Max Weber und dessen Konzeption der Ratio
Es bedarf weder einer hohen Intelligenz noch einer
qualifizierten Ausbildung, um zweifelsfrei konstatieren zu
können, dass die Stimme, die ich beim Wahlakt abgebe, das
„Gewicht“ Null hat.Welchen in einem ganz alltäglichen Sinn
vernünftigen/rationalen Grund gibt es also für mich, d.h. für
jeden, an der Stimmabgabe teilzunehmen?
Vielleicht kann ich hierbei, lieber Nescio, ein paar Worte beitragen, wenn ich mir von Max Weber die Unterscheidung der Zweckrationalität von der Wertrationalität (die er abgrenzt vom affektuellem und traditionellem, also irrationalem, Verhalten) borge.
Ohne jede Frage erscheint die Teilnahme an einer Wahl von der Größenordung einer Landtags- oder Bundestagswahl nicht als zweckrational, weil ich meine Stimme dabei unmöglich als Mittel einsetzen kann um meine Zwecke erfolgreich durchzusetzen (so ungefähr definiert Weber die Zweckrationalität). Ob ich abgestimmt habe oder nicht ist völlig irrelevant.
Hier ist aber wichtig, dass Weber die Zweckrationalität als einen Aspekt des sozialen Handelns definiert, und damit als Problem der sog. „doppelten Kontingenz“ (wie T. Parsons das so schön ausdrückte)
Das heißt: mein Handeln steht unabdingbar in Bezug auf das Handeln anderer Handelnder. In dem (Extrem)Moment, in dem allgemein die fehlende Zweckrationalität der Stimmabgabe eingesehen wird (also keiner mehr hingeht), wird es plötzlich doch zweckrational, wählen zu gehen, weil meine Stimme nun doch Gewicht besitzt …
Zu diesem Einsehen gelangen nun auch wieder die anderen sozialen Akteure, so dass ich weiß, dass es nie zu dieser Situation kommen wird, in der meine Stimmabgabe zweckrational sein kann, aber prinzipiell kommen könnte …
M.E. ist das aus dieser Sicht ein unauflösbarer Zirkel (ähnlich dem Gefangenendilemma und anderen spieltheoretischen Modellen), weshalb ich mein Wählengehen natürlich erst mal als nicht-(zweck)rational betrachte, auf der anderen Seite könnte ich wohl aber doch mit einiger Berechtigung sagen, dass ich zweckrational handle, wenn ich die höchst geringe Möglichkeit, dass meine Stimme doch Gewicht haben könnte, berücksichtige und entsprechend ein Kosten-Nutzen-Kalkül anstelle.
Zum zweiten halte ich das Wählengehen u.U. für wertrational.
Weber definiert Wertrationalität als „bewussten Glauben an den -ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden- unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg“.
(wohlgemerkt grenzt er das von irrationalen, also affektuellen und traditionalen, Verhaltensweisen ab).
Wenn ich also der Demokratie einen positiven Wert zuerkenne und der Überzeugung bin, dass Wählen-Gehen für Demokratie wichtig ist, dann handle ich mit meiner Stimmabgabe sicherlich wertrational in diesem Weberschen Sinne, und nicht etwa irrational, (nur) weil meine Stimme keine Wirkung besitzt.
[Ob man diese Wertrationalität nun tatsächlich als Form der Ratio bezeichnen mag, sei dahingestellt]
Nun könnte man genau diesen Punkt aber sogar wiederum als zweckrational auffassen (auf die Unmöglichkeit, die beiden Rationalitätstypen auseinander zu halten, hat Weber expressis verbis hingewiesen), weil ich mit meinem Tun diese meine Überzeugung unter meinen Sozii quasi ‚fortschreibe‘ und weitergebe.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre Wählengehen für Träger dieser bestimmten Überzeugung dann durchaus zweckrational - unabhängig davon, ob die Stimme nun Gewicht hat oder nicht.
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