Kritische Haltung
Hallo Susi,
Wie sollte eine Diskussion stattfinden, wenn man nichts
mitbringt?
Merkur hat den Mut ihre Glaubensvorstellungen der Kritik
auszusetzen!
Würde sie das tun, wenn sie ihre Ansichten sakrosankt sähe?
tut mir leid, aber da hast du mich missverstanden. Natürlich ist es richtig, seine Vorstellungen mit in die Diskussion hineinzubringen, aber man muss ihnen gegenüber kritisch sein, und das ist es, was ich bei Esoterikern oft vermisse. Sakrosankt sind bei ihnen aber selten die Ergebnisse - das wären dann Glaubensvorstellungen -, sondern vor allem die angewendeten Methoden. Insbesondere die Methode der Analogie ist ziemlich fehleranfällig, und daher ist sie zu Recht in der Philosophie nur in Einzelfällen, die dann auch noch explizit begründet werden müssten, zulässig.
Dem widerspreche ich nicht! Nur wirst du zugeben müssen, daß
die permanent kritische Hinterfragung, jetzt auch im
Popperschen Sinne, auch gegen jede kritische Hinterfragung angebracht
werden kann!
Nein, nicht so ganz, denn die kritische Hinterfragungshaltung im Popperschen Sinn ist keine Frage der Empirie, weshalb sie sich nicht auf sich selbst bezieht.
Mir fehlt hier manchmal einfach ein
bißchen mehr Einfühlungs- und Differenzierungsvermögen.
Ich denke, ich verstehe, was du meinst, möchte aber zu bedenken geben, dass ich keineswegs Glaubensinhalte kritisiere. Nur als Glaubensinhalte gehören sie eben nicht explizit zur Philosophie, sondern sind esoterisch oder religiös.
Ja natürlich! Nur sollte man da schon genauer sein!
Philosophie ist ein weites Feld, wie du wissen wirst! 
Phänomenologie, Hermeneutik, Fundamentalontologie,
sprachanalytische P., Transzentdentalpragmatik…wovon genau
sprichst du, wenn du Philosophie meinst? Was grenzt du aus? Wo
sind die Grenzen?
Ich nannte das Kriterium für die Ausgrenzung aus der Philosophie bereits: Es ist die Tatsache, wenn nicht nur explizit, sondern auch implizit keine Argumentation im logischen Sinn zugrundeliegt. Diese Definition ist allen den von dir genannten Richtungen immanent, angefangen Sokrates bis zu Wittgenstein und bis heute.
Ich kann den Schuh doch auch umdrehen und behaupten du würdest
lediglich deine Ansichten bestätigt sehen wollen!
Mache ich wirklich diesen Eindruck? Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, denn es liegt mir gar nichts daran, was andere von mir denken. Und sobald jemand ein wirklich schlagendes Argument hat, bin ich der Letzte, der das nicht akzeptieren würde. In der Philosophie geht es gar nicht um Ansichten oder ihre Bestätigung, sondern es geht eher um die Prüfung von Urteilen daraufhin, ob sie berechtigt sind oder nicht. Das findet sich bei Sokrates, bei Kant, bei Wittgenstein. Die andere Seite der Philosophie, der Theorieaufbau, muss sich dem grundsätzlich unterordnen. Denn die Urteilsbildung geht dem Urteil selbst grundsätzlich voraus.
Nein, aber ich verstehe nicht ganz, was das jetzt mit diesem
thread zu tun hat?
Das ist jetzt nicht so wichtig, ich meinte nur, dass die politische Grundlage von moralischen Urteilen genausoein Vorurteil beinhaltet, wie es die Philosophie zu widerlegen hat. Aber das sollten wir jetzt nur diskutieren, wenn es dich interessiert, weil es ein Nebenschauplatz ist.
Niemand, aber man kriegt hier manchmal den Eindruck als wäre
es so! 
La philosophie - c’est moi …
) … interessante Vorstellung … *schmunzel*
Was natürlich nicht an dir liegt, sondern an deiner fachlichen
Überlegenheit, den interessierten Laien gegenüber.
Ich sehe meine Aufgabe dem „interessierten Laien“ gegenüber vor allem darin, ihn vor falschen Zugängen zu warnen. Mir geht es überhaupt nicht darum, hier einen Kantischen Standpunkt zu vertreten, wie es mir des öfteren hier unterstellt wird. Ich habe nichts gegen Utilitaristen, ich habe nichts gegen Hegelianer, ich habe nichts gegen analytische Philosophen oder Phänomenologen. Aber genauso wie ich selbst genügend Kritikpunkte an Kant finde, obwohl ich mir schon an seiner Philosophie orientiere (allerdings nicht so, wie es hier behauptet wird, aber das geht über das Verständnis von Laien leider hinaus, weil sie die Kantdiskussionen der letzten 200 Jahre nicht kennen), genauso verlange ich von den genannten Richtungen, dass sie sich nicht als Alleinvertreter der Philosophie aufführen. Man muss seine Position in jedem Fall begründen können oder zumindest die Absicht haben, das zu tun.
Wittgenstein hat einmal gesagt:
„Jetzt bin ich Professor der Philosophie und habe nicht einmal
Aristoteles gelesen!“ Nicht jeder ist ein Wittgenstein, aber
ein bißchen relativieren tut dieses „Phänomen“ doch.
Eben. Ich habe Aristoteles und Wittgenstein gelesen - und bin trotzdem kein Professor der Philosophie. Aber man muss Wittgenstein zugutehalten, dass er eben gerade kein Systemphilosoph war und dass er seine eigenen Gedanken immer wieder und wieder kritisch prüfte. Hast du mal in seinem Nachlass geblättert? Dort findet sich kaum eine Seite, auf der keine Streichungen, Verbesserungen usw. Jedes einzelne Wort wird da auf Herz und Nieren geprüft. Diese kritische Haltung ist es, die den Philosophen ausmacht. Da kann man dann auch verschmerzen, wenn einer Aristoteles nicht gelesen hat. Freilich kenne ich auch viele Examenskandidaten der Philosophie, die kein Wort von Platon, kein Wort von Kant, kein Wort von Wittgenstein je gelesen haben. Das ist dann in der Tat eine Schande - allerdings nicht unbedingt für die Studenten, sondern eher für das Ausbildungssystem, meine ich.
Herzliche Grüße
Thomas Miller