Zur Lage der Nation

Hallo Jürgen,

Ich glaube ihr alle missversteht mich doch ein bisschen…
Was ich meine:

  1. Wir haben definitiv Handlungsbedarf, keine Frage. Fraglich
    ist, wo wir losarbeiten sollten.

Ich würde zB vorschlagen, die Sorgen und Nöte der Unternehmen ernster zu nehmen. Das Wesen eines Unternehmens besteht doch darin, die eigene Wirtschaftskraft masslos zu übertreiben. Man braucht Kredite der Banken, will seine Produkte verkaufen und langfristige Lieferantenverhältnisse, also zeichnet man immer ein viel positiveres Bild vom eigenen Unternehmen. Wenn also hier geklagt wird, hat das eine andere Dimension.

  1. Wir kennen die Probleme. Uns diese pauschalisiert immer
    wieder mit depressivem Geheule in Erinnerung zu rufen ist a)
    langweilig, b) stagnierend und c) rufschädigend nach außen,
    verbessert also unsere Lage nicht, sondern führt dazu, dass
    alle wie erschrockene Hasen handlungsunfähig in die Runde
    blicken

Völlig richtig. Nur würde ich hier schon differenzien. Wer klagt und warum?

  1. Wir sind ebenso definitiv nicht so schlecht, wie man
    manchmal den Eindruck durch unsere offensive Eigenbewertung
    hat. Will man Investitionen anlocken, ist geschicktes
    Marketing angesagt und eben nicht permanentes Betonen der
    Nachteile. Denn wer glaubt, ausländische Manager bekommen die
    Stimmung hier nicht mit und beurteilen uns nicht danach, der
    irrt meines Erachtens.

Eben aus diesem Grunde erarbeiten Unternehmen schöne Hochglanzbroschüren, um von den realen Problemen abzulenken. Insofern war Christians Ursprungsposting sehr aufschlussreich, zeigt es doch, in welcher Verfassung wir alle wirklich sind.

  1. Wir sollten dort losschneiden, wo zuviel Speck auf den
    Rippen ist und nicht dort, wos sofort weh tut. Allerdings
    sitzt der Speck dort, wo die lautesten Schreier sind.

Das habe ich nicht verstanden. Wo sitz deiner Meinung nach der Speck?

  1. Wir brauchen Innovation. Innovation entsteht meiner Meinung
    nur dort, wo eine positive Grundstimmung ist.

Auch hier stimme ich dir zu. Wir sollten daher die Nöte der Unternehmen schon sehr ernst nehmen und emotionslos feststellen: Was können wir tun? Man kann auch die Krise positiv nutzen, auch mit positiver Grundstimmung. Wenn man aber dauerhaft auf Betonblockaden stösst, liegen die Nerven früher oder später blank.

  1. Stimmung ist hausgemacht über den Glauben und die Vision
    von Führungspersönlichkeiten. Und hier sehe in Deutschland
    derzeit überall und an allen Orten Versagen hoch 3. Und das
    ist wirklich standortgefährdend, nicht unsere immer noch
    kleinen, eigentlich lösbaren wirtschaftlichen Probleme.
    Und das meinte ich. Und das kotzt mich an…

Ich verstehe, was du meinst. Ich würde es so analysieren, dass der gesellschaftliche Konsenz fehlt, um eine Veränderung zu schaffen. Eben das lähmt die Gesellschaft und verhindert, die Krise positiv und innovativ zu gestalten. Auch stimme ich dir zu, dass die Führungspersönlichkeiten versagen. Ich denke noch immer, wir brauchen keine Gewerkschaften und auch keine Arbeitgeberverbände, die in der Krise selten zu einem Konsenz kommen. Einzelne Unternehmen und ihre Belegschaft schaffen das aber sehr wohl, wenn die Notwendigkeit von allen Seiten erkannt wird. Auch die Bevölkerung ist geteilt in der Wahrnehmung. Die einen beklagen den Sozialabbau und die anderen die miesen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Es wäre wüsnchenswert, wenn sich beide Lager in einer positiven Stimmung und mit dem festen Willen, etwas zu erreichen, aufeinander zubewegen würden. Warum das in Deutschland nicht so recht funktioniert, bleibt für mich ein Rätsel.

