Wurzel/Stamm und Art des Affix - Heißt was ?

Hallo, bin neu hier und ich hoffe, ihr könnt mir helfen.

Also ich habe mehrere Sätze bekommen, bei denen ich ein unterstrichenes Wort nach der Wurzel, seinem Stamm und nach der Art des Affixes(Derivation oder Flexion) untersuchen soll.

Beispielsatz: Nur aus einem der gelesenen Artikel konnte ein wissenschaftliches Fazit gezogen werden.

unterstrichene Wörter: gelesenen, wissenschaftliches

Dann würde ich sagen:

gelesenen:
Wurzel = lesen?
Stamm = lesen?
Art des Affix = Flexion?

wissenschaftliches:
Wurzel = wissenschaft?
Stamm = wissenschaftlich?
Art des Affis = Derivation?

Bei Wurzel und Stamm musste ich allerdings raten, denn mir ist der Unterschied nicht so ganz klar.

Wäre mein Beispiel so richtig, bzw. könntet ihr mir bitte noch einmal den Unterschied zwischen Wurzel/Stamm versuchen zu erklären?

Danke fürs Lesen soweit. :smile:

Wäre mein Beispiel so richtig, bzw. könntet ihr mir bitte noch
einmal den Unterschied zwischen Wurzel/Stamm versuchen zu erklären?

›Wurzel‹ bezeichnet ein einziges Morphem, das den semantischen Kern eines Wortes darstellt. Bei dem Wort ›Vorlesungen‹ zum Beispiel wäre ›les‹ die Wurzel. Als Stamm bezeichnet man die Form, bei der ein bestimmter morphologischer Prozess ansetzt. Häufig handelt es sich auch bloß um ein Morphem, aber Stämme können auch komplex, also mehrteilig, sein. Für die Pluralbildung bei ›Vorlesungen‹ wäre ›Vorlesung‹ der Stamm, dem wiederum – vor der -ung-Nominalisierung – ›vorles‹ als Stamm zugrunde liegt.

Um es noch an einem deiner Wörter zu verdeutlichen:

Bei ›gelesenen‹ ist – wie bei Vorlesung – ›les‹ die Wurzel, weil dieses Morphem die Wortbedeutung trägt. Dies ist außerdem der Stamm für die erste morphologische Operation, nämlich die Bildung des Perfektpartizips durch Anfügen des (mehrteiligen) Affixes ›ge … en‹. Die Form ›gelesen‹, die dann entsteht, hat weiterhin die Wurzel ›les‹ (die verändert sich nicht, egal, was man so zusammenflektiert oder -deriviert) und bildet den Stamm für die Flexion, die es möglich macht, das Partizip adjektivisch zu verwenden: Hierzu wird das Suffix ›-en‹ angefügt, das eine schwache Genitiv-Plural-Beugung anzeigt.

Hilft dir das weiter?

Viele Grüße
Christopher

Ich danke dir für deine Antwort!
Jetzt habe ich zumindest schon einmal eine Vorstellung davon, was Wurzel und Stamm eigentlich heißt. Danke dir für dein anschauliches Beispiel. :smile:

Wenn ich dich richtig verstanden habe, wäre dies also so richtig:

gelesenen:
Wurzel = les
Stamm = gelesen
Art des Affix = Flexion

wissenschaftliches:
Wurzel = wissen
Stamm =
Art des Affix = Derivation(da durch das Affix -lich eine neue Wortform entsteht.)

Bei dem Wort „wissenschaftliches“ bin ich mir allerdings nicht sicher, da ich mit dem Begriff „Morphem“ noch so meine Schwierigkeiten habe. Auf Wikipedia beispielsweise steht als Beispiel „Segler“, wobei „Segl“ ein Morphem sein soll und „-er“ ein gebundenes Morphem(?).
Diese Trennung ergibt für mich aber irgendwie keinen Sinn, da ich auch nicht eine Regel der Trennung erkennen kann.

Zur Wurzel:
Ich habe bei dem zweiten Wort „wissen“ als Wurzel genommen, da es ja die kleinste bedeutungstragende Einheit sein soll und im Falle „Wissenschaft“ ja noch das Suffix „-schaft“ dranhängt und somit wie gesagt zerlegt werden kann.

