Wollte Giuseppe Verdi in der Öffentlichkeit als Christ gelten?

Guten Tag!

Verdi war Atheist. Aber er schrieb den Gefangenenchor und die Messa di Requiem.

Wollte er in der Öffentlichkeit als Christ gelten und behielt seinen Atheismus für sich?

Danke, Dir auch.

Bist Du sicher? Verdi hielt mit Sicherheit nichts von der Kirche und von Priestern. Das lässt neben Atheismus allerdings auch andere Deutungen zu; so könnte er beispielsweise Agnostiker gewesen sein oder lediglich die (insbesondere katholische) Kirche wegen ihrer Korrumpiertheit durch Macht abgelehnt haben - also wegen politischer, nicht weltanschaulicher Differenzen. Verständlich - der durch den Wiener Kongress wiederhergestellte Kirchenstaat war ein reaktionärer Polizeistaat.

Dass Verdi in seinem Testament ein kirchliches Begräbnis untersagte, wie gelegentlich kolportiert wird, ist übrigens falsch bzw. ein Missverständnis. Er bestand lediglich auf einer bescheidenen Beisetzung ohne Gesang und Musik. Der gewünschte Ort der Beisetzung war jedenfalls die Kapelle (sic!) des von ihm gegründeten Altersheims für Musiker (Casa Riposo); alternativ der Mailänder Monumentalfriedhof (Cimitero Monumentale). Die Beisetzung auf dem Mailänder Friedhof am 30.01.1901 war in der Tat recht bescheiden, zwei Priester begleiteten den Leichenzug, die kirchliche Zeremonie fand in der Kirche San Francesco di Paola statt.

Das Staatsbegräbnis knapp einen Monat später (26.02.1901) war dann allerdings etwas anders - von der Überführung vom Cimitero Monumentale zur Casa Riposo waren über 300.000 Menschen Zeuge. Als sich der Zug in Bewegung setzte, sang man - natürlich - das ‚Va pensiero‘, den sog. Gefangenenchor. Ein weiteres Mal bei der Ankunft; dieses Mal mit Orchester und einem Chor von 850 Sängerinnen und Sängern, dirigiert von Arturo Toscanini. Direkt an der Gruft wurde dann das ‚Miserere‘ aus dem Trovatore aufgeführt.

Nabucco und insbesondere das ‚Va pensiero‘ ist ungeachtet des biblischen Sujets bzw. der Anlehnung an Psalm 137 keine „geistliche Oper“, auch wenn Nabucco ursprünglich wohl eher nicht als eine Parabel auf das Risorgimento gedacht war - gedeutet wurde es so wohl erst nach der gescheiterten Revolution 1848, als auch der Gefangenenchor zur inoffiziellen Nationalhymne derer wurde, die auf einen italienischen Nationalstaat hofften - auf eine Befreiung aus der ‚babylonischen Gefangenschaft‘. Wobei die staatliche Zensur speziell im Kirchenstaat und dem habsburgischen Lombardo-Venetien bei dieser Entwicklung eine unfreiwillig förderliche Rolle spielte.

Auch sollte man nicht vergessen, dass Nabucco ziemlich am Anfang von Verdis Karriere stand; er war da gerade mal 28 Jahre alt. Ansonsten handelte es sich einfach um ein gutes, effektvolles Libretto. ‚Religiös‘ ist Nabucco ebenso wenig wie Richard Strauss’ Salome, auch wenn der Autor der literarischen Vorlage Anicet-Bourgeois nun gewiss kein Oscar Wilde ist …

Die Messa di Requiem war wohl ursprünglich als reine Anlasskomposition für den 1. Todestag Mazzinis gedacht, auch wenn Verdi selbst in Folge weitere (konzertante) Aufführungen des Requiems dirigierte. Es handelt sich bei der Komposition trotz der engen formalen Anlehnung an die Totenmesse nicht um Kirchenmusik; die Messa wäre zur Verwendung in der Liturgie ohne starke Eingriffe gar nicht geeignet und sie war auch nie gedacht dazu. Es ist schlicht eine Reverenz an Mazzini, den Verdi sehr verehrte.

Wenn, dann hat er sich in dieser Beziehung jedenfalls nicht viel Mühe gegeben.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Bist Du sicher?

Guten Tag, Tychiades,

danke für Deine Antwort. Arturo Toscanini, der Verdi gut kannte, schreibt in einem vom 29. Juni 1937 datierten Brief an Ana Mainardi: „I’ve asked you whether you’re religious, whether you believe! I do—I believe—I’m not an atheist like Verdi, but I don’t have time to go into the subject.“

Nun ja - noch näher als Toscanini stand Verdi sicherlich seine (2.) Ehefrau Giuseppina Verdi-Strepponi, die am 09.05.1872 (also ca. ein Jahr bevor Verdi mit der Arbeit an der Messa begann) an ihre (und Verdis) Freundin Clara Maffei in einem Brief schrieb: „Und dennoch erlaubt sich dieser Brigand, ich will nicht sagen, ein Atheist zu sein, aber sicherlich sehr wenig von einem Gläubigen zu haben, unddas mit einer Hartnäckigkeit und einer Ruhe, dass man ihn verprügeln möchte. Ich spreche ihm voller Sehnsucht von den Wundern des Himmels, der Erde, des Meers usw. usw. Verschwendeter Atem! Er lacht mir ins Gesicht und unterbricht mich mitten in meinen rednerischen Versuchen, mitten in meinem göttlichen Enthusiasmus, indem er sagt: ‚Ihr seid alle verrückt!‘, und unglücklicherweise sagt er es voller Zuversicht.“ Verdi selbst schrieb am 05.03.1874 (also während der Arbeit an der Messa) an Clara Maffei: „Auch meine religiösen Begeisterungen sind vergangen, und kaum mehr glaube ich angesichts der Wunderlichkeiten seiner Geschöpfe an Gott.“

Ein entschiedener Atheist war er wohl doch eher nicht …