Sorry, aber ich glaube, wir schreiben komplett aneinander vorbei
Diese „meisten“ sind aber (außer dir) keine Storypraktiker und
-theoretiker. Man kann leicht sagen, dass Autorengedanken
unergründlich sind,
Wer hat das gesagt?
wenn man nicht weiß, unter welchen
formalen Bedingungen eine Story entsteht.
Das muss ich zunächst als Leser oder als Theatergeher auch nicht wissen. Eine Geschichte wirkt auf mich auch ohne dass ich weiß, an welche Gebrauchsanweisungen der Autor sich gehalten hat.
Diese Bedingungen
werden durch Kriterien bestimmt, die sich in Theorie und
Praxis durchgesetzt haben.
Das mag sein, ist bei vielen sicher so - aber ich bleibe dabei, ich muss das als „Konsument“ zunächst nicht wissen. Das fängt erst an, interessant und relevant zu werden, wenn ich „gezwungen“ bin, mich mit der Entstehungsgeschichte, der Verfassung des Autors zum Zeitpunkt des Schreibens, den generellen Lebens- und Seelenumständen des Schreibers, dem politischen Umfeld und was da so hübscher Dinge mehr sind, auseinanderzusetzen.
Und das sind nun mal (neben mehr oder weniger unglücklichen Schülern) in erster Linie professionelle Rezensenten (von denen es manchen gut stünde, mehr Theorie intus zu haben) und all die Leute, die das, was der Autor (einst) so schrieb, heute am Theater, im Film und für’s Fernsehen umsetzen.
Die Leser, die sich nichtprofessionell für Entstehungsgeschichte, das Umfeld und die Schreibtheorie eines Werkes interessieren, sind, wie du zugeben wirst, in der Minderheit.
Konfliktträchtiges Verhältnis der Hauptfiguren (speziell Pro-
und Antagonist) zueinander sowie die psychologische
Entwicklung (character arc). Hinzu kommt das, was Egri
„Orchestrierung“ nennt: das sind einander diametral
widersprechende Charaktereigenschaften der Figuren.
Beispiel für Orchestrierung: Nora und Helmer in Ibsens
„Puppenheim“: sie lebenslustig und auf der Suche der
Selbstbestimmung, er spießig, geizig und frauenverachtend. Aus
dieser Konstellation folgen die Verwicklungen der Handlung.
Alles, was Ibsen auf der Basis dieser Orchestrierung schreibt,
folgt aus den Charakteren.
Egri sagt also: Aus den Charakteren folgt die Handlung
(character-driven plot).
Du hast deinen Lajos gut studiert:smile:
Aber glaubst du, ein „normaler“ Zuschauer im Theater muss das alles gelesen haben, um „Nora“ zu verstehen? Und wissen wir dadurch wirklich besser, was Ibsen gedacht hat? (Nur um an die Ursprungsfrage zu erinnern).
Natürlich wird das kein Leser nachvollziehen können, der in
Sache Literaturtheorie und - praxis unbewandert ist.
Dann müßten die Theater noch leerer sein, als sie es teilweise eh schon sind - säßen da nur die paar „literaturpraktisch Bewanderten“.
Und nur damit keinen neuen Missverständnisse aufkommen, selbstverständlich habe ich nichts gegen Theaterbesucher oder Leser, die sich umfassend über das informieren, was sie konsumieren.
Ich glaube nur nicht, dass es zwingende Voraussetzung ist.
Dann
heißt es schnell: „Wir können nicht wissen, was der Autor
denkt.“ Das beruht aber nur auf Unkenntnis der Bedingungen des
kreativen Prozesses.
Zitat Ch’an: "Ich denke, es ist irrelevant, was er dachte, als (im Sinn von „während“) er diese oder andere Zeilen niederschrieb.
Du verwirrst mich:smile:
Nun, die Feedbacks auf meine Stories schwanken zwischen
komplettem Unverständnis und Attestierung von Genie
, aber
explizite Fehlinterpretationen sind mir nicht untergekommen.
Das freut mich wirklich für dich.
Ich habe wütende Autoren die Stadt verlassen sehen, weil sie sich missverstanden fühlten - Regisseure aber nicht von ihrer eigenen Interpretation lassen wollten. Aber das sind ja nur Extrembeispiele.
In der Praxis ringt jeder Schauspieler, jeder Regisseur tagtäglich mit dem vorgegebenen Text, um ihm mehr als das Offensichtliche zu entlocken. Wenn das (selten genug) gelingt, dann erleben wir das Glücksgefühl einer gelungenen Theateraufführung - ganz ohne Egri (scnr).
Ich weiß nicht, wer deine Stücke so „schmerzlich“
missverstanden hat.
Du hast mich missververstanden…*lächel*…ich schreibe keine Stücke. Ich habe nur jahrelang mitgeholfen, das, was der jeweilige Dichter schrieb, dem Publikum näher zu bringen, das über das Offensichtliche Hinausgehende herauszuarbeiten.
Ich rede immer noch von der Ausgangsfrage - und damit wir uns nicht im Kreis bewegen, ich glaube nicht, dass wir wissen können, was der Autor gedacht hat. Und ich glaube auch nicht, dass das für die Rezeption unbedingt nötig ist.
Alles andere habe ich im Anschluss an meine Tabori-Anekdote gesagt.
Zudem kann man fragen, ob es nicht zur Pflicht eines Autors
gehört, Missdeutungen vorzubeugen, indem er/sie im Stück/in
der Story hinreichend andeutet, was der Sinn oder die Aussage
des Ganzen ist. Vernachlässigt man das, darf man sich nicht
wundern, wenn manche das Produkt in den falschen Hals kriegen.
Ob es wirklich so wünschenswert ist, jedem Gedicht, Roman, Theaterstück einen Beipackzettel** beizugeben: "Achtung: gemeint war nicht…sondern…!??
(** Ironie)
Wenn Autoren gezwungen würden, Missverständnissen vorzubeugen, wie du das nennst, könnte man drei Viertel der schon geschriebenen Weltliteratur auf den Mist hauen (da kann ja keiner mehr einem Missverständnis vorbeugen) und zwei Drittel der lebenden Autoren würden das Handtuch werfen, weil sie vor lauter Sinnandeutungen, die sie deiner Meinung nach machen müssten, kaum mehr zum Schreiben kämen…Elfriede Jelinek würde scheu lächeln und schweigen, Thomas Bernhard brummelte „naturgemäß“ und verließe das Kaffeehaus:smile:
So, und nun wünsche ich dir einen schönen, nebelfreien Tag.
Maresa