Wohltemperiertes Klavier - Spielschwierigkeit

Hallo Pianisten,

die Tochter eines Freundes hat vor einiger Zeit (einige Monate) mit dem Klavierspiel begonnen und wurde jetzt auf oben genannte Sammlung losgelassen.
Das Preludium in C Dur scheint problemlos spielbar zu sein, die Fuge macht ihr allerdings einiges an Problemen.
Einige andere Vorspiele hat sie sich auch angeschaut und meinte es gäbe eine ziemliche Zweiteilung bzgl. der Schwierigkeit. Die Vorspiele wären (zumindestens einige) auch für Anfänger spielbar, die Fugen aber nicht.
Ist ihre Einschätzung richtig oder erscheint der Berg nur von unten so hoch und schwierig?

Gandalf

Hallo Gandalf,

wenn das Mädel erst vor einigen Wochen mit dem Klavierspielen begonnen hat, dann dürften die Fugen zweifellos zu schwer für sie sein.
Ich gehe mal davon aus, dass sie das C-Dur-Praeludium aus dem ersten Band spielt. Das ist für die kurze Zeit auch schon eine gute Leistung, aber da die Fuge bereits vierstimmig ist, wundert es mich nicht, dass sie zu schwer ist. Immerhin müssen in beiden Händen zwei unabhängige Stimmen gleichzeitig gespielt werden.
Akkordisches Spiel ist am Anfang wesentlich einfacher. Zur Einführung in das polyphone Spiel eigenen sich eher die Inventionen von Bach, aber auch kleine Fughetten von Händel, oder manche Sonaten von Scarlatti.

Gruß,
Booze

Hallo Booze,

wenn das Mädel erst vor einigen Wochen mit dem Klavierspielen
begonnen hat,

sie spielt seit knapp einem halben Jahr und scheint halbwegs Talent zu haben.
Und ihr Lehrer hat ihr natürlich noch keine Fuge zum Üben gegeben, nur hat sie sich in ihrer Neugierde daran versucht und dann (für sich) festgestellt, daß allgemein die Fugen deutlich anspruchsvoller sind als die Vorspiele. Das war dann auch ihre eigentliche Frage, ob sie damit richitg läge, oder ob das ihr Anfängereindruck sei.

Akkordisches Spiel ist am Anfang wesentlich einfacher. Zur
Einführung in das polyphone Spiel eigenen sich eher die
Inventionen von Bach, aber auch kleine Fughetten von Händel,
oder manche Sonaten von Scarlatti.

Das wir ihr Lehrer ihr schon zeigen. Er scheint ein guter zu sein und ich will ihm da nicht ins Handwerk pfuschen.

Trotzdem Danke für die Anregungen.

Gandalf

Hallo!
Was sich in Punkto Bach auch empfehlen läßt, ist das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, das gerade für diesen Stand des Unterichts angelegt ist.

Hallo Armin,

auch Dir Danke für den Tip, aber ich kann und möchte dem Lehrer nicht ins Handwerk pfuschen. Die Frage war eben speziell zum Wohltemperierten.

Gandalf

Hallo Gandalf,

um mal auf Deine Frage zurückzukommen, die m.E. noch nicht beantwortet wurde: Die Fugen aus dem W.Kl. sind in der Tat technisch anspruchsvoll. Das liegt einerseits daran, dass Fugen im Barock als höchste Kunst der Komposition angesehen wurden und Bach sich deshalb nie mit einer mittelmäßigen Fuge zufriedengegeben hätte - so musste also alles, was irgendwie spielbar war (für ihn als geübten Pianisten), Verwendung finden; andererseits dient dieses Werk aber auch zur Demonstration der Tatsache, dass in temperierter Stimmung eine Komposition in jeder beliebigen Tonart gut klingt, und auch deshalb musste er natürlich die Möglichkeiten der Fuge voll ausschöpfen.
Präludien hingegen sind eher musikalische „Spielereien“, wenig Wissenschaft, aber viel Klang. Hier kommt es besonders darauf an, die Möglichkeiten des Klavierklanges auszutesten, und dafür bieten sich vor allem Akkorde an. Diese sind aber, wie Dir bereits geschrieben wurde, besonders für den Anfänger leichter zu spielen.
In späteren Epochen ändert sich das Verhältnis der Schwierigkeiten von Präludien und Fugen teilweise, denn dort ist nicht mehr die Fuge das kompositorische Nonplusultra, sondern gerade in der Romantik die Entdeckung neuer Klänge, die sich wieder nur mit Verrenkungen am Klavier realisieren lassen. Damit geht nun aber ein erhöhter Schwierigkeitsgrad der „Klangstudie“ Präludium einher.

