und sehen ob dieses neue Stück in deine Argumentationskette passt oder nicht.

In der Naturwissenschaft ist das auch nicht anders. Da geht es auch darum, dass ein Experiment und die daraus gesogenen Schlüsse in jedem Labor nachvollzogen werden kann, bzw. durch Variationen am Experiment Schlüsse auch wiederlegt oder bestätigt werden können.

MfG Peter(TOO)

Danke an Alle.Ich komme der Sache etwas näher!