Zu Spaemann

Mein lieber Nescio,
du kannst es einem aber schwer machen!

Ich denke, eine Gesellschaft ist tendenziell sexuell
emanzipiert, wenn die Menschen Sexualität als Bereicherung des
Lebens nicht nur ersehnen, sondern in der Realität erleben.

Warum dann nur „tendenziell“ ?

Weil eine Bereicherung eben keine statisch-fixe Größe darstellt, sondern eine Tendenz, will heißen: sie kann immer noch größer werden.

Aber mein Haupteinwand ist: Da du behauptet hast, die hiesige
Gesellschaft sei sexuell nicht emanzipiert, meinst du also,
die Menschen hier würden Sexualität nicht als Bereicherung
ihres
Lebens erleben. Wollte man der Sache genauer nachgehen,
ergäbe sich m.E. eine Fülle von Problemen…

Was meinst du genau: Es gäbe Probleme bei der Erforschung? Das ist ja klar. Oder man würde bei der Erforschung auf die Probleme stoßen?
Schau dich in deinem Umfeld um: Wo sind die erfüllten und glücklichen Paare oder Singles? In den entsprechenden Anzeigen-Rubriken werden die einsamen Suchenden immer massenhafter und immer jünger.

Die Vorstellungen von Teilen der
68er, dass die sexuelle Befreiung der Individuen als die
Initialzündung für die gesellschaftliche Befreiung überhaupt
sich erweisen würde, haben sich als Illusion erwiesen.

Dann meinst du also doch, es habe in den letzten Jahrzehnten
eine
sexuelle Befreiung/Emanzipation stattgefunden ???

Ja, das meine ich, aber eben nur „tendenziell“. Nur zwei Beispiele: In den Fünfzigern bekam man als unverheiratetes Paar keine Wohnung, und wenn, machte sich der Vermieter der „Kuppelei“ schuldig. In meiner Straße wohnt ein allseits geschätztes, miteinander verheiratetes (!) homosexuelles Paar. Noch bis in die 70er wären sie von Gefängnisstrafe bedroht gewesen.
Obwohl ich das in meinem Satz nicht sage. Dort sage ich nur, dass Teile der 68er die Befreiung in dieser Reihenfolge versucht haben (Kommune I, Hippies).

Nur sei darauf nicht die gesellschaftliche Befreiung gefolgt.
Woran erkennst du denn letzteres ?
(Nimm diese Frage ruhig als rhetorische; ich bin der letzte,
der
darauf eine Blitzantwort erwartet :wink:

Hier eine blitzartige Teil-Antwort:
Der gesellschaftliche Emanzipationsprozess ist eine tendenzielle (!) Befreiung des seinen kollektiven Lebensprozess selber als Subjekt gestaltenden Menschen von der Naturnotwendigkeit.
Dazu gehört zumal die bewusste Planung und Gestaltung von Produktion und Reproduktion, also der Wirtschaft.
In unserer Gesellschaft ist aber die Ökonomie eine Naturmacht, der die Menschin hilflos ausgeliefert sind. Das erkennt man nicht nur an der Unfähigkeit der Politiker bei der Bewältigung der Arbeislosigkeit, sondern auch daran, dass in unserem Denken, das sich in der Sprache manifestiert, die Wirtschaft und zumal die Börse hypostasiert, in den Status von eigenständigen Wesenheiten erhoben werden, welche blühen oder nicht, kranken, sich erholen, einen Antrieb brauchen usw.

die neulich angesprochene neue ideologische Allianz
Habermas/Ratzinger

Die sehe ich noch nicht recht. wie drückt die sich inhaltlich aus?

Inhaltlich begann sie - schleichend - im Grunde schon
beim
Horkheimer der 40er Jahre?

Was der mit dem Katholizismus zu tun hatte, ist mir schwer vorstellbar.
Ich werde erst einmal den Link von peet hierzu studieren.

Grüße
oranier

Mein lieber Nescio,

Mei gutster Oranier :wink:

du kannst es einem aber schwer machen!

Das wollte ich wirklich nicht, wollte nur meine Auffassung zum
Ausdruck bringen, dass unser Thema viel zu problematisch ist,
um hier ernsthaft behandelt zu werden.

Ich denke, eine Gesellschaft ist tendenziell sexuell
emanzipiert, wenn die Menschen Sexualität als Bereicherung des
Lebens nicht nur ersehnen, sondern in der Realität erleben.

Warum dann nur „tendenziell“ ?

Weil eine Bereicherung eben keine statisch-fixe Größe
darstellt, sondern eine Tendenz, will heißen: sie kann immer
noch größer werden.

Ich finde „tendenziell“ meist als „Hintertürchenvokabel“ im Gebrauch.
Du meinst also, unsere Gesellschaft ist dabei, sich sexuell zu
emanzipieren. Das will ich nicht abstreiten, aber ich sehe eine
parallele Tendenz, nämlich die, dass man darauf abzielt,
sich von der Sexualität zu emanzipieren. Ich muss das so
schlagwortartig hier stehen lassen, hatte auf Siguschs
„Neosexualitäten“ verwiesen.
Das jedenfalls wäre etwas, was alle bisherigen Varianten der Sexual-
Repression nicht geschafft haben - und was wohl auch nicht gelingen
wird/kann.

Aber mein Haupteinwand ist: Da du behauptet hast, die hiesige
Gesellschaft sei sexuell nicht emanzipiert, meinst du also,
die Menschen hier würden Sexualität nicht als Bereicherung
ihres Lebens erleben. Wollte man der Sache genauer nachgehen,
ergäbe sich m.E. eine Fülle von Problemen…

Was meinst du genau: Es gäbe Probleme bei der Erforschung? Das
ist ja klar. Oder man würde bei der Erforschung auf die
Probleme stoßen?

Beides natürlich. So wie du meinst, geht es m.E. kaum:

Schau dich in deinem Umfeld um: Wo sind die erfüllten und
glücklichen Paare oder Singles? In den entsprechenden
Anzeigen-Rubriken werden die einsamen Suchenden immer
massenhafter und immer jünger.

Die Probleme wären sofort da, wenn du diese Aussage empirisch zu
untermauern versuchtest.

Die Vorstellungen von Teilen der
68er, dass die sexuelle Befreiung der Individuen als die
Initialzündung für die gesellschaftliche Befreiung überhaupt
sich erweisen würde, haben sich als Illusion erwiesen.

Dann meinst du also doch, es habe in den letzten Jahrzehnten
eine sexuelle Befreiung/Emanzipation stattgefunden ???

Ja, das meine ich, aber eben nur „tendenziell“. Nur zwei
Beispiele: In den Fünfzigern bekam man als unverheiratetes
Paar keine Wohnung, und wenn, machte sich der Vermieter der
„Kuppelei“ schuldig. In meiner Straße wohnt ein allseits
geschätztes, miteinander verheiratetes (!) homosexuelles Paar.
Noch bis in die 70er wären sie von Gefängnisstrafe bedroht gewesen.

Da gäbe es noch viele Beispiele von bejahenswerten Veränderungen.
Aber zugleich gibt es jene erwähnte Paralleltendenz.
Ich bezweifle eher, dass die aus beiden Tendenzen dieser
Liberalisierung resultierende Tendenz eine zur
Befreiung ist (dies durchaus in Entsprechung zur
Liberalisierung im allgemeinen, ökonomischen, politischen Leben).

Obwohl ich das in meinem Satz nicht sage. Dort sage ich nur,
dass Teile der 68er die Befreiung in dieser Reihenfolge
versucht haben (Kommune I, Hippies).

Naja, es gab schon einige anspruchsvollere Ansätze. Ich dachte eher
an beispielsweise die Theorien Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse.
Die hatten noch nicht vor dem Liberalismus kapituliert.

Nur sei darauf nicht die gesellschaftliche Befreiung gefolgt.
Woran erkennst du denn letzteres ?
(Nimm diese Frage ruhig als rhetorische; ich bin der letzte,
der darauf eine Blitzantwort erwartet :wink:

Hier eine blitzartige Teil-Antwort:

Ich hatte das im Sinne meiner hier eingangs genannten Auffassung von
der Schwere und Komplexität der Problematik gesagt.
Du bist offenbar anderer Ansicht und formulierst:

Der gesellschaftliche Emanzipationsprozess ist eine
tendenzielle (!) Befreiung des seinen kollektiven
Lebensprozess selber als Subjekt gestaltenden Menschen von der
Naturnotwendigkeit.
Dazu gehört zumal die bewusste Planung und Gestaltung von
Produktion und Reproduktion, also der Wirtschaft.
In unserer Gesellschaft ist aber die Ökonomie eine Naturmacht,
der die Menschin hilflos ausgeliefert sind. Das erkennt man
nicht nur an der Unfähigkeit der Politiker bei der Bewältigung
der Arbeislosigkeit, sondern auch daran, dass in unserem
Denken, das sich in der Sprache manifestiert, die Wirtschaft
und zumal die Börse hypostasiert, in den Status von
eigenständigen Wesenheiten erhoben werden, welche blühen oder
nicht, kranken, sich erholen, einen Antrieb brauchen usw.

Ich verstehe (und teile hier und da) deinen hiermit ausgedrückten
Unmut, sehe mich aber ausser Stande, eine der deinen entsprechende
Blitz-Teil-Antwort zu geben oder auch nur Kritik an deiner zu üben.
Das finge schon an mit der Frage: wer oder was ist das „Subjekt“ ?
Usw usf

Servus
Nescio