Zeit- und Raumpunkt bei Gerold Prauss

Punkt mit Ausdehnung als Gattungsbegriff für Zeit- und Raumpunkt
bei Gerold Prauss.
Für die Herleitung seiner Handlungstheorie, mit der Prauss Theorie und Praxis zusammenführt, geht Prauss auf sein Denkmodell für Zeit zurück, in dem gedacht ein Stück Kreide mittels einer Kraft über eine Tafel bewegt wird, wobei durch einen Schwamm unmittelbar hinter der Kreide das Entstehen einer Linie und das Bleiben eines Punktes verhindert wird.
Eines der Hauptverdienste von Gerold Prauss dürfte sein, dass er im Zuge seiner erkenntnis- und handlungstheoretischen Herleitung eine Unmenge an Spekulationsgeröll und Schutt beiseite räumen muß und damit überwinden kann, um die widerspruchsfreie Denkbarkeit von Zeit und Raum und von Erkenntnis und Wirklichkeit möglich zu machen.
Auf Seite 322 Bd.I/II, Metzler, „Die Welt und wir“ fügt er in der Fußnote hinzu: „4. Wenn es Ihnen nicht genau genug ist, dieses Zeit-Modell vermittels Kreidestück und Schwamm und Tafel zu gewinnen, können Sie es absolut-exakt durch eine bloße Forderung erzeugen. Widerspruchsfrei ist es nämlich, folgendes zu fordern: Angenommen werde das dynamische Erzeugen einer geometrisch-idealen Linie in einem Zug als das dynamische Ausdehnen eines geometrisch-idealen Punktes. Durch ein solches Ausdehnen sei dann auch eine Richtung dieses Ausdehnens sowie die zu ihr umgekehrte Richtung festgelegt. Und da ein solches Ausdehnen ja kontingent sei, lasse dann auch zusätzlich noch folgendes sich annehmen: In einem Zug erfolge solches Ausdehnen, indem genau so viel an Ausdehnung, wie dabei in der einen Richtung je und je entstehe, in der umgekehrten Richtung dabei je und je vergehe.“
Dieses Modell ist ohne Widerspruch denkbar, aus dem sich das Konstrukt menschlicher Erkenntnis und Handlung dann widerspruchsfrei ableiten lässt. Mit etwas Mühe kann man dem durchaus folgen.
Die Frage ist nun: Ist dieses Modell eine Konstruktion oder Erfindung von Prauss, das er sich passend zu seiner Theorie zurecht gebastelt hat, an die ich also glauben muß, um die logische Ableitung akzeptieren zu können, oder ist dieser nur gedachte und virtuelle Punkt genau das, was tatsächlich und unvermeidlich immer gedacht wird, wenn wir den Begriff „Idealer Punkt“ benutzen? Oder gilt dies nur für dieses Modell?
Geröll und Schutt bisheriger Philosophie, der bislang die widerspruchsfreie Denkbarkeit eines idealen Punktes verhindert, wie es Prauss in seinem 1. Band nachweist, beruht darauf, dass man bislang Raum oder Linie mit Raumpunkt und davon abgeleitet Zeitraum mit Zeitpunkt dachte, also eine jeweilige Ausdehnung mit Punkt und nicht umgekehrt, Punkt mit Ausdehnung, was ein Widerspruch zu sein scheint. Wird doch ein idealer Punkt gerade ohne Ausdehnung gedacht, wie es wohl bis heute jeder Mathematiklehrer seinen Kindern beibringt, wobei der Widerspruch des Eleaten Zenon nur als spaßige Einlage erwähnt wird, der zu beweisen vorgab, daß sich ein Pfeil in der Luft nicht weiterbewegen könne.
Wie ein Blick ins Internet zeigt, entscheidet sich genau an dieser Frage, ob man dieses Denkmodell als das eine oder das andere bewertet, also als Konstruktion oder aber als einen tatsächlichen Vorgang als die Festlegung unseres Bewusstseins.
Ist dieser Punkt derart belastbar, daß man daraus nicht nur unsere Erkenntnis der Wirklichkeit ableiten kann, sondern auch die Wirklichkeit selbst, und dazu eben auch den Erkennenden, nämlich den Menschen und sein Handeln?
Friedhelm Schulz, 11.Dez. 2005

