Zusammenhang J.-J. Rousseau und linguistic turn

Hallo!
Ich arbeite gerade daran, J.-J. Rousseaus Theorien über die Sprachentstehung und die Sprache selbst aus dem „Diskurs über die Ungleichheit“ herauszuarbeiten.
Dabei soll ich einen Vergleich zu zeitgenössischen Ansichten zu dem Thema machen und dabei besonders auf den linguistic turn achten.
Ich habe nun beides erarbeitet, doch leider kann ich Verbindungen zwischen den beiden Themen nur schwer finden… Ich habe beim Googlen im Internet Aussagen gefunden, nach denen Rousseau bereits damals schon einen linguistic turn eingeleitet hätte. Wie das gemeint ist, stand jedoch leider nicht dabei und ich bin gerade sehr ratlos…

Für helfende Anregungen wäre ich sehr dankbar!!!

Liebe Sabine!

Ich arbeite gerade daran, J.-J. Rousseaus Theorien über die
Sprachentstehung und die Sprache selbst aus dem „Diskurs über
die Ungleichheit“ herauszuarbeiten.
Dabei soll ich einen Vergleich zu zeitgenössischen Ansichten
zu dem Thema machen und dabei besonders auf den linguistic
turn achten.
Ich habe nun beides erarbeitet, doch leider kann ich
Verbindungen zwischen den beiden Themen nur schwer finden…
Ich habe beim Googlen im Internet Aussagen gefunden, nach
denen Rousseau bereits damals schon einen linguistic turn
eingeleitet hätte. Wie das gemeint ist, stand jedoch leider
nicht dabei und ich bin gerade sehr ratlos…

Du bist vermutlich weit tiefer in dieser Thematik drin als ich im Moment, insofern kann ich wohl nur wenig beitragen, einige Stichpunkte vielleicht:

  • ich würde den ‚linguistic turn‘ so definieren:
    Bruch mit dem herkömmlichen Expressions-Schema der Sprache, also mit der Vorstellung, dass Sprache ein bloßes Mittel der Kommunikation sei, und dass sie vorsprachliche Gedanken bloß abbilden würde.

Meine Lektüre des ‚Discours sur l’inégalité‘ ist zu lange her, um mich an Elemente dazu in dieser Schrift erinnern zu können. Sicher sind mehr Ansätze dazu aber in Rousseaus ‚Essai sur l’origine des langues‘ zu finden. Vielleicht könnte dir diese Schrift einen besseren ersten Zugang bieten.

  • Ich weiß, dass es umfangreiche, auch aktuelle, Literatur zu dieser Frage gibt, kann dir aber (ohne selbst suchen zu müssen) nur eine nicht so aktuelle, dafür sicher aber sehr hochwertige Quelle nennen:

Derrida, Grammatologie, Zweiter Teil
(hier setzt sich Derrida sehr intensiv und sehr anspruchsvoll mit Rousseau und dessen Gedanken zur Sprache auseinander, also genau mit deinem Thema, denn Derrida geht es hier ja auch um den ‚linguistic turn‘ bei Rousseau)

  • ich hatte doch noch Muße und Pflichtgefühl genug gefunden, um im Discours zu blättern. Ich sehe einige Passagen darin, die einen klaren Bezug zum Thema des ‚linguistic turn‘ haben, z.B.:

-> Qu’on songe de combien d’idées nous sommes redevables à l’usage de la parole; Combien la Grammaire exerce, et facilite les operations de l’Esprit. (116)

-> … qui savent que quoique l’organe de la parole soit naturel à l’homme, la parole elle même ne lui est pourtant pas naturelle … (332)

Die Seitenangaben beziehen sich auf die Kritische Ausgabe des Discours von Heinrich Meier:
Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit - Discours sur l’inégalité, Edition Meier, UTB, 1997

Wohlgemerkt finden sich im Discours, so wie ich das im Moment überblicken kann, sehr viel mehr Belege, wie Rousseau die Sprache als „Expression“ denkt, aber eben auch solche wie die obigen.
Dieses historisch frühe (als Urvater des ‚linguistic turn‘ wird bekanntlich immer wieder Vico genannt, und es gibt m.W. deshalb auch Publikationen, die nachweisen wollen, dass Rousseau Vico gelesen hatte) Hin-und-Her-Kippen zwischen Sprache-als-Expression und Sprache-als-Zeichensystem-eigener-Ordnung ist ja offensichtlich das Interessante an diesem Text, und wohl auch das Aufzeigbare … quasi der ‚linguistic turn‘ in statu nascendi …

Viel Erfolg!

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Hi.

Hier kannst du Anregungen zum Thema finden, etwa um S. 278:

http://books.google.de/books?id=Lst9tnN0w4QC&pg=PA27…

Der eigentliche Begründer des (modernen) linguistic turn ist und bleibt Kant. LT besagt, dass das (sprachliche) Denken unsere Wahrnehmung der Welt determiniert. Der menschliche Geist ist kein Spiegel der Dinge, sondern er formt bzw. strukturiert sie. Was natürlich nicht heißt, dass er sie „erschafft“ (manch einer missversteht den Konstruktivismus so).

Rousseau hat - anders als sein Konkurrent Vico - die Sprache als Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften gesehen und nicht als rationalistisches Medium für platonische Ideen. Dieser Bezug auf das Emotionale dürfte wohl, da dieses immer subjektiv ist, etwas mit dem linguistic turn zu tun haben - das empfindende Subjekt erfährt die Welt sprachlich (d.h. sprachlich strukturiert), somit ist diese Welt durch das subjektiv gefärbte Erkennen determiniert.

Hier noch aus den „Bekenntissen“ eine Rousseau´sche Anekdote, für die du vielleicht, wenn auch grenzwertig OT, Verwendung haben könntest:

„Wenn es je eine plötzliche Eingebung gegeben hat, so ist es die Bewegung, die bei dieser Lektüre [die Preisfrage der Akademie Dijon, die Rousseau auf der Landstraße gehend las: ‘Ob der Fortschritt der Künste und Wissenschaften beigetragen hat, die Sitten zu verderben oder zu reinigen‘] in mir vorgegangen ist: plötzlich fühle ich meinen Geist von tausend Lichtern geblendet, eine Menge lebendiger Gedanken drängen sich zu gleicher Zeit mit einer Kraft und Verwirrung, die mich in eine unsagbare Unruhe stürzt; mein Kopf wird von einem Schwindel ergriffen wie im Rausch, heftiges Herzklopfen bedrängt mich, mein Atem geht schwerer, und da ich im Gehen nicht mehr atmen kann, lasse ich mich unter einen der Chausseebäume sinken und dort verharre ich in einer solchen Erregung, daß ich beim Aufstehen meine ganze Weste vorne feucht von meinen Tränen sehe, ohne daß ich gemerkt hatte, welche zu vergießen.“

Gruß Horst

Lieber Horst,

ich möchte dir für deinen Beitrag danken! Er hat mir sehr weitergeholfen!

Beste Grüße

Sabine

Lieber Candide,

ich danke dir vielmals für deine Lektüre und die sinnvollen Hinweise, die du mir daraufhin geben konntest!
Es hat mir als Anstoß sehr gut weitergeholfen!

Beste Grüße

Sabine