Wortschatz Hans Keilson

Hallo zusammen,

ich habe gerade “der Tod des Widersachers” von Hans Keilson gelesen. Darin habe ich viele Wörter gelesen, die ich aus dem Deutschen so nicht kenne, aber die ich als Niederländerin sofort verstanden habe.

Nur einige Beispiele:
• Abkunft (ich würde sagen “ Herkunft ”, im Niederländischen “afkomst”);
• Advokat ( Rechtsanwalt , im NL: advocaat);
• Schlachtopfer ( Opfer , im NL: slachtoffer);
• Vortür ( Haustür , im NL: voordeur);
• Grund (im Satz: “…, wir zogen die alten, morschen Gitter aus dem Grund und warfen sie auf die Gräber nebenan.” Boden , im NL: grond);
• Meinen Kopf schütteln (ich schüttle mir den Kopf, im NL: mijn hoofd schudden);
• Sie können darauf rechnen (da können Sie sich sicher sein, im NL: u kunt daarop rekenen);
• Kirchhof ( Friedhof , im NL: kerkhof);
• Grasfeld ( Wiese oder Rasen , im NL: grasveld);
• Anfallen ( angreifen , im NL: aanvallen);
• Flöten ( pfeifen , im NL: fluiten).

Hat der Autor seine Muttersprache verlernt und sind sie als “Niederlanzismen” zu verstehen oder liegt es an mir und gehört alles zum aktuellen deutschen Wortschatz, aus dem mir noch Einiges fehlt. Des Letzteren bin ich mir ohnehin bewusst.

Vielen Dank im Voraus für alle eure Be- und Anmerkungen.

Gruß

Marianne RW

Nur einige Beispiele:
• Abkunft (ich würde sagen “ Herkunft ”, im Niederländischen
“afkomst”);

Etwas ungewöhnlich bzw. selten, aber noch durchaus „normal“.

• Advokat ( Rechtsanwalt , im NL: advocaat);

Recht üblich. (eher fachsprachlich)

• Schlachtopfer ( Opfer , im NL: slachtoffer);

Zwar wieder selten, aber als genauere Beschreibung noch geeignet.

• Vortür ( Haustür , im NL: voordeur);

Die Hintertür ist recht gebräuchlich. Wenn die Vortür im selben Kontext vorkam, ist das nicht einmal allzu ungewöhnlich. Ansonsten auch eine relativ seltene Vokabel.

• Grund (im Satz: “…, wir zogen die alten, morschen Gitter aus
dem Grund und warfen sie auf die Gräber nebenan.” Boden , im
NL: grond);

Vollkommen normal. In Redewendungen trifft man z.B. auf „in Grund und Boden“.

• Meinen Kopf schütteln (ich schüttle mir den Kopf, im NL:
mijn hoofd schudden);

Die Formulierungen sind eigentlich absolut identisch, die letztere habe ich sogar noch (fast) nie gehört.

• Sie können darauf rechnen (da können Sie sich sicher sein,
im NL: u kunt daarop rekenen);

Ich kenne zwar eher „damit rechnen“, aber „darauf“ geht auch noch.

• Kirchhof ( Friedhof , im NL: kerkhof);

Auch noch normal.

• Grasfeld ( Wiese oder Rasen , im NL: grasveld);

Wieder etwas ungewöhnlicher, aber wohl eher eine Umschreibung.

• Anfallen ( angreifen , im NL: aanvallen);
• Flöten ( pfeifen , im NL: fluiten).

Beides gebräuchlich (mit dem Kopfschütteln oben die häufigsten der Liste).

Hat der Autor seine Muttersprache verlernt und sind sie als
“Niederlanzismen” zu verstehen oder liegt es an mir und gehört
alles zum aktuellen deutschen Wortschatz

Das würde ich aus der Liste nicht schließen.
Schlachtopfer, Vortür und Grasfeld sind die ungewöhnlichsten Wörter, aber die lassen sich auch alle problemlos aus dem Deutschen herleiten.