Hallo,

Die Frage ist nun: Ist dieses Modell eine Konstruktion oder
Erfindung von Prauss, das er sich passend zu seiner Theorie
zurecht gebastelt hat, an die ich also glauben muß, um die
logische Ableitung akzeptieren zu können,[…]?

mein Hintergrund ist im wesentlichen (s.u.) eine Vorlesung über Frege, die ich bei Prauss gehört habe, sowie wenig Lektüre von „Die Welt und wir“ und Diskussionen, Vorträge und Seminare bei Schülern von ihm.
Es steckt da immer ein bestimmtes Verständnis von Transzendentalphilosophie darin, wobei das Problem von Punkt vs. Kontinuum, dann schön deutlich wird. Über den Ausgangspunkt kommt man aber nicht heraus bzw. bestimmte, fragwürdige Annahmen sind sehr durchgängig (z.B. Wenn wir reden, reden wir immer _über_ _etwas_. Substanz-Accidens -> Wesen, Trennung von Subjekt und Objekt resp. Beobachter und Beobachtetem). Mir ging es jedenfalls so, daß ich mich bei „Die Welt und wir“ sehr schnell fragte, ob ich bereit bin, so viele Annahmen zu akzeptieren, oder ob ich die Problematik schon aus dem Alltag heraus verstehen kann.

Geröll und Schutt bisheriger Philosophie

Ja, mein Eindruck ist, daß er einiges klargemacht bzw. beiseite geräumt hat.

Wie ein Blick ins Internet zeigt, entscheidet sich genau an
dieser Frage, ob man dieses Denkmodell als das eine oder das
andere bewertet, also als Konstruktion oder aber als einen
tatsächlichen Vorgang als die Festlegung unseres Bewusstseins.

Innerhalb des Ansatzes: Ja. Und da bleiben ein paar Fragen diskutierbar - das sind dann so Fragen: wenn man einen Beobachter hat, wieso benötigt man dann noch ein „ein und selbiges“, was beobachtet wird. Ein Schüler von ihm, Cord Friebe, der in dieser Frage mit ihm uneins war hat sich daraufhin intensiv mit dem Unbewußten/Freud/Psychoanalyse beschäftigt. Ich sehe da schon einen Zusammenhang.

Ist dieser Punkt derart belastbar, daß man daraus nicht nur
unsere Erkenntnis der Wirklichkeit ableiten kann, sondern auch
die Wirklichkeit selbst, und dazu eben auch den Erkennenden,
nämlich den Menschen und sein Handeln?

Nunja, ich würde sagen: vor einer bestimmten Lesart kantischer Transzedentalphilosophie befindet man sich dann schon in einem Rahmen, in dem das alles schon mit drinsteckt.

Gruß,
Markus

Hallo Markus,

Du schreibst: #Mir ging es jedenfalls so, daß ich mich bei

„Die Welt und wir“ sehr schnell fragte, ob ich bereit bin, so
viele Annahmen zu akzeptieren, oder ob ich die Problematik
schon aus dem Alltag heraus verstehen kann.

Nunja, ich würde sagen: vor einer bestimmten Lesart kantischer
Transzedentalphilosophie befindet man sich dann schon in einem
Rahmen, in dem das alles schon mit drinsteckt.#

verstehe ich nicht ganz: schon von Heidegger her war für mich der rote Faden - auch oder gerade für den Alltag - wichtig, daß das Verhältnis von Erkennen und Erkanntem im Menschen bereits ein Verhalten ist.

Gruß,

Friedhelm

Hallo Friedhelm,

Du schreibst: #Mir ging es jedenfalls so, daß ich mich bei

„Die Welt und wir“ sehr schnell fragte, ob ich bereit bin, so
viele Annahmen zu akzeptieren, oder ob ich die Problematik
schon aus dem Alltag heraus verstehen kann.

