Wolf Uecker, Autor

Er hat Kochbücher und Beschreibungen des Landlebens verfaßt…Ich hätte gern einmal etwas über den Autor erfahren.

Informationen über Wolf Uecker
Hallo, Walter!

Ich habe ein Interview mit Wolf Uecker gefunden. Le voilà …

_Wolf Uecker wurde 1921 in Berlin geboren. Er war Lektor, Zeitschriftenredakteur, Besitzer einer Werbeagentur und Galerist, und er gründete die Kunstzeitschrift „art“. 1981 verkaufte er seine Galerie, zog auf einen Bauernhof in der Lüneburger Heide und widmete sich nun ganz seiner Kochleidenschaft, die er in vielen Büchern beschrieb. Soeben erschienen sind eine überarbeitete Neuauflage seines Kochbuchs „Die neue alte Küche“ (Der große Uecker, Hölker Verlag, Münster) und „Ueckers Küchenpraxis für Feinschmecker und Kochkünstler“ (Droemer-Knaur)

Was ist für Sie der Reiz am Kochen?

Kochen ist für mich ausruhen, ist Muße, ist ein Teil, und zwar ein wichtiger Teil meines sinnlichen Lebens. Für mich ist es im weitesten Sinne dieses Wortes, das immer zu eng verwandt wird, eine erotische Angelegenheit. Beim Kochen bin ich so entspannt, daß es mich auch gar nicht stört, wenn mir Leute dabei zugucken oder fragen: „Was machst du denn jetzt?“ Ich habe mit dem Kochen ja schon angefangen, als ich noch zur Schule ging, damals aber nur der Not gehorchend, weil meine Mutter nicht kochen konnte. Alles, was sie machte, schmeckte nicht.

Und wann haben Sie angefangen, ein ehrgeiziger Amateurkoch zu sein?

Ehrgeizig bin ich gar nicht. Ich bin Egoist. Ich möchte so gut wie möglich essen. Und abgesehen von vier, fünf Adressen … Richtig angefangen habe ich nach dem Krieg. Aber ehrgeizig? Na, gut, es gab eine Zeit, bevor das erste große Kochbuch erschien.

Sie erfinden ja keine Rezepte, sondern versuchen alte Rezepte zu modernisieren?

Ja, zu entmehlen, zu entfetten, nach den Erkenntnissen der modernen Ernährungswissenschaft. Rezepte erfinden … Also, wenn es hoch kommt, hab ich in meinem Leben fünf erfunden, bei denen ich sicher bin, fast sicher bin, daß sie auch wirklich von mir sind. Aber wenn man eine Sammlung von mehr als zweitausend Kochbüchern hat - und die geht zurück bis 1581 -, da klebt manches auch nur so halb im Bewußtsein.

Mißlingen diese Modernisierungsversuche auch mal?

Ja, das ist schon passiert. Als ich mein erstes Kochbuch gemacht habe, engagierte ich noch zwei Leute und wir kochten … Wie lange haben wir gekocht? Neunzehn Monate, siebenhundert Rezepte. Manche Gerichte haben wir vier-, fünfmal gekocht, weil ich dachte, es müsse einfach was dabei rauskommen, das den Geschmackstest besteht. Und dann haben wir sie weggeworfen, weil es nicht ging. Das mag auch daran liegen, daß ich kein ausgebildeter Koch bin.

Im Mittelpunkt Ihres Kochbuchs „Die neue alte Küche“ steht der sonst eher gering geschätzte Eintopf?

Ja, da bin ich beinahe schon sektiererisch.

Warum haben Sie den Eintopf „eine starke Wurzel der deutschen Küche“ genannt?

Das hat zwei Gründe. Erstens kennt die deutsche regionale Küche etwas mehr als siebzig verschiedene Eintöpfe, während Frankreich sich auf nur sechs, Italien sich auf nur vier beschränkt. Darin sind wir also, was die Vielfalt angeht, wirklich Weltspitze. Zweitens ist der Eintopf auch kulinarisch kein Schwächling. Nur bedarf er einer intensiven Betreuung. Einen Braten zu machen ist um vieles einfacher, als einen guten Eintopf zuzubereiten. Man muß zum Beispiel die Garzeiten der einzelnen Gemüse genau kennen. Daß der Eintopf heute in der Gastronomie nicht mehr auf den Speisekarten erscheint, hängt damit zusammen, daß man sich so intensiv um ihn kümmern muß, wenn er gut gelingen soll.

Liegt es nicht auch daran, daß das Vermischte als unfein gilt?