Gruss,
Klaus

Hallo Klaus,

Du musst das jetzt einmal aus der Sicht der Arbeitgeber sehen.

Aber das tust Du doch für mich. ,-)

Jene stellen heute nur noch dann neues Personal ein, wenn es
wirklich nicht mehr anders geht. Das ist die eigentliche
Tragödie, denn die nüchterne betriebswirtschaftliche
Erkenntnis, dass die Kosten bei sinkenden Absatzpreisen
reduziert werden müssen, betrifft eben auch die
Personalkosten. Nur stehen hinter den Personalkosten eben auch
Menschen, Existenzen bzw. persönliche Lebensformen, die massiv
betroffen werden. Hier sehe ich eben den
wirtschaftspolitischen Ansatz. Was kann man tun, damit
Arbeitgeber mehr Personal einstellen. Einige Beispiel habe ich
genannt.

Bis hier her widerspreche ich auch nicht.

Nochmal, Rainer, wir sprechen nicht von denen, die
bereits einen Job haben. Wir sprechen von denen, die derzeit
keine Arbeit haben.

Ich spreche i.d.R. über beides, denn die, die heute einen Job haben, können den schnell verlieren, wenn der Kündigungschutz verschlechtert wird, was ja in der Diskussion ist.

Ich kann mir nicht so recht vorstellen,
dass es sich von Arbeitslosengeld bzw. -hilfe auf Dauer gut
leben lässt.

Ich auch nicht.

Falls ja, dann stimmt das System sowieso nicht.

Da hast Du Recht.

Es
geht nicht um grosse Veränderungen oder einen Umsturz. Ich bin
der festen Überzeugung, dass bereits kleine Veränderungen, nur
eben in die richtige Richtung, schnell zu einer Verbesserung
führen würden.

Das ist, was ich bei den jetzigen Veränderungen hoffe, aber ‚allein mif fehlt der Glaube‘ … :wink:

Ich sehe in einem Signal an die Arbeitgeber, denen die
Neueinstellung erleichtert werden, ein De-Eskalation der
Probleme. Andere werfen den Begriff „Sozialabbau“ in die
Diskussion. Das ist ein Killer-Argument. Einerseit, weil
natürlich niemand einen Sozialabbau will, aber gleichzeitig
auch niemand diesen verhindern kann.

Will den niemand? Den Vertretern der AG-Verbände werfe ich genau das vor.

Genau lesen! Nicht den Unternehmern, die ihre Firma selbst mühsam aufgebaut haben, sondern den Verbadsfunktionären.

Beim Merz-Modell ist nun leider auch nur noch der Sozialabbau übrig gebleiben. Tut mir leid, das so bezeichnen zu müssen, aber es ist nichts anderes.

http://www.stern.de/politik/deutschland/?id=518865&n…

cu Rainer

Vertiefung: Kündigungsschutz

Ich spreche i.d.R. über beides, denn die, die heute einen Job
haben, können den schnell verlieren, wenn der Kündigungschutz
verschlechtert wird, was ja in der Diskussion ist.

Das ist interessant. Ich habe unlängst eine Diskussion mit einem Wirtschaftprofessor gehabt. Ich fragte ihn, wie sich die Arbeitslosenzahl verändert, wenn der Kündigungschutz komplett abgeschafft wird. Er antwortete, dass die Arbeitslosenzahl vermutlich auf 12 Millionen ansteigen würde. Ich ging hingegen davon aus, dass die Beschäftigung zunehmen würde. Wir haben dann noch länger diskutiert und ich habe mittlerweile einsehen müssen, dass eine Lockerung des Kündigungschutzes problematisch ist. Insofern würde ich dieses Instrument tatsächlich nur anwenden wollen, wenn dadurch ein Arbeitsloser in ein Beschäftigungsverhältnis übergehen kann.

Wie kann man das aber jetzt beweisen? Eigentlich nur, indem es in Zukunft einen völlig neuen Job gibt. Nennen wir ihn „Frullip-Job“. Dieser ist gekennzeichnet dadurch, dass er immer befristet ist, bei Bedarf verlängert werden kann, an keine Tarife gebunden ist und über einen gelockerten (oder keinen) Kündigungschutz verfügt. Die Entlohnung dafür sollte aber der Markt regeln. Ich könnte mir vorstellen, dass ein solcher Job dauerhaft nicht zwangsweise schlechter entlohnt würde, als ein vergleichbares, unbefristetes Arbeitsverhältnis. Wäre das eine innovative Idee?

Gruss,
Klaus

PS: Dein Statement zu den Arbeitgeberverbänden teile ich. Siehe hierzu auch meine Antwort an Jürgen.

Hallo Klaus,

Das ist interessant. Ich habe unlängst eine Diskussion mit
einem Wirtschaftprofessor gehabt. Ich fragte ihn, wie sich die
Arbeitslosenzahl verändert, wenn der Kündigungschutz komplett
abgeschafft wird. Er antwortete, dass die Arbeitslosenzahl
vermutlich auf 12 Millionen ansteigen würde.

Bin erstaunt.

Ich ging hingegen
davon aus, dass die Beschäftigung zunehmen würde. Wir haben
dann noch länger diskutiert und ich habe mittlerweile einsehen
müssen, dass eine Lockerung des Kündigungschutzes
problematisch ist. Insofern würde ich dieses Instrument
tatsächlich nur anwenden wollen, wenn dadurch ein Arbeitsloser
in ein Beschäftigungsverhältnis übergehen kann.

Immer noch erstaunt. …

Wie kann man das aber jetzt beweisen? Eigentlich nur, indem es
in Zukunft einen völlig neuen Job gibt. Nennen wir ihn
„Frullip-Job“. Dieser ist gekennzeichnet dadurch, dass er
immer befristet ist, bei Bedarf verlängert werden kann, an
keine Tarife gebunden ist und über einen gelockerten (oder
keinen) Kündigungschutz verfügt.

Was spricht dagegen, wenn das zwei Unternehmer mit zwei AN machen. Alle zwei Jahre werden die beiden Leute ‚ausgetauscht‘. Dann hast Du diesen Effekt und das geht, ohne ein Gesetz zu ändern.

Die Entlohnung dafür sollte aber der Markt regeln.

Das tut er eigentlich schon. Es gibt Tricks, auch in Tarifgebundenen Firmen den Tarifvertrag zu unterlaufen. … :wink: Mail?

Ich könnte mir vorstellen, dass ein
solcher Job dauerhaft nicht zwangsweise schlechter entlohnt
würde, als ein vergleichbares, unbefristetes
Arbeitsverhältnis.

Doch, denke ich schon.

Wäre das eine innovative Idee?

Nein. Da fehlt jede Planungssicherheit. Jeder Versuch, vom Einkommen etwas zu sparen und/oder Wertvolles Eigentum anzuschaffen wärde sich bei der nächsten Arbeitslosigkeitsphase als Fehler herausstellen.
Jeder verdiente Euro müßte sofort ausgegeben werden. Unter solchen Umständen wäre es praktisch ein Verbrechen, eine Familie zu gründen, denn den Kindern kann man so etwas nicht antun. Das wäre Verantwortungslos.

cu Rainer

Hallo Klaus,

  1. Wir haben definitiv Handlungsbedarf, keine Frage. Fraglich
    ist, wo wir losarbeiten sollten.

Ich würde zB vorschlagen, die Sorgen und Nöte der Unternehmen
ernster zu nehmen. Das Wesen eines Unternehmens besteht doch
darin, die eigene Wirtschaftskraft masslos zu übertreiben. Man
braucht Kredite der Banken, will seine Produkte verkaufen und
langfristige Lieferantenverhältnisse, also zeichnet man immer
ein viel positiveres Bild vom eigenen Unternehmen. Wenn also
hier geklagt wird, hat das eine andere Dimension.

Nicht zwangsläufig. Wenn ich z.B. die Löhnkosten drücken will, dann werde ich mich natürlich arm rechnen und auf die Tränendrüse drücken.
Und das gegen
a) die eigenen Belegschaft (es macht sich schlecht, mit steigenden Renditen Lohnabstriche durchzusetzen zu wollen)
b) die Politik: Ein Projekt darf nie sofort einen deutlichen wirt. Erfolg zeigen, da dann keine Subventionen zu erwarten sind => Immer die Schwierigkeiten und Probleme betonen
c) die Gesellschaft: Wer Meinungsmache zu seinen Gunsten betreiben will, muss(!) seine Probleme maßlos übertreiben, um einen scheinbaren Handlungsnot zu erreichen.

Und genau das macht IMHO jede Lobby derzeit sehr(!) erfolgreich (Thema: Klientelsicht von Statistiken), für Deutschland aber in meinen Augen mittlerweile zu erfolgreich.

(Nebenbei: Gerade gegen Kunden sich besser zu rechnen wäre häufig mehr als dumm. Denn dann liefert man ja Argumentationsfutter für Preissenkungen frei Haus:wink:)

  1. Wir kennen die Probleme. Uns diese pauschalisiert immer
    wieder mit depressivem Geheule in Erinnerung zu rufen ist a)
    langweilig, b) stagnierend und c) rufschädigend nach außen,
    verbessert also unsere Lage nicht, sondern führt dazu, dass
    alle wie erschrockene Hasen handlungsunfähig in die Runde
    blicken

Völlig richtig. Nur würde ich hier schon differenzien. Wer
klagt und warum?

s.o.

  1. Wir sind ebenso definitiv nicht so schlecht, wie man
    manchmal den Eindruck durch unsere offensive Eigenbewertung
    hat. Will man Investitionen anlocken, ist geschicktes
    Marketing angesagt und eben nicht permanentes Betonen der
    Nachteile. Denn wer glaubt, ausländische Manager bekommen die
    Stimmung hier nicht mit und beurteilen uns nicht danach, der
    irrt meines Erachtens.

Eben aus diesem Grunde erarbeiten Unternehmen schöne
Hochglanzbroschüren, um von den realen Problemen abzulenken.
Insofern war Christians Ursprungsposting sehr aufschlussreich,
zeigt es doch, in welcher Verfassung wir alle wirklich sind.

Ehrlich?:wink:

  1. Wir sollten dort losschneiden, wo zuviel Speck auf den
    Rippen ist und nicht dort, wos sofort weh tut. Allerdings
    sitzt der Speck dort, wo die lautesten Schreier sind.

Das habe ich nicht verstanden. Wo sitz deiner Meinung nach der
Speck?

Ach komm:wink: Wir habe soviel Luft im System, davon könnte man auf dem Mond eine Atmosphäre aufbauen…

  1. Stimmung ist hausgemacht über den Glauben und die Vision
    von Führungspersönlichkeiten. Und hier sehe in Deutschland
    derzeit überall und an allen Orten Versagen hoch 3. Und das
    ist wirklich standortgefährdend, nicht unsere immer noch
    kleinen, eigentlich lösbaren wirtschaftlichen Probleme.
    Und das meinte ich. Und das kotzt mich an…

Ich verstehe, was du meinst. Ich würde es so analysieren, dass
der gesellschaftliche Konsenz fehlt, um eine Veränderung zu
schaffen.

Quatsch. Der Konsens, dass wir etwas ändern müssen ist vorhanden. Was fehlt, sind Persönlichkeiten, die
a) eine Vision für Deutschland 2010 haben
b) die Kraft und Energie haben, diese Vision zu vermitteln und umzusetzen
c) keine durchschaubaren Eigeninteressen verfolgen

Traurig, aber für mich Fakt. Denn ansonsten höre ich nur allerorten ein Klagen auf hohem Niveau und kreative Vorschläge, wie man beim Nachbarn sparen könnte:wink:

Grüße
Jürgen