Moin Kuddel,
es ist klar, dass sieben Tage nicht dafür geeignet sind, eine Gegend vom Format (Ausdehnung und „Inhalt“) der Bretagne reisend kennen zu lernen. Und nur mit dem Rad, zu Fuß oder trampend wird man in der trotz See und Küste sehr poetischen und selbst an den Felsküsten eigentlich milden Landschaft der Bretagne auf Ecken stoßen, wo schon die Ortsnamen selber kleine Gedichte sind wie Pen-ar-C’hoat-ar-Gorre. Schon allein die Lichtspiele, wenn sechs Mal am Tag anders Wetter wird - Wellen der Wolken, Wellen der Landschaft und ganz hinten Wellen des Ozeans - benötigen eine langsame Fortbewegung, wenn man nach Westen in Richtung der Grauen Anfurten gehend die Drehung der Erde unter den eigenen Füßen spüren will.
Ich habe deswegen auch auf die Anfrage hin weder Sardinien noch Korsika empfohlen, obwohl die ja nun auch einen sehr freundlichen März haben können: Dort wäre die Mißstimmung, wenn man nach einer Woche grade man anfängt, das Land ein klein wenig kennen zu lernen, und gleichzeitig wieder nach Hause will, genauso schmerzlich.
Jemandem in der Situation der UP empfehle ich, genauso rumzutrödeln wie ich seinerzeit und die Übergangszeit zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit, in der es noch relativ leicht möglich ist, sich mehrere Wochen am Stück vom Acker zu machen, für Reisen zu nutzen. Die vierzig Jahre darauf müssen viele sich in dieser oder jener Weise schon ziemlich auf die Hinterbeine stellen, dass überhaupt mal drei Wochen am Stück verfügbar sind, geschweige denn mehr.
Wenn aber aus irgendeinem Grund der Rahmen von einer Woche gegeben ist, kann man Reisen im Sinn von Kennenlernen einer Gegend bloß, wenn diese ziemlich überschaubar ist (z.B. Borkum oder Pellworm oder Darß/Zingst - wobei „Kennenlernen“ da auch schon stark eingeschränkt ist, weil dazu auch Jahreszeiten und Wetterlagen gehören). Man kann aber auch einen ganz anderen Rahmen setzen, und grade bloß an einem Ort zu sitzen, die im Februar/März blühenden Kamelien und Mimosen zu schauen und zu schnuppern und den Wolken entgegenzuschauen, die von Westen her daherkommen, kann wohl in der Bretagne auch wunderhübsch sein. Ob man bloß wegen der ausgeprägten Golfstromheizung so weit nach Westen fahren will und nicht auch schon z.B. in Odingen eine schöne Zeit haben kann, sei dahingestellt.
Mir ging es vor allem darum, dass Entfernungen sich ganz anders anfühlen, wenn man nicht selber am Steuer sitzt, und daher „zu weit für eine Woche“ ziemlich relativiert wird. Auch bei alten Hasen auf der Autobahn bleibt es nicht im Kittel, wenn sie zehn Stunden und mehr auf Achse sind. Anders ists natürlich, wenn man fährt, um zu fahren, und nicht, um irgendwo hin zu kommen - z.B. Lyon oder Dijon-Bordeaux quer durchs Land auf Landstraßen.
Und bei der Verbindung von „andere für sich fahren lassen“ und „schnell wohin kommen“ hat sich in Frankreich mit den Neubaustrecken bei der Eisenbahn viel mehr getan als in Deutschland, weil die SNCF den Kampf mit den Billigfliegern aufgenommen hat und die 29 € - Angebote anders als bei der DB nicht bloß in homöopathischen Kontingenten verfügbar sind. Freilich setzt das voraus, dass man auch bei der SNCF bucht und eine halbe Stunde Zeit an der Grenze zum Abholen der Fahrkarte vorsieht.
Wenn man eine derartige Reise vorhat, halte ich es allerdings für nützlich, das Ziel ein bissel nach den vorhandenen TGV-Endpunkten zu orientieren - von denen gibt es ja wegen der Struktur, die Du beschreibst, in den Verästelungen am Ende der Linien ziemlich viele.
Bei der Vorgabe „auch im März schon angenehm temperiert“ könnte ich mir z.B. die Ile de Ré (ggf. auch die schöneren, aber bissel komplizierter zu erreichenden Oléron und Noirmoutier) vorstellen, die übersichtlich genug sind, dass es nicht gar zu wehe tut, wenn man nach einer Woche wieder weg will, und die erst nach Pfingsten und vor allem ab 14. Juli von ein bissel arg vielen und vor allem vielen unangenehmen Leuten bevölkert sind. Frankfurt/M - La Rochelle in knapp 8 1/2 Stunden find ich schon ziemlich handlich und auch überraschend schnell; das hat aber auch damit zu tun, dass ich selber im letzten Jahrhundert noch eine ganze Nacht von St Germain des Fossés nach Bordeaux unterwegs war. Das war zwar auch klasse, aber anders: Der Lyon-Bordeaux de Nuit spielte sozusagen „City of New Orleans“, und die Morgensonne auf der Mosaikfront des „Soleil Levant“ gegenüber Bordeaux Saint-Jean eröffnete sowas wie einen neuen Tag in einer neuen Welt, aber das erkenne ich schon als mein persönliches Steckenpferd, das ich anderen nicht unbesehen ans Herz legen will.
Aber das gehört jetzt ganz woanders hin.
Kenavo!
MM