Hallo Frank!
… Da haben die Montagsdemonstranten definitiv
mehr Ahnung von.
Hier im Osten wird Frust abgelassen und Unverständnis zum Ausdruck gebracht. Jede Falschmeldung, freie Erfindung und Übertreibung wird gierig aufgegriffen und weitergesponnen. Die Leute steigern sich in eine Opferrolle hinein. Mit Argumenten, Fakten und Gesetzestexten findet man sich auf verlorenem Posten wieder. Da brüllt einer eine Parole dazwischen, daß die Konzerne alle zu Sklaven machen und genau das wollen die Menschen hören. Dann kommt Stimmung in den Laden … Gepöbel … wir lassen uns nicht verarschen.
Versuche mal, konkret unter Einbeziehung der Menschen bei genauer Kenntnis ihrer Situation etwas zu erreichen. Aussichtslos! Am Ende stehen Beschimpfungen und Bedrohungen. Die Menschen glauben, man wolle nur Böses. Ich hab das probiert, kenne die Kassenlage, kenne die Rentenbescheide und die familiären Situationen. Mietshäuser standen zum Verkauf und ich riet den 3 Mietparteien, die Immobilie für 1 € zu kaufen, dann nach wie vor die volle Miete zu bezahlen, aber das Geld nicht wie seit Jahrzehnten in einer Verwaltung verschwinden zu lassen, sondern ausschließlich für die Gebäudesanierung zu verwenden. Ich rechnete schlüssig vor, daß die Bewohner binnen weniger Jahre Gewinn erzielen, ohne Mehraufwand gegenüber der Miete treiben zu müssen. Allein das Stichwort Gewinn reicht schon, um im Licht des unanständigen Betrügers zu stehen. Das ist jetzt über ein Jahr her und mir wird heute noch aufs Butterbrot geschmiert, wie übel ich als zugezogener Wessie die Menschen über den Tisch ziehen wollte. Das war nicht der einzige Versuch in dieser Richtung und in jedem Fall handelte es sich um uneigennütziges Engagement für das Dorf. Ich habs aufgegeben und werde es nie wieder versuchen. Die Menschen sind hier mehrheitlich versaut. Sobald es an Eigeninitiative und Eigentum geht, fällt die Klappe. Die wollen versorgt sein, Mieter sein, sich um nichts kümmern. Mit den Menschen ist nichts anzufangen. Man kann nur warten, bis sie wegsterben.
Gelegentlich kommen gutwillige Leute - aus der ehemaligen DDR ist keiner dabei - kaufen für wenig Geld eine der hundert Jahre alten Immobilien, um sie zu sanieren. Diese Leute ernten ohne Ausnahme Mißtrauen und Beschimpfungen. Sie würden nur Fördergeld abgreifen, heißt es, obwohl es keinen Cent Fördergeld gibt.
Unsere Gegend überaltert. Es gibt aber etliche jüngere Leute um die 40. Überwiegend sind das Frührentner, die seit der Wende oder kurz danach keiner Berufstätigkeit mehr nachgehen. Rückenleiden oder Allergien von Desinfektionsmitteln aus der Milchwirtschaft sind die gängigen Ursachen. Diese Leute hätten schon vor 10 Jahren von vorne anfangen können/müssen. Heute sieht keiner mehr eine Veranlassung, in dieser Richtung auch nur nachzudenken. Man hat sich auf lebenslange Versorgung eingerichtet.
Mir sind etliche Rentenbescheide ortsansässiger Rentner bekannt. Viele ältere Ehepaare leben von 1.000 €, zahlen davon einen Spottpreis für Miete und leben nicht üppig, aber auch nicht schlecht. Die Leute haben Bad und WC, Telefon und Auto. Das sah bis zur Wende anders aus. Die „sanitären Anlagen“ aus DDR-Zeiten sind zwar allesamt außer Betrieb, aber noch vorhanden. Ich weiß im Detail, wie es den gleichen Rentnern in der DDR erging. Trotzdem schimpfen fast alle wie die Rohrspatzen. Der Zorn entzündet sich an Kleinigkeiten. Früher gabs Altentreffen, wo Kaffee und Kuchen nichts kosteten. Gibts bis heute, aber es kostet 2 €. Früher gabs im Dorf ein Schloß, wo nach der Bodenreform alles kurz und klein geschlagen wurde. Ins Erdgeschoß kam ein Konsumladen und außerdem gab es einen Gemeindesaal. In den Obergeschossen wurde uralte Schnitzereien mit Beilen zerschlagen und Bretterwände eingezogen, um Wohnraum zu schaffen. Heute ist das von den Dörflern ruinierte Schloß (von Bauarbeiterbrigaden wurden ohne den Schatten von Sachkenntnis ungezählte architektonisch wertvolle Gebäude systematisch ruiniert) im Privatbesitz. Das Schloß ist noch nicht saniert, man hat das Banausentum vergangener Jahrzehnte vor Augen und während die Bewohner das sehen, erzählen sie, wie toll sie das Schloß zu DDR-Zeiten nutzten.
Niemand macht den Menschen einen Vorwurf, wie sie in ihrem System mit der übernommenen historischen Substanz und insbesondere mit der Natur umgingen. Heute werden die durch Schlamperei ölverseuchten Böden mit hohem Aufwand saniert, werden vernachlässigte architektonische Kleinode hergerichtet, aber das Ergebnis ist in jedem Fall böswilliger Neid, wenn nicht sogar blanker Haß.
Die hier lebenden arbeitsfähigen Menschen brauchen ganz einfache Tätigkeiten. Passende Arbeitsplätze werden nur von wenigen Fabriken z. B. in Verpackung, Lagerung und Warenumschlag geboten. Für qualifizierte Tätigkeiten mit komplexen Aufgabenbereichen in kleinen und mittleren Betrieben gibts kein ortsansässiges Personal. Geeignete Leute für Budget- und Personalverantwortung braucht man hier gar nicht erst zu suchen. Gleiches gilt für jegliche Suche in der Feinmechanik, Mechatronik, Optoelektronik, sowie alle Bereiche von Betriebswirtschaft und Marketing - absolute Nullnummern am Arbeitsmarkt. Hier herrscht die Bildungs- und Qualifikationskatastrophe. