Hallo,
ich muss da nichts bestreiten. Ich kenne nur niemand, der sich solchen von Dir am Ende formulierten Gedanken hingegeben hat. Sei sicher, dass ich mit diesem Patientenbereich meine Erfahrungen habe. Gelegentlich werde ich von der Klinik gebeten, künftigen Kandidaten für Fragen zur Verfügung zu stehen.
Ich bestreite nicht, dass anfänglich ein „Schuldgefühl“ aufkommt. Aber dies ist sicher etwas anderes als das, was Du gemeint hast.
Der Gedanke, was passiert, wenn kein Herz kommt, die Farge, ob es reichen wird oder vorher alles zu Ende ist, sicher, die kam bei mir auch. Aber man hört ja nicht jeden Tag, bei mir am 2. August 2000, dass ich etwa höchtens noch vier-sechs Monate zu leben habe, wenn kein Spenderherz zur Verfügung steht. Und ich hatte - da wir uns in einem Medizin-Brett befinden ahnen wohl viele was es bedeutet - noch eine Watt-Leistung von 20. Das heisst, für ein Unterhemd benötigt man 20-30 Minuten, ein Topf Wasser kannst Du nicht mehr auf dem Herd von einer Platte zur anderen heben, ein Liter Wasser in der Hand heisst, der Arm fällt einfach nach unten und jede Bewegung, die schneller als der Marsch einer Schnecke ist bedeutet ein akustische Larmsignal wenn der Puls gemessen wird. Da hast Du keine Chance auch nur ansatzweise zu hoffen, dass bald jemand sterben sollte. Da bist Du beschäftigt mit der Hoffnung am anderen Morgen wieder zu erwachen. Daher,was Du als perversen Gedanken dargelegt hast, ich glaube nicht, dass es Patienten gibt, die hoffen und sich wünschen, dass jemand für sie stirbt.
Dass es auch Bemerkungen gibt, insbesondere wenn schönes Wetter ist und viele Motorradfahrer sind unterwegs, dass Tranpslantationswetter sei, kenne ich, aber nur aus Reihen von Personal, das mit diesen Fällen zu tun hat.
Dieses kommt aber - vor allem bei einer HTX - schon vor einer Transplantation vor. Dann hat man in jeder guten Transplantationsklinik hervorragende psychologische Unterstützung. Man lernt damit umzugehen, dass „nicht jemand sterben muss, damit man leben darf“. Denn das Gefühl, dass jemand ja sterben muss - bei einer HTX - ist schon da. Aber es hat nichts mit der von Dir angesprochenen Hoffnung zu tun, dass das „Wetter“ hilft.
Ich habe keine Ahnung wie man mit HTX in Israel umgeht. In DE wirst Du nicht einmal in die Liste kommen, wenn Du nicht bei allen ärztlichen, psychologischen und psychischen Kontrollen erfolgreich durch bist. Wir hatten in DE bislang erst einen Fall, wo durch die Tageszeitung mit den 4 Buchstaben einer Klinik vorgeworfen wurde, sie würden eine Türkin nicht transplantieren wollen, weil sie sich nicht an die Vorgaben halten könne. Da gab es Vorwüfe bis hin zu Rassismus. Diese Türkin ist nach knapp vier Wochen nach der Transplantation verstorben. Sie nahm die Medikamente nicht ordnungsgemäss ein. Sie hielt sich weder an die Hygienemassnahmen im ersten Jahr, die mit Verlaub dargelegt alles andere als einfach sind, sie konnte sich aber auch nicht richtig verständigen.
Ich befürworte Transplantationen - klar - ich glaube, man wird bei mir nichts anderes erwarten dürfen. Letztlich lebe ich seit knapp 3,5 Jahren mit einem fremden Herz.
Aber sowohl die Gerüchte von Indentifikationsprobleme wie auch Gerüchte, wer an einen Unfall kommen beginne zu zittern, wenn das Herz von einem Unfallopfer ist, sind einfach unsinnig.
Richtig ist auch, ehrlich, ich habe in meinem Leben noch nie so oft geheult als nach der OP. Es war kurz vor Weihnachten. Ich hatte ein Herz und wusste, da ist irgendwo eine Familie, die hat den Sohn verloren. Irgendwo eine Frau und vielleicht irgendwo Kinder, die haben Mann und Vater vor Weihnachten verloren. Ich kannte den Schmerz, denn ich habe als Vater ein Weihnachten erlebt, wo ein Sohn nie mehr anwesend ist.
Was - zumindest ich hatte damit ein Problem - mir nicht gefiel war, dass ich mich bei niemand bedanken konnte. Aber ich sehe ein, dass es richtig ist, dass weder der Transplantierte noch die Angehörigen des Spenders wissen was und wer es ist. Solange noch bei uns - aus der katholischen Ebene heraus - Herz und Seele - von vielen Menschen als Einheit gesehen wird - also jemand davon ausgeht, dass mit dem Herz der Tote im anderen lebt, ist es gut, wenn sich niemand kennt.
Und nach der Entlassung gibt es ganz anderer Probleme. Da waren die Taktvollen. Sie wollten wissen, was das gekostet hat und ob der Spender ein Säufer war und ob ich nun trinke. Es gab religiöse Wahnvorstellungen bei einigen, das ich durch die Blutkonserven bei der HTX nun kein reines Blut mehr hätte und in Sünde lebe. Und es gab jene, die zwar nicht direkt, aber durchaus, so dass ich es hören konnte, zu einander meinten „so was wäre im 3. Reich vergast worden“ neben dem Spruch, der auch fiel ( ich kam kurz nach der BSE-Affäre aus der Klinik, trug Handschuhe und Mundschutz ), dass ich wohl BSE hätte und man ging einige Meter auf Distanz, weil man sich nicht anstecken wollte. Und es gab, dafür danke ich, die Mehrheit, die hat mich so behandelt als wäre nichts geschehen.
Ich habe meine HP gelöscht, weil ich permanent wegen meiner Hinweise zur Transplantation beschimpft wurde. Um anderen die Angst zu nehmen, habe ich mit einer Redaktion einen Veröffentlichung und mit Hilfsangeboten ( Informationen ) vorgenommen. Ungefragt bekam ich reihenweise Broschüren und eigene Auslegungen, wie man sich ein Herz kauft und welcher Handel betrieben wird. Wie Menschen absichtlich ermordert werden um anderen ein Herz und andere Organe zu geben. Andere „fragten“ nach, wenn ich nun schon ein Herz habe, ob ich nun nicht selbst ihnen etwas spenden könnte, man würde eine Niere benötigen. Offensichtlich Personen, die wirklich nicht krank nierenkrank, denn so ein Unfug würde kein Dialyse-Patient von sich geben.
Ich weiss nicht, ob ein Patient, der nicht meine Ausbildung und meine Tätigkeit in der Politik und somit den Umgang mit allen möglichen Formen der Kommunikation und sonstigen Spielchen beherrscht, schadlos aus solchen Situationen gekommen wäre. Rückwirkend betrachtet würde ich dies immer wieder tun. Aber ich würde nie jemand empfehlen diesen Weg, den ich gehen musste und gehen wollte, zu gehen
Doch gerade weil dies nicht meine erste Begegnung mit dem Beinahe-Tod war, sondern ein zu den Rechtsradikalen mutierter EX-Linksradikaler einem Mordanschlag auf mich verübte, kann mich kaum noch etwas erschüttern. Meine beiden späteren Herzinfarkte sind dann Beiwerk.
Grüsse Günter
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