Zum Stamm:
In einem Buch von mir steht, dass der Stamm eines Wortes derjenige ist, an dem ein Affix gehängt wird. „-schaft“, „-lich“ und „-es“ sind alles Affixe also würde in diesem Fall dann auch „wissen“ der Stamm sein?

Sind meine beiden Wörter also so richtig?

Obwohl mir gerade einfällt, dass man ja vielleicht wissen auch noch zerlegen kann in „wiss“ und „-en“. Irgendwie bin ich gerade am verzweifeln… :frowning:

Wenn ich dich richtig verstanden habe, wäre dies also so richtig:
gelesenen:
Wurzel = les
Stamm = gelesen
Art des Affix = Flexion

Es ist nicht falsch, aber ich würde es eher so schreiben:

Wort: ›gelesenen‹, Wurzel: ›les‹
Prozess 1: Flexion (Stamm ›les‹ + Affix ›ge … en‹ → ›gelesen‹)
Prozess 2: Flexion (Stamm ›gelesen‹ + Affix ›-en‹ = Genitiv Plural → ›gelesenen‹)

Dadurch wird klar, dass du verstanden hast, dass die Wurzel etwas Absolutes ist, das sich durch morphologische Prozesse nicht ändert, während der Stamm etwas Relatives ist, das sich immer auf den aktuellen Prozess bezieht.

wissenschaftliches:
Wurzel = wissen
Stamm =
Art des Affix = Derivation(da durch das Affix -lich eine neue
Wortform entsteht.)

Wieso hast du dir gerade die Adjektivierung als Prozess herausgesucht? Von der Wurzel bis zum Wort passiert ja noch einiges mehr. Ich würde versuchen, dieses einige vollständig zu beschreiben – so wie ich es oben angedeutet habe.

Auf Wikipedia beispielsweise steht als Beispiel „Segler“, wobei
„Segl“ ein Morphem sein soll und „-er“ ein gebundenes Morphem(?).

Ein Morphem ist doch – und ich hoffe, du kannst mir jetzt nachsprechen :wink: – die kleinste bedeutungstragende sprachliche Einheit. Das heißt: Man zerlegt ein Wort in Segmente und achtet darauf, dass jedes Segment eine (zumindest abstrakte, grammatikalische) Bedeutung hat. Wenn ein dadurch entstehendes Segment mehrere Bedeutungen oder Funktionen hat bzw. ein Segment keine erkennbare Bedeutung hat, ist etwas schiefgelaufen.

Bei ›Segler‹ gibt es einen Wortteil, der angibt, was die Person macht: Das ist ›Segl‹. Morpheme können Allomorphe mit abweichender grafemischer oder fonologischer Gestalt haben, also Varianten, die sich anders schreiben oder die anders lauten. Im Fall des Morphems ›Segel‹ ist, nach der Derivation mit -er, ein unbetontes ›e‹ weggefallen, das man demnach auch nicht mehr schreibt. Im Grimm’schen Wörterbuch (begonnen 1838) steht noch ›Segeler‹ als Nebenform drin. Wie immer dem sei: Der verbleibende Wortteil ›-er‹ dient im Deutschen dazu, Nomina Agentis zu bilden, also Nomen, die jemanden bezeichnen, der etwas Bestimmtes tut (vgl. Bäck-er, Tänz-er, Säuf-er usw.). Damit ist das Wort morphematisch komplett segmentiert.

Obwohl mir gerade einfällt, dass man ja vielleicht wissen auch
noch zerlegen kann in „wiss“ und „-en“.

Genau, die Wurzel ist ›wiss‹; sie kommt ja auch in anderen Zusammenhängen vor (ihr wiss-t, wiss-begierig usw.). Das ›-en‹ ist ein Affix, um den Infinitiv des Verbs zu bilden.

In einem Buch von mir steht, dass der Stamm eines Wortes
derjenige ist, an dem ein Affix gehängt wird.

Füge ein: ›jeweils‹. Der Stamm ist nichts Festes, sondern immer auf den jeweiligen Prozess bezogen, um den es geht. Verstehst du, was ich meine?

Irgendwie bin ich gerade am verzweifeln… :frowning:

Nicht doch :smile: Es ist bloß Morphologie.

Viele Grüße
Christopher

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