Liebe Grüße,
Immo

P.S. Ich kenne etliche gute Pianisten, die polyphone Werke einfacher finden als akkordische. Das Verhältnis kann sich also umkehren. Bach selbst war in beiden Bereichen überaus begabt, er soll vierstimmige Fugen über vorgegebenen Themen improvisieren haben können, während er an der Orgel ziemlich wild drauflosgespielt haben soll (was eher die Kunst der Präludien ausmacht).

Hallo Gandalf,

in den meisten (eigentlich allen) mir bekannten Listen, in denen Klavierstücke mit Schwierigkeitsgrad aufgelistet sind, findet sich für das Wohltemperierte Klavier die Angabe 3-5, wobei 1 den niedrigsten und 5 den höchsten Schwierigkeitsgrad bezeichnet. In einigen Verzeichnissen steht ausschließlich der Schwierigkeitsgrad 5.

Das C-Dur-Präludium dürfte als einziges Stück aus dem Zyklus wohl eher den Schwierigkeitsgrad 2 erhalten, da es als einziges auch problemlos von Anfängern gespielt werden kann.

Gruß

Bona

Hallo

um mal auf Deine Frage zurückzukommen, die m.E. noch nicht
beantwortet wurde

Jetzt weiß Gandalf dafür ganz genau bescheid, warum das Mädel sie schwieriger findet als die Praeludien

P.S. Ich kenne etliche gute Pianisten, die polyphone Werke
einfacher finden als akkordische.

Die spielen wahrscheinlich alle schon länger als ein halbes Jahr Klavier.

Gruß,
Booze

Hallo Immo,

klingt logisch.
Dann hat die gute ja ein gutes Gespür.

Danke

Gandalf

Hallo Bona,

danke auch für Deine Information. Werde ich weitergeben.

Gandalf

Hallo Gandalf,

… und wurde jetzt auf oben
genannte Sammlung losgelassen.

nein, sie wurde nicht auf das WT losgelassen, sondern nur auf das C-Dur-Präludium aus dem WT I.

Es gibt im WT ein Stück, das zu den leichtesten überhaupt zählt und das daher für die Anfänger gut spielbar ist, und das ist das C-Dur-Präludium. Alle (!) anderen sind für fortgeschrittene Spieler.

Die C-Dur-Fuge ist selbst im Vergleich mit den anderen Fugen des WT nicht leicht. Die ersten Takte gehen noch, nachdem aber alle vier Stimmen eingesetzt haben, wird deren Zusammenspiel sehr, sehr komplex.

Es ist überhaupt für Bach typisch, daß auch in den anderen Sammlungen, die insgesamt nur von wirklich guten Spielern bewältigt werden können, einzelne Sätze vergleichsweise einfach sind. Davon darf man sich aber nicht täuschen lassen.

Reihenfolge der Schwierigkeit (ungefähr):

  • Anna Magdalena Bach
  • Kleine Präludien und Fugen
  • Zweistimmige Inventionen
  • Französische Suiten
  • Dreistimmige Inventionen
  • Wohltemperiertes Klavier
  • Partiten
  • Englische Suiten
  • Goldberg-Variationen

Zum Beispiel sind einige der Goldbergvariationen nicht schwerer zu spielen als die zweistimmigen Inventionen, z. B. 1, 4, 7. Unter den Partiten ist die erste insgesamt leichter als die anderen, und aus diesem gehen das Präludium, die Sarabande und die beiden Menuette für mäßig Fortgeschrittene (trotzdem noch kein Tip für das Mädchen).

Grüße,

I.