Zahnspangen

Hallo Experten,

ich habe eine etwas provokant fomulierte Frage, die aber dennoch auf eine ernste, ehrliche Antwort hinzielt, daher bitte nicht falsch verstehen.

Sind Zahnspangen für den Kieferorthopäden das was Hüft-OPs für den Orthopäden sind?

Oder anders formuliert: Werden in Deutschland im internationalen Vergleich nicht nur zu viele Hüft-OPs durchgeführt, sondern auch zu viele Zahnspangen verschrieben?

Dieser Gedanke kam mir, als ich letztens eine Klasse mit 12-14jährigen Kindern sah und kein einziges (!) Kind ohne eine Zahnspange unterwegs war.

Ist man heutzutage vielleicht einfach zu intolerant gegenüber normalen biologischen Variationen (ohne nennenswerte medizinische Nachteile)? Oder liegt es gar daran, dass man einfach gutes Geld mit Zahnspangen verdienen kann?

Gruß,
Sax

Ist man heutzutage vielleicht einfach zu intolerant gegenüber
normalen biologischen Variationen (ohne nennenswerte
medizinische Nachteile)? Oder liegt es gar daran, dass man
einfach gutes Geld mit Zahnspangen verdienen kann?

Servus Sax,

nachdem die kieferorthopädische ‚Stallwache‘ sich anscheinend den verdienten Vatertag nimmt, wird wohl der vormalige niedergelassene Zahnarzt ran müssen :wink:

. . . zunächst einmal die etwas flapsige Variante: „Wenn Dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, wird vieles für Dich ein Nagel sein“. Kieferorthopäden haben nach dem zahnmedizinischen Examen noch einmal 4 oder mehr Jahre draufgesattelt, um ‚Spangen‘ einsetzen zu können. Man fragt auch einen Bäcker nicht, warum er einem keine Schuheinlagen macht.

Natürlich liegt in einem reichen Land wie dem unseren die Frage nach Übertherapie und -versorgung nahe. „Die Kasse/Versicherung zahlt’s ja.“ Kieferorthopäden können heute mit ihren gewaltigen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten nahezu jede Kiefer- oder Zahnfehlstellung erfolgreich behandeln. Soll man es Ihnen verdenken, wenn sie es tun? Die ‚Lösung sucht Problem‘-Mentalität haben wir ja in anderen Lebensbereichen auch beobachten können - siehe Derivatehandel, Überversicherungstendenzen etc.

In D hat man die Gesundheitsdefinition der WHO sehr genau genommen:" Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity." Danach ist ein schief stehender Schneidezahn ‚unhealthy‘ - da beißt die Maus keinen Faden ab. Einschlägige höchstrichterliche Urteile gibt es bei uns seit den späten sechziger Jahren. Hier sind die Kuieferorthopäden also wohl ganz aus dem Schneider.

Schaut man sich nach epidemiologischen Daten um, gibt’s tatsächlich viel zu behandeln. Beispiel?

http://www.springermedizin.at/artikel/20778-fehlbiss…

Davon gibt es natürlich eine Menge mehr.

Ich glaube, dass Du schon die richtigen Frage stellst, aber - im Lande der PS-starken SUV’s, der Luxuskreuzfahrten und des Betreuungsgeldes kann man mit Fragen nach Fehlallokation gesellschaftlicher Mittel überall fündig werden. Du brauchst nur einmal nachzuzählen, wieviel verschiedene Essigarten in den Regalen bei Edeka zu finden sind. Spätrömische Dekadenz, oder? Und dafür willst Du die armen Kieferorthopäden verantwortlich machen?

Gruß

Kai Müller

Servus Kai,

vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Hat mich an einigen Stellen doch sehr zum Schmunzeln angeregt.

Besten Gruß,
Sax