Zusammenhänge der Formeln für sin und cos

Sinus und Cosinus sind ja letztendlich Werte zur Beschreibung
von Winkeln und haben damit an sich nichts mit Polynomen zu tun.

Da sind wir schon mittendrin in den falschen Vorstellungen :wink: Die Funktionen Sinus und Cosinus werden in der Schule anhand von Messungen am Einheitskreis eingeführt, weil das schön anschaulich ist. Sie heißen auch Winkelfunktionen, aber man darf deshalb trotzdem nicht glauben, es ginge dabei hauptsächlich um Winkel. Tatsächlich kommt diesen Funktionen eine derart tiefe und umfassende Bedeutung zu, dass die Längenmessungen-am-Einheitskreis-Sache nur einer von unzählig vielen Aspekten darstellt. Und mit Polynomen haben im Sinne der Taylorentwicklung praktisch alle Funktionen zu tun (von gewissen Ausnahmen abgesehen).

sin und cos kann man über den Einheitskreis definieren…

(1)
sin(x) := die „Höhe“ des Einheitskreispunktes über der x-Achse, welcher x vom Punkt (1 | 0) entfernt ist, wobei mit Entfernung die Länge des Wegs auf dem Kreisbogen gemeint ist (= der Winkel).

cos(x) := der Horizontalabstand dieses Punktes von der y-Achse

…aber das ist beileibe nicht die einzige Möglichkeit:

(2)
sin(x) := der Imaginärteil von ei x
cos(x) := der Realteil von ei x

(3)
sin und cos := die Funktionen f und g welche die Funktionalbeziehung
f(x + y) = f(x) g(y) + g(x) f(y)
für alle x und y erfüllen.

(4)
sin := die Lösung der Differentialgleichung
f’’ + f = 0 für die Anfangsbedingungen f(0) = 0 und f’(0) = 1.
cos := …für die Anfangsbedingungen f(0) = 1 und f’(0) = 0.

(5)
sin und cos := diejenigen Funktionen f und g, deren Ableitungen man durch folgende Kette darstellen kann („→“ soll „einmal ableiten“ bedeuten) sowie zuzüglich f(0) = 0:

f → g → –f → –g → f

(6)
sin(x) := –i sinh(i x)  (sinh = Sinus hyperbolicus)
cos(x) := cosh(i x)  (cosh = Cosinus hyperbolicus)

(7)
sin(x) := diejenige Funktion, deren Laplace-Rücktransformierte 1/(s² + 1) ist.
cos(x) := diejenige Funktion, deren Laplace-Rücktransformierte s/(s² + 1) ist.

(8)
sin(x) := x – 1/3! x3 + 1/5! x5 – 1/7! x7 + … – …
cos(x) := 1 – 1/2! x2 + 1/4! x4 – 1/6! x6 + … – …

Einverstanden? Man darf jetzt nur nicht den Fehler machen, darüber nachzudenken, welche Definitionen wohl „besser“ seien, oder „schöner“ und schon gar nicht „fundamentaler“ bzw. „abgeleiteter“. Nein – da alle diese Definitionen erwiesenermaßen logisch zueinander äquivalent sind (Du kannst Dir irgendeine aussuchen und alle anderen Beziehungen daraus herleiten), d. h. alle „den gleichen“ Sinus bzw. Cosinus definieren, bestehen sie alle gleichwertig nebeneinander.

Allerdings gibt es die Formel, dass beide Werte quadriert
1 ergeben (ist geschichtlich gesehen wohl auch sehr früh
„herausgefunden“ worden…)

Wenn man den gewöhnlichen Pythagoras a² + b² = c² kennt, springt einem der „trigonometrische Pythagoras“ sin² + cos² = 1 am Einheitskreis unmittelbar ins Auge.

Nun ist aber die Darstellung beider Werte als Potenzreihe
aufgetaucht und meine Frage bezog sich einfach nur darauf, ob
zwischen beiden Formeln ein Zusammenhang besteht

Ja, natürlich. Wenn ich Dir
sin(x) = x – 1/3! x3 + 1/5! x5 – 1/7! x7 + … – … und
cos(x) := 1 – 1/2! x2 + 1/4! x4 – 1/6! x6 + … – …
vorgebe und Dich frage, was sin²(x) + cos²(x) ergibt, kannst Du das anhand der Potenzreihen problemlos ausrechnen und Dein Ergebnis wird 1 sein.

oder der Anspruch der Potenzreihe einfach nur war, die beiden Werte
als Polynom darstellbar zu machen.

Es hängt „alles mit allem“ zusammen. Man ist nicht auf die Potenzreihe gekommen, weil man sie gesucht hätte oder weil sie für irgendein Problem dringend benötigt wurde, sondern weil sie sich zwanglos aus der allgemeinen Formel von Taylor (Entwicklung einer beliebigen Funktion in eine Potenzreihe) ergibt. Die Entdeckung der Potenzreihe war also nicht irgendwie speziell motiviert.

Gruß
Martin