wovon man nicht reden kann… sollte man forschen,
wenn der noch unsägliche „Gegenstand“ aber gleichwohl einen Nutzen aus seiner Untersuchung verspricht. Meine ich persönlich, ohne dafür „Deckung“ bei Wittgenstein in Anspruch zu nehmen.
Ich anerkenne die Schweigeordre des knappen 7. „Tractatusgebotes“ insofern, als man halt von etwas Nebulösem, bloß „geahntem“ nicht so reden darf, wie von etwas „tatsächlich“ oder „dinglich“ bestimmtem. Ich sehe da eine Analogie zwischen dem von Wittgenstein als „sagbar“ und „nicht sagbar“ klassifiziertem mit den Begriffen „Beweis“ und „Verdacht“.
Ich darf von einem Verdacht nicht reden, wie von einem Beweis; wenn ich einen Verdacht hege, dann muss ich ermitteln, darf aber nicht anklagen. So wie der pflichtbewusste Krimikommissar, der den Vorwurf einer Unterstellung mit dem Hinweis „reine Routine“ in der Befragung kontert.
Mit dem Schweigen ist es nur in Bezug auf das Reden getan, wenn das (noch) nicht geht. Wenn ich aber das Gefühl habe, das es wertvoll wäre, von einem Thema reden zu können, so muss ich von ihm (schweigend) denken und mir „Ermittlungsrichtungen“ überlegen.
Über diese „Ermittlungsrichtungen“ muss ich mich jedoch gleichwohl auch verständigen können. Doch diese Verständigung ist eine in gewisser Weise eine „intime“, noch keine veröffentlichungsfähige. Überhaupt liegt der Sinn der Intimsphäre für mich auch u.a. in dieser „Besprechbarkeitsdifferenz“ begründet.
Für Sherlock Holmes war sein treuer Dr. Watson in diesem Sinne ein „Intimpartner“ weil er an ihm „Spruchunreifes“ zu allmählich zu "spruchreifen“ Gedanken verfertigen konnte. Eine Amtsperson von Scotland Yard hätte ihn dagegen bei seinem abduktiven Geraune über den Hintersinn von Bösewichtmachenschaften, wegen übler Nachrede, ungesetzlicher Verdächtigung, oder was immer es da für Straftatbestände geben mag, ermahnen oder gar verfolgen müssen. (Wegen „Irreführung der Justiz“ oder so etwas)
Ich finde, und das gilt auch für unser Treiben hier bei w-w-w, dass wir mehr Gebräuche eines geschützten, experimentellen Sprechens gut brauchen könnten (um zu neuen Ideen und verbessertem verstehen zu finden). Möglichkeiten eines „denkenden“, um Erkenntnis noch ringenden Sprechens bzw. Schreibens.
Ich persönlich schätze das Gefühl „messerscharf“ zu denken, ebenso sehr wie das Gefühl, interessiert, aber noch „unausgegoren“ suchend zu denken.
Ich schätze Wittgenstein wegen seiner Unterscheidung zwischen Tatsachen und Dingen und stelle mir oft die Frage, mit welcher Möglichkeit Bedingung ich es wohl zu tun haben mag, wenn mir etwas erst mal sinnlos erscheint und finde dann auch immer irgendwas. Wittgenstein ehrt Möglichkeiten als Tatsachen und darin sehe ich auch die Antwort auf die Frage nach dem Rang des 7. Schweigegebotes. Ich würde sagen:
7.1. Wo es mir schwer fällt, zu schweigen, da muss ich denken.
7.1.1. Wo es mir schwer fällt zu denken, da muss ich Fragen bilden und sie vertraulich zu erproben suchen.
7.1.1. Sobald ich dann Aussicht auf Nutzen oder Verhütung von Schaden zu „begreifen fühle“ muss ich es riskieren, zu reden.
Denn:
„Schimpflich ist es, von dem was möglich ist, zu schweigen“
mahnt Quintilian
Freilich gelangt und gereicht nicht alles vorsichtshalber mal Gedachte zum Ruhme, denn:
„Die Wissenschaft wird dadurch sehr zurückgehalten, dass, man sich abgibt mit dem, was nicht wissenswert, und mit dem, was nicht wissbar ist.“
Grantelt etwas ungnädig aber nicht falsch: Johann Wolfgang von Goethe
Doch so manch irrtümlich Geglaubtem blühen dann doch irdische Lorbeeren:
„Die Wissenschaft ist die Geschichte toter Religionen“
überrascht uns vielleicht ungewollt Oscar Wilde
denn ein „Glauben“ muss mithin erst mal her, um bei seinem Begräbnis als Wissenschaft Geburt in Wiederauferstehung feiern zu können. Keine Beweisfindung ohne Verdachtschöpfung halt.
Peinlicher noch als bloß „naiv“ geglaubt zu haben wäre es zudem, nachfolgendes Bild abzugeben, finde ich:
„Die Zeit wird kommen, wo unsere Nachkommen sich wundern, dass wir so offenbare Dinge nicht gewusst haben“
ahnt und mahnt schon Lucius A. Seneca
Um so (dumm) dann doch nicht dazustehen, gilt es, auch gelegentlich mal eine Strapaze zu meistern:
„Wer nicht gelegentlich auch einmal kausalwidrige Dinge zu Denken vermag, wird seine Wissenschaft nie um eine neue Idee bereichern können“
meint immerhin auch Max Planck
Wobei es sich gleichsam um ein kompositorisches Werk a la Free-Jazz handeln mag …
„Es scheint, Gedanken lassen sich durch Gedanken locken, und unsere Geisteskräfte müssen, wie die Saiten eines Instruments, durch Geister gespielt werden.“
komponiert der sprachgewaltige: Friedrich Schiller
… und dass es bei der klug mögenden Kammermusik auch noch auf ein geglücktes Verweilen ankommt:
„Die Idee ist ein stehengebliebener Gedanke“.
lehrt uns der Gedankenreisende Hernri Bergson
So wie mancher Ton von anderer Höhe uns eine neue Harmonie spüren lässt, so gilt wohl:
„Eine Idee ist nichts anderes als der Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht vorfindet“
postuliert in aller Nüchternheit Immanuel Kant
und am Ende gilt sogar analog zur Partitur:
„Brillante Ideen sind organisierbar.“
laut, Donnerwetter, Robert Oppenheimer
Wenngleich dies manchem manche Mühe machen mag:
„Es hätte etwas aus seinen Ideen gemacht werden können, wenn sie ihm ein Engel zusammengesucht hätte.“
So seufzt über Unbekannt der Sudelzettelautor Georg Christoph Lichtenberg
Doch statt blankem Neid sei allen Perfektionisten auch entgegengehalten:
„Jeder Versuch, eine Idee praktisch bis in die letzte Konsequenz durchzuführen, ist ein Beweis, dass man sie selber nicht ganz verstanden hat.“
tröstet Arthur Schnitzler uns Unvollkommene.
Und überhaupt ist:
„Der Menschliche Geist (ist) durchdringender als folgerecht und umfasst mehr, als er vereinen kann.“
wie Vauvernargues anzumerken nicht ansteht.
Doch gleichwohl bleibt es gleichsam im Vorgriff auf Wittgenstein dabei:
„Alle Weisheit beginnt mit den Tatsachen“.
Was ja schon „Der Alte“ Cicero wusste.
Um sich in diesen jedoch nicht zu verlieren, da:
„Die Kunst der Weisheit besteht darin, zu wissen, was man übersehen muss.
ergänzt beruhigend William James für verzweifelte Objektivitätsfanatiker.
Am Ende, finde ich, verdient der Blick von Geist und Sinnen jedoch Weite wie Schärfe, denn es kann beim übersehen auch böse alles schief gehen:
„Wenn das Wissen auch nicht alles Gute schafft, so gebiert doch die Unwissenheit alle Übel“
(Anatol France)
Weil ich das im Gro0en und Ganzen auch so sehe, finde ich Wittgenstein wieder so hilfreich.
Und damit sich unser Scharfsinn als Rasiermesser erschöpfe und nicht zum Fallbeil werde, sei noch abschließend John Locke zitiert.
„Der Verstand der Menschen ist ebenso verschieden organisiert, wie ihr Gaumen.“
Alle Zitate aus: Michael Strich, Peter Hossfeld; Wissenschaft im Zitat, Hanau und Leipzig 1985 (dürfte vergriffen sein)
Auch weiterhin guten Wissenshunger!
Thomas