Nunja, ich würde sagen: vor einer bestimmten Lesart kantischer
Transzedentalphilosophie befindet man sich dann schon in einem
Rahmen, in dem das alles schon mit drinsteckt.#

verstehe ich nicht ganz: schon von Heidegger her war für mich
der rote Faden - auch oder gerade für den Alltag - wichtig,
daß das Verhältnis von Erkennen und Erkanntem im Menschen
bereits ein Verhalten ist.

das verstehe ich wiederum nicht (Aus verschiedenen Gründen, u.a. habei ch mich bemüht, von Heidegger fernzuhalten - Das einzige was ich dazu sagen kann ist, daß SuZ stellenweise eine gute Sekundärliteratur zu Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen abgibt. Ein weiterer Gunrd ist, daß ich bisher nicht ahne wie der Begriff „Verhalten“ in Prauss Denken wichtig sein könnte.) Von meinem Zugang zu philosophischen Fragen würde ich „bereits“ weglassen und „im“ durch „in Bezug auf“ oder „beim“ ersetzen.

Gruß,
Markus

Hallo Markus,

Du schreibst: #Mir ging es jedenfalls so, daß ich mich bei

„Die Welt und wir“ sehr schnell fragte, ob ich bereit bin, so
viele Annahmen zu akzeptieren, oder ob ich die Problematik
schon aus dem Alltag heraus verstehen kann.

Nunja, ich würde sagen: vor einer bestimmten Lesart kantischer
Transzedentalphilosophie befindet man sich dann schon in einem
Rahmen, in dem das alles schon mit drinsteckt.#

Friedhelm: verstehe ich nicht ganz: schon von Heidegger her war für mich der rote Faden - auch oder gerade für den Alltag - wichtig, daß das Verhältnis von Erkennen und Erkanntem im Menschen bereits ein Verhalten ist.

Zusatz: als Porträtist erlebe ich immer wieder, daß ich bewußt oder unbewußt vom Aussehen und Gehabe eines Menschen bereits auf das schließe und schließen kann, was er denkt und wie er mit seiner „Wirklichkeit“ umgeht, - und daß andere Leute es mit mir nicht anders machen. In Sekundenschnelle! Insofern gehört für mich allein schon die Denkbarkeit der Praussche Denk- und Verhaltensstruktur auch zum Alltag.

Gruß,

Friedhelm

Dakor, Du hast recht. Was ist schon innerhalb und außerhalb des Menschen. Verfängliche Sprachgewohnheiten.
Aber es ist ja nicht nur der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Identität“, der dieses Thema so aktuell macht, - sondern erschreckend ist, daß man allgemein im Alltag „Identitäten“ annimmt und abstreift und damit sowohl Mensch- wie Weltansichten annimmt oder abstreift - und oft nur einen rhetorischen Esel besteigt und damit in den Krieg zieht. Was passiert da? Ich meine jetzt nicht Dabbelju.

ganz herzlich
Friedhelm

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Was
passiert da? Ich meine jetzt nicht Dabbelju.

Hallo Friedhelm,

ich habe auch Dein vorhergehendes erläuterndes Posting bzgl. Verhaltensstruktur gelesen. Worum geht es Dir nun? Prauss’ Verhaltensstruktur (seine ganz persönliche, nicht als Objekt philosophischer Betrachtung) sich vorzustellen? Ich habe wohl den Faden verloren.

Gruß,
Markus

Hallo Markus,
entschuldige den unvermittelten Abschwenk in den trivialen Alltag. Für mich persönlich ist die Relevanz der Prausschen Aussagen auch für den Alltag schon längst selbstverständlich.
Mit Deiner Aussage: „Mir ging es jedenfalls so, daß ich mich bei „Die Welt und wir“ sehr schnell fragte, ob ich bereit bin, so viele Annahmen zu akzeptieren, oder ob ich die Problematik schon aus dem Alltag heraus verstehen kann.“ wurde ich wohl annimiert oder verführt.

Natürlich ist die Relevanz der Prausschen Herleitung für den Alltag ein ganz anderes Thema, als diese Aussagen selbst und Fragen zu diesen. Dabei sollte und wollte ich auch eigentlich bleiben. Dabei steht an: Was bedeutet bei Prauss „Natur“. Dies aber nach Weihnachten!

Ich danke jedenfalls für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen und allen ein schönes und gesegnetes Weihnachten!

Gruß
Friedhelm

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