Mit Sicherheit. Nur: Mit dem Geschmackserlebnis, mit dem Kern des Kulinarischen, hat das gar nichts zu tun. Es ist natürlich eine Frage der Geltung. Wenn man Leute einlädt und sagt: „Heute gibt es einen Steckrübeneintopf mit Gänsekeule“, dann kucken sie zunächst ein bißchen dumm an die Wand. Das sind aber die, die dann am lautesten schreien: „Mein Gott, warum haben wir das nie mit Gänsekeule gemacht?“ Man muß aber wissen, daß die einzigen erträglichen Gewürze dazu schwarzer Pfeffer und Majoran sind. Dann entsteht allerdings etwas, das schwer zu schlagen ist. Man muß, was das Essen angeht, frei sein von gesellschaftlichem Ehrgeiz. Natürlich sieht es attraktiver aus, wenn man einen Teller vor sich hat, auf dem hier der Kalbsbraten, dort der grüne Spargel, dort die Mousseline, hier die speziell zubereiteten Petersilienkartoffeln liegen, das ist wohl wahr. Aber in der Qualität halte ich den Eintopf für gleichwertig. Das Problem ist: Der Eintopf rangiert sozial unten. Und demzufolge müßte er, wenn er auf Speisekarten angeboten würde, billig sein. Das geht aber im Regelfall nicht. Der erste junge Wirsing ist eben teuer. Und wenn man ihn, was man sollte, mit Entenfleisch zubereitet, dann wird es noch teuer, dann muß man eine Ente kaufen. Aber man bekommt dann auch ein Resultat, daß die Leute sagen: „Mein Gott, wann habe ich das letzte Mal so gut gegessen?“

Kommt in der Rückbesinnung auf Hausmannskost und Regionalküche nicht auch eine nostalgische Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ zum Ausdruck? Der französische Philosoph Michel Onfray hat das sogar „reaktionär“ genannt?

Ich glaube nicht, daß er recht hat. Wenn das Wissen um diese Dinge verlorengeht, wenn man die kulinarischen Traditionen nicht am Leben erhält, dann führt das zu Fast food, in die Frittenbuden und zur Fertigpizza. Und auch eine anspruchsvolle „junge Küche“ braucht ja Grundlagen, braucht etwas, worauf sie bauen kann. Man muß sich Kenntnisse erwerben, und mit eigener Phantasie kann man dann versuchen, etwas Zeitgemäßes zu machen. Man braucht aber eben beides, Phantasie und Kenntnisse.

In Frankreich werden große Köche wie Bernard Loiseau in die Ehrenlegion aufgenommen und gelten als Bewahrer des nationalen Kulturerbes. Sollte man auch bei uns dahin kommen, Kochrezepte als ein nationales Kulturgut anzusehen und entsprechend zu pflegen?

Ich bin nicht sicher, ob man daraus ein nationales Emblem machen sollte. Wir sind ja auch erst auf dem Wege, eine deutsche Küche zu entwickeln. Bisher gab es ja nur eine regionale. Was den Schwaben in Hochstimmung versetzt, bringt den Norddeutschen an die Grenze des Verständnisses. Beispiel: Kalbsbraten, Spätzle und Kartoffelsalat zusammen auf einem Teller. Ein erstklassiges Essen. Aber diese Zusammenstellung ist zum Beispiel in Hamburg noch immer schwer nachvollziehbar. Das entwickelt sich also erst. Ich würde auch nicht so weit gehen zu sagen, daß jedem guten Koch das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen werden soll, aber ich glaube, daß der gesellschaftliche Stellenwert von Köchen bei uns allgemein zu klein gehandelt wird. Ein Koch …: Watt is’ dett? Statt dessen ist es unter Prominenten heute ja beinahe schon schick, sich mit Kochbüchern zu verewigen.

Kann man aus Kochbüchern etwas lernen?

