Servus,
wenn dem so ist, unterstreiche ich nochmal Mainz - nicht nur wegen der Lage direkt neben dem Mainspitzdreieck, mit sehr brauchbaren Verkehrsachsen per Straße und - das wird Dir in RHP neu sein - auch noch funktionierender Schiene.
Da Du in „Ess- und Trinkkultur“ gepostet hast, vermute ich, daß Dir Leib und Magen ein Anliegen sind. Nun, so viele und so gute Weinstuben wie in Mainz dürfte kaum eine andere Großstadt in Deutschland aufzuweisen haben. Der Jahreslauf in MZ ist nicht etwa durch die Fassenacht gekrönt - da muss man schon auf die hessische Seite zur Kostheimer Fremdensitzung, wenn man etwas anderes als Müdigkeit erleben will -, sondern durch die Johannisnacht. Solche großen Volksfeste sind ihrer Natur nach durch Trinken geprägt, und die jeweilige Leitdroge macht vieles am Charakter aus - in MZ ists nicht Bier und Korn, sondern Riesling und Winzersekt: Das heißt, dass das Volk irgendwann nach Mitternacht nicht müde und/oder rauflustig wird, sondern ein großes dionyisches Lächeln die Szene bestimmt: „Seit umschlungen, Millionen!..“ Der in der Qualität seiner Beschicker im oberen Drittel anzusiedelnde Kunsthandwerkermarkt zur Johannisnacht sucht seinesgleichen, und allein zwei Straßen und ein Platz sind zur Johannisnacht für Antiquare reserviert.
Ebenfalls etwas Besonderes ist der Mainzer Samstagsmarkt auf dem Domplatz. Etwa die Hälfte des Platzes ist für Erzeuger reserviert, der Rest für Händler. Und die Erzeuger bieten von der Forelle aus dem Pirmasenser Raum über die San Marzano - Tomate aus Rheinhessen, Kostheimer Spargel und richtig guten Kartoffeln und Bohnen aus Ebersheim und dem Apfelbauern mit wenigstens einem Dutzend Sorten aus Flörsheim einen Reichtum, bei dem mir eingefallen ist, dass die Römer den Limes vielleicht gar nicht wegen der Angriffslust herandrängender Germanenstämme gebaut haben, sondern eher, weil sie der Ansicht waren, dass man in Gegenden, in denen es weder heißes Wasser noch Wein gibt, sowieso nicht leben kann, und gerne in Ruhe gelassen sein wollten.
Gleich neben Mainz liegt Hochheim, der oberste Weinbauort des Rheingaus, in dessen Wingerten ein Denkmal für Queen Victoria steht, die auf ihrer Deutschlandreise in Hochheim Station gemacht hat - Hochheim hat in England dem trockenen deutschen Riesling seinen Namen „Hock“ gegeben - „A good Hock keeps away the Doc“. Hochheim wurde in den 1970er Jahren von einem manischen Bürgermeister regiert, der die Vision hatte, sein 25.000-Einwohner-Städtchen à la Ceaucescu vollständig zu planieren und fünfzehnstöckig neu zu erbauen, als Wohnstadt für Rhein-Main. Die zwei hässlichen grüngrauen Hochhäuser, die man von der Autobahnbrücke aus sieht, sollten eigentlich ungefähr hundertzwanzig Brüder und Schwestern kriegen. Seiswieswöll, es ist halt anders geworden - heute sehr zum Vorteil des Ortes. Jedenfalls hat jener Bürgermeister schon mal alle für so eine große Trabantenstadt notwendigen Gaststättenkonzessionen herausgegeben, mit der Folge, dass Hochheim eine absurd hohe Dichte an Gaststätten und Gutsausschänken jeden Niveaus und jeder Couleur, sprich: zu viele Kneipen hat. Sehr zum Vorteil der Gäste - kein Hochheimer Wirt kann sich schlechte Arbeit leisten, weil der Konkurrenzdruck zu hoch ist. - Es ist eine Weile her, dass ich von Hock weggezogen bin; als ich dort wohnte, hat Arne Krüger (">> Feinschmecker") dort ein wunderhübsches Lokal mit ebensolcher Küche unterhalten, sozusagen als Altenteil - „jetzt mach ichs wie es mir selber passt“.
Wenn man einen Zirkel am Mainzer Domgickel einsticht und auf einen Radius von 20 Kilometer einstellt, hat man viele Jahre zu tun, wenn man alle guten Wein- und Küchenadressen heimsuchen will, die sich in dem so geschlagenen Kreis befinden.
Es gibt in Mainz und dem Rheinhessischen zwischen Fassnacht und Martini keinen Anlass, nüchtern zu bleiben oder zu werden. Im September, wenn man früher die Fässer leerkriegen wollte, ist im Mainzer Bürgerpark der Weinmarkt: Verteilt im Park unter alten Bäumen stehen die Buden von Winzern von Rheingau, Nahe, Rheinhessen - irgendwann nach Mitternacht spielt dann das nun aber wirklich letzte Piffche Beerenauslese eine Engelsmusik als Begleitung zur Verbrüderung aller Anwesenden: Wahrscheinlich haben die Mainzer ihren Freiheitsbaum beim Anrücken der napoleonischen Truppen, der ihnen dann den Status als Teil der Republik und Hauptstadt des Départements Mont Tonnerre eingebracht hat, vor allem aus diesem Geist der Generalverbrüderung bei Weck, Worscht und Woi heraus gepflanzt…
Achundübrigens: In Mainz gibt es seit 1966 das „Unterhaus“, eng verbunden mit Hanns Dieter Hüsch und dem Deutschen Kleinkunstpreis, aber auch Lydie Auvray und ihrem Akkordeon à la Créole. Das Unterhaus liegt am Rand des Viertels unterhalb St. Stefan mit den Fenstern von Chagall, das zu Zeiten „Das Bermudadreieck“ hieß, weil viele, die da eingingen, wenigstens bis zum anderen Morgen verschollen blieben.
- Eigentlich wäre schon der gedeckte Apfelkuchen von den Elsheimer Backstuben ein schlagendes Argument für Mainz, wenn es nicht auch der Garten in der Wirtschaft „Zum Gebirg“ und der Spundekäs in der Weinstube Lösch wären. Und die Tatsache, dass diese Stadt sich immer noch eine Straßenbahn leistet, obwohl sie dafür eigentlich zu klein ist. Und der Blick, wenn man mit der S-Bahn von Mainz-Gustavsburg her kommend über die Rheinbrücke nach Mainz einschwebt. Und die amtliche Grillhütte im Gonsenheimer Wald, die für Winterbetrieb geeignet ist, und wo wir im November schon viele schöne Geburtstage begangen haben.
Nungut - auch ein Loblied auf Moguntiacum aeternum sollte nicht in Faselei ausfasern. Also genug für jetzt -
Schöne Grüße
MM