Ich habe übrigens noch nachgeschlagen: Bis auf Vortür und Grasfeld konnte ich alle Wörter im Duden finden. Ich bin mir aber sicher, in anderen (besseren…) Wörterbüchern werden sich auch diese finden.

mfg,
Che Netzer

Hallo Marianne,

die Wörter sind bestimmt noch verständlich, außer Grasland (das wurde evtl. in der Landwirtschaft benutzt) und Vortür (das heißt eher Vordertür); vielleicht ist Vortür tatsächlich vom Niederländischen beeinflusst.
Niederländischen Einfluss sehe ich auch bei meinen Kopf schütteln. Ich glaube, da sagt man im Deutschen eher den/mit dem Kopf schütteln. Diese Wendung wird auch heute noch sehr oft benutzt, aber alle anderen Wörter dürften aus dem häufigen, aktiven Sprachschatz ziemlich verschwunden sein.

Ich habe mir seine Biographie angesehen, und es ist nicht verwunderlich, wenn er in Der Tod des Widersachers (1959) antiquiertes Vokabular benutzt. Er ist 1909 geboren und lebte seit 1936 in den Niederlanden, er hat also seither die Entwicklung der Deutschen Sprache nicht wirklich mitgemacht.

Grüße
Pit

Nachtrag
Guten Morgen,

im Kernkorpus bei http://www.dwds.de/ habe ich mal nachgeschaut, wie oft einige Wörter vorhanden sind. Das Kernkorpus umfasst 100 Millionen Wörter aus Texten des 20. Jahrhunderts aus Literatur, Presse, Wissenschaft und Gebrauchsliteratur.
Grund, anfallen und flöten habe ich weggelassen, weil sie mehrdeutig sind. Ebenso den Kopf schütteln und auf etwas rechnen, weil feste Wendungen nicht statistisch erkannt werden

• Abkunft - 198
• Advokat - 966
• Schlachtopfer - 19
• Vortür - kein Treffer
• Kirchhof - 272
• Grasfeld - 6

Bei http://www.duden.de/ kannst Du ähnliche Stichproben machen. Lass ein Wort suchen, dann musst Du auf Zum vollständigen Artikel klicken Sie hier klicken, und Du siehst einen Statistik-Balken (oder wie so ein Ding heißt).

Und zum Schluss: bei wikipedia habe ich gefunden, dass 1986 ein Gedichtband von ihm erschienen ist, mit dem bezeichnenden Titel Sprachwurzellos.

Tschüss
Pit

Auch ein Nachtrag

• Meinen Kopf schütteln (ich schüttle mir den Kopf, im NL:
mijn hoofd schudden);

Die Formulierungen sind eigentlich absolut identisch, die
letztere habe ich sogar noch (fast) nie gehört.

Das Kursive nehme ich mal schnell zurück…
Da war ich etwas voreilig.

mfg,
Che Netzer

Guten Tag,

• Flöten ( pfeifen , im NL: fluiten).

Zu pfeifen/flöten gibt ‚Das Österreichische Deutsch‘ (Robert Sedlaczek, Wien 2004) folgendes:
In de meisten Gebieten des deutschen Sprachraums verwendet man den Ausdruck „ein Lied pfeifen“, auch in Österreich. Nur ganz im Norden und im Nordwesten Deutschlands wird „flöten“ verwendet … Das Wort „pfeifen“ ist im Mittelhochdeutschen als pfîfen belegt und vermutlich lautmalend. Das Hauptwort „Flöte“ ist im 13. Jahrhundert aus französisch fleute über das Niederländische entlehnt, später ist regional eine Übertragung auf „ein Lied pfeifen“ erfolgt.

Grüße,
Kiat

Hallo!

• Meinen Kopf schütteln (ich schüttle mir den Kopf), die Formulierungen sind eigentlich absolut identisch.

Au weia, da habe ich meinen Schülern bislang wohl angelogen. Ich sage ihnen immer, dass es im Deutschen „sich den Arm brechen“ oder „ich habe mir das Bein gebrochen“ heißt anstatt wie im Niederländischen „ich habe mein Bein/meinen Arm gebrochen“. [Ik heb mijn arm/been gebroken.] So nach dem Motto ‚wessen Bein/Arm denn sonst, wenn nicht mein eigenes, es sei denn, man hat Böses im Sinn‘. Da bietet das Possessivpronomen keine Zusatzinformation und kann deswegen auch weglassen werden. Ab nächstem Schuljahr werde ich wohl beide Möglichkeiten anbieten (müssen).
Aber wir wollen diese Diskussion nicht ins Fremdsprachenbrett verlegen. Das Buch ist allerdings sehr empfehlenswert.
Vielen Dank euch allen!

Gruß
Marianne RW

zu Kirchhof vs. Friedhof
Hallo Marianne,

• Kirchhof ( Friedhof , im NL: kerkhof);

der Begriff Kirchhof ist noch ganz üblich* in (meist dörflichen) Gemeinden, wo sich die Gräber tatsächlich neben der Kirche oder um die Kirche herum befinden.

*zumindest kenne ich das so aus Württemberg

Gruß G

So nach dem Motto
‚wessen Bein/Arm denn sonst, wenn nicht mein eigenes, es sei
denn, man hat Böses im Sinn‘. Da bietet das Possessivpronomen
keine Zusatzinformation und kann deswegen auch weglassen
werden. Ab nächstem Schuljahr werde ich wohl beide
Möglichkeiten anbieten (müssen).

In „Er hat sich den Arm gebrochen“ ist es tatsächlich eindeutig, durch das „sich“.
Andernfalls wäre es „ihm/ihr den Arm gebrochen“.
Und hier habe ich tatsächlich noch nie „sich seinen Arm brechen“ gehört.
Möglich ist aber: „mein Arm ist gebrochen“ (hier gab es noch keinen Bezug).

„Den Kopf schütteln“ kann sich zwar auch auf einen anderen Kopf beziehen, aber das ist so unwahrscheinlich, dass man gar keinen anderen Kopf erwartet. Ähnlich wie „mit den Achseln/Schultern zucken“.
Deutlich wird es auch noch bei dem Adjektiv „kopfschüttelnd“.
Allerdings kann man hier auch ohne Probleme „Ich schüttelte meinen Kopf“ sagen. Das wäre zwar die exaktere Variante, aber solange keine fremden Köpfe geschüttelt werden, ist beides gleichberechtigt.
Dann entscheidet man aus dem Zusammenhang:

  1. „Nachdem A aus dem Fenster blickte, schüttelte B seinen/den Kopf“.
    Hier wäre „den“ etwas besser geeignet, da man sonst eher glaubt, dass As Kopf geschüttelt wird.
  2. „A brach sich den Arm und ich schüttelte den/meinen Kopf“
    Hier wäre „meinen“ besser geeignet…

„den“ ist oft empfehlenswerter als „seinen“, aber bei „meinen“ oder „deinen“ gibt es keine Probleme.

mfg,
Che Netzer

zu ‚darauf rechnen‘
Hallo Marianne,

• Sie können darauf rechnen (da können Sie sich sicher sein,
im NL: u kunt daarop rekenen);

im Deutschen sagt man entweder

„Sie können damit rechnen.“

oder

„Sie können darauf zählen.“

Gruß G.

zu ‚Abkunft‘ und ‚Schlachtopfer‘
Hallo Marianne,

• Abkunft (ich würde sagen “ Herkunft ”, im Niederländischen
“afkomst”);

dieses Wort habe ich noch nie gehört.
Je nach Kontext würde im Deutschen Abstammung verwendet werden.

• Schlachtopfer ( Opfer , im NL: slachtoffer);

Auch dieses Wort habe ich noch nie gehört.
Je nach Kontext würde im Deutschen Bauernopfer (auch wenn es nicht ums Schachspiel geht!) verwendet werden.

Gruß G.

Der Begriff „Schlachtopfer“ könnte im theologischen Kontext sinnvoll sein, da im Alten Testament zwischen Rauch-, Schwenk-, Dank-m Schlachtopfern etc. unterschieden wird.

lg hahu