Das hängt vom Benutzer ab. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß es genügt, ein gutes Kochbuch zu haben, um gut zu kochen. Ein Kochbuch kann nie mehr sein als eine Anleitung für Menschen, die von geschmacklichen Erlebnissen schon eine gewisse Vorstellung haben. Wer das nicht hat, braucht sich auch kein Kochbuch zu kaufen. Das hilft dann nicht weiter. Mich hat mal ein Mann aus Xanten angerufen, wegen eines Pilzrezeptes von mir, in dem als Gewürze Thymian und Rosmarin angegeben waren. Er hatte erst ein bißchen herumtelefonieren müssen, um meine Nummer herauszukriegen. Aber schließlich hatte er sie und stellte mir folgende Frage: „Ich habe weder Thymian, noch Rosmarin: Kann ich statt dessen auch Oregano nehmen?“ So lächerlich das klingt, ich meine, der wird eines Tages kochen können. Der wußte es halt noch nicht. Aber wer sich solche Mühe gibt, um ein paar Waldpilze zuzubereiten … „Na, selbstverständlich können Sie das“, habe ich gesagt. „Nur machen Sie nicht den Fehler, Knoblauch zu nehmen, wenn da Zwiebel steht, oder umgekehrt.“ Beim Kochen muß einem vorschweben, was dabei am Ende herauskommen soll. Es muß ein Ziel da sein, und das kann man sich selber setzen. Und wenn man sich nicht überschätzt, hat man auch Erfolg. Allerdings: Amusische Menschen können nicht kochen. Sie können zwar nach einem Rezept Stufe für Stufe vollziehen, aber es wird immer nur ein Standardgericht dabei herauskommen. So wie ein „konservativer Esser“ nie ein wirklicher Genießer werden wird.

Wahre Gourmets, sagt man, grausen sich vor nichts. Sind Feinschmecker denn kaltblütig?

Kaltblütig? Nein, ich würde sagen, sie sind besonders heißblütig. Neugier ist ja kein Zeichen von Kaltblütigkeit. Ich hab mir beispielsweise nie vorstellen können, was man aus Entenfüßen, aus den Schwimmhäuten, machen kann, bis ich mal in einem chinesischen Lokal ein ganz vorzügliches Gericht damit gegessen habe. Man muß natürlich das Glück haben, daß das jemand macht, der das kann. Aber die meisten Leute würden sich wohl schaudernd abwenden.

Auf mäklige Esser sehen Feinschmecker mit einer Art Verachtung herab?

Ich habe gar nichts dagegen, wenn einer zum Beispiel Austern nicht ausstehen kann. Aber wenn man ihn fragt, ob er schon mal eine gegessen habe, und er sagt nein, dann ist er für mich als Gesprächspartner erledigt. Natürlich gibt es Leute, die das nicht mögen, Sachen wie Austern oder Schnecken, aber man muß es mindestens einmal probieren. Man kann’s ja ausspucken, notfalls. Da wir gerade in Hamburg sind: Ein typisches Hamburger Essen und eines der ganz wenigen, die ich nicht mag, ist Birnen, Bohnen und Speck. Ich mag diese Kombination nicht. Aber natürlich hab ich es schon dreimal probiert, von verschiedenen Leuten zubereitet. Und seitdem weiß ich nun fast endgültig, daß ich es nicht mag und daß ich es auch niemals kochen werde.

Aber das Essen wie das Kochen sind doch auch Selbstdarstellung?

Natürlich ist Kochen Selbstdarstellung: Ich sitze sozusagen mit auf dem Teller, mittendrin im Kartoffelpüree. Und selbstverständlich gibt es auch Leute, die damit ihre Individualität betonen wollen. Aber auch das ist eine Minorität. Die meisten wollen ja ihre Anpassungsfähigkeit demonstrieren.

Warum träumen Gourmets nicht nur von großen Geschmackserlebnissen, sondern auch von großen Menüs, von einer unendlichen Reihe von Gängen?

Das ist so wie mit der Liebe. Der Wunsch, nicht aufhören zu müssen, die Grenzen des physischen Vermögens überschreiten zu können. Das ist doch ganz natürlich.

Sie kochen ja nicht nur selber, sondern Sie produzieren auf Ihrem Bauernhof einen Teil der Zutaten auch noch selber?

Ja. Ich baue zum Beispiel bestimmte Kräuter an, die man noch immer nicht frisch kaufen kann. Ich hab in meinem Kräutergarten alleine acht verschiedene Sorten Salbei. Oder so was wie Ysop. Versuchen Sie mal, den zu bekommen. Und fünf Sorten Basilikum, darunter zwei sehr aromatische Wildformen, eine rotblättrige und eine, die nennt sich „kubanisches Strauchbasilikum“, mit ganz kleinen grünen Blättern, die auch Frost aushalten. Wer ohne Kräuter kocht, habe ich mal geschrieben, kann gleich bei Wasser und Brot bleiben. Ich hab aber zum Beispiel auch eigene Zitronen. In der Lüneburger Heide. Meine Nachbarn, die alles Berufslandwirte sind, haben tatsächlich geglaubt, ich hätte Plastikzitronen an die Zweige gesteckt, weil sie gedacht haben, daß Zitronen bei uns gar nicht wachsen können. Gut, es ist nicht so, daß ich damit handeln könnte, aber wir haben dieses Jahr von zwei Sträuchern doch sechs Kilo geerntet. Und da weiß ich ganz genau, die sind nicht behandelt, nicht gespritzt. Das ist natürlich wunderbar, aber auf der anderen Seite ist das auch eine Art Luxus, so einen Garten zu betreiben. Ich brauche drei Leute, um diesen Garten einigermaßen in Ordnung zu halten, zweiunddreißigtausend Quadratmeter. Wovon ein kleiner Teil, vielleicht zehntausend Quadratmeter, für die Weide abgeht, für die Heidschnucken. Aber das andere ist alles genutzt. Und ich bin mir auch im Klaren darüber, daß ich mir das erlauben kann, ohne Pestizide, Fungizide und wie diese Dinger alle heißen, die unter dem irreführenden Namen „Pflanzenschutzmittel“ geführt werden. Hinter mir steht ja kein ökonomischer Zwang. Wenn etwas nicht wächst, na, dann wächst es in dem Jahr eben nicht._

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung - Magazin vom 5.12.1997
Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH

Und hier noch ein Fragebogen, den Wolf Uecker ausgefüllt hat …

_Der Kenner von Küche, Keller und Kunst wurde 1921 in Berlin geboren. Er war Lektor und Zeitschriftenredakteur, Chefreporter des „Stern“, Besitzer einer Werbeagentur, Galerist und Gründer der Kunstzeitschrift „art“. 1981 verkaufte Uecker seine Galerie, zog auf einen Bauernhof in der Lüneburger Heide (mit Versuchsküche) und widmete sich in der Folge seiner Kochleidenschaft. Zu den bekanntesten Büchern des bekennenden Bratkartoffel-Fans gehören das „Brevier der Genüsse“ und „Ueckers Küchenpraxis für Feinschmecker und Kochkünstler“.

FREUD UND LEID

WAS ist Ihre größte Hoffnung?
Gesundheit.

WER oder was ist Ihre heimliche Leidenschaft?
Habe da keine Heimlichkeiten.

WAS ist Ihnen peinlich?
Sehr wenig, eher nichts.

WELCHE kulinarischen Genüsse schätzen Sie besonders?
Regionale Gerichte, deutsch oder italienisch.

WAS treibt Sie zur Verzweiflung?
Wortwechsel mit dummen Menschen.

FREUND UND FEIND

WEM werden Sie ewig dankbar sein?
Niemandem.

WAS loben Ihre Freunde an Ihnen?
Gastfreundschaft, Humor.

WEM möchten Sie auf keinen Fall in der Sauna begegnen?
Dort ist mir jede® recht.

WAS sagen Ihre Feinde Ihnen nach?
Zynismus.

WOFÜR oder bei wem müssen Sie sich unbedingt noch entschuldigen?
Für nichts, bei niemandem.

SCHEIN UND SEIN

WELCHE Ihrer Vorzüge werden verkannt?
Toleranz.

WAS war, was ist Ihr größter Erfolg?
Dass ich ernst genommen wurde.

WAS war Ihre dramatischste Fehlentscheidung?
In der Großstadt zu leben.

WAS sind Ihre verborgenen Schwächen?
Gehässigkeit, Sammelwut.

WIE würden Sie einem Blinden Ihr Äußeres beschreiben?
Gar nicht (was hätte er davon?).

DENKEN UND LENKEN

WAS würden Sie zuerst durchsetzen, wenn Sie einen Tag lang Deutschland regieren könnten?
Verkleinerung der Parlamente um zwei Drittel.

WER wird Deutschland in zehn Jahren regieren?
Wieder ein Demagoge.

WELCHER Politiker flößt Ihnen Vertrauen ein?
Helmut Schmidt, Kurt Biedenkopf.

WER sind für Sie die drei klügsten Köpfe unserer Zeit?
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Jünger, Robert Musil.

WAS ist Ihre Lebensphilosophie?
Savoir vivre.

EWIGKEIT UND VERGÄNGLICHKEIT

WELCHEN Traum wollen Sie sich unbedingt noch erfüllen?
Sind alle abgehakt.

WO möchten Sie beerdigt werden?
Wo ich jetzt lebe.

WER soll Ihre Grabrede halten?
Niemand.

WELCHEN Satz erhoffen Sie sich darin?
-_

Quelle: Die Woche vom 14.5.1999

Ich hoffe, Du kannst damit etwas anfangen und wünsche Dir ein schönes Rest-Wochenende!

Gruß!
Chris