Liebes Forum,
ich möchte heute zwei Fragen stellen.
Die erste lautet:
- Wie viel „Schuld“ hat die Einführung des Euro tatsächlich daran, dass wir aktuell sehr viel Geld in andere Länder schieben müssen, um diese von dem Staatsbankrott zu schützen?
Eine Argumentation GEGEN die Schuld des Euro:
Deutschlands Wirtschaft und Arbeitsplätze hängen schon seit geraumer Zeit vom Export ab. Genauer gesagt können wir bei Vollbeschäftigung weitaus mehr Produkte und Dienstleistungen herstellen als sich die inländischen Konsumenten bei dem aktuellen Lohnniveau (der aktuellen Kaufkraft) leisten können. Wollen wir also keine steigende Arbeitslosigkeit, haben wir also Jahr für Jahr keine andere Wahl als mehr zu produzieren als zu konsumieren. Daher ist unsere Handelsbilanz Jahr für Jahr positiv und es ergeben sich immer größere Forderungen, die wir ggü. dem Ausland haben, während auf der ausländischen Seite die Verbindlichkeiten immer größer werden.
Droht nun der Staatsbankrott eines Landes, ggü. dem wir Forderungen haben, laufen diese Forderungen also in Gefahr, abgeschrieben werden zu müssen. Da ein Staatsbankrott dann eintritt, wenn Geldgeber kein Vertrauen mehr in die Fähigkeit des Staates, Darlehen + Zinsen zurückzuzahlen, haben, ist es also in unserem Interesse, für dieses Vertrauen zu sorgen, damit eben dieser Staatsbankrott nicht eintritt. Das geht bspw. mit Hilfe eines Rettungsschirmes und dafür zahlen wir Gelder.
Was wäre an diesem Szenario anders, wenn jedes Land noch seine eigene Währung hätte? Okay, Länder könnten ihre Nationalwährungen abwerten und damit die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte wiederherstellen. mit einer solchen Abwertung würden aber ebenso die Forderungen abgewertet, die auf die jeweilige Währung lauten.
Wäre alles so viel anders? Bedeutet die Abhängigkeit von einem langfristig stetigen Exportüberschuss nicht letztlich immer, dass man „umsonst“ für andere Länder arbeitet, da man immer mehr und mehr Forderungen aufhäuft, bis sich eines oder mehrere Länder die entstehenden Verbindlichkeiten nicht mehr leisten kann und die aufgehäuften Forderungen entsprechend wieder abgeschrieben werden müssen?
- Ist ein Staatsschuldenabbau in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem überhaupt theoretisch möglich?
Eine Argumentation GEGEN die (zumindest) theoretische Möglichkeit des Staatsschuldenabbaus:
2a) Unser Wirtschaftssystem benötigt stetiges (d.h. exponentielles) Wachstum, da ohne Wirtschaftswachstum (1) die Arbeitslosigkeit aufgrund der Produktivitätssteigerung zunimmt und (2) Kredite/Forderungen ausfallen (da ohne Wachstum mittelfristig die Zinsen für Forderungen nicht mehr bedient werden können, weil das Geld, das als Zins aufgewendet werden muss, zu einem großen Teil neu „geschaffen“ werden muss, da ein großer Teil des gezahlten Zinses nicht in den Geldkreislauf zurückgeführt wird, sondern zur Kapitalakkumulation am oberen Ende der Verteilungskurve beiträgt)
2b) Wachstum bedeutet, dass jedes Jahr mehr nachgefragt werden muss, d.h. die Kaufkraft in der Bevölkerung muss steigen und sie muss nachfragewirksam werden. Seit Mitte der 1980er Jahre steigt die Kaufkraft allerdings nur noch bei rund 10 % der Bevölkerung und da sich die reichsten 10 % ohnehin schon (fast) alles leisten können, wird diese zusätzliche Kaufkraft auch nur zu einem geringen Teil nachfragewirksam. Woher also soll die notwendige, zusätzliche Nachfrage kommen, wenn nicht vom Staat? Wenn es tatsächlich keine oder kaum Wachstumsimpulse durch steigende Nachfrage aus den Reihen der Bevölkerung kommen, unser Wirtschaftssystem aber exponentielles Wachstum braucht, dann muss der Staat auch Jahr für Jahr exponentiell mehr für das Wachstum ausgeben - auf Kredit.
Passend dazu folgt die Kurve der Staatsverschuldung auch einer Exponentialkurve.
Ist das Problem hier nicht, dass wir ohne zusätzliche Staatsverschuldung gar kein (benötigtes) Wachstum mehr erreichen können?
2c) Jeder Verbindlichkeit (so auch den Staatsschulden) stehen Forderungen in gleicher Höhe gegenüber. Baut der Staat nun Schulden ab, so wird die Geldmenge geringer, weil Geld ja erst durch die Aufnahme von Verbindlichkeiten geschaffen wird. Eine schrumpfende Geldmenge destabilisiert das Geldsystem jedoch wieder, da Forderungen auszufallen drohen und Wachstumsimpulse erstickt werden.
Mit anderen Worten, wenn der Staat die Schulden abbaut, muss jemand anderes gleichzeitig die Schulden aufbauen. Aber wer sollte das sein?
Ich freue mich über jeden Kommentar, Hinweise auf logische Fehler in den Argumentationen und sonstige Bemerkungen!
Herzliche Grüße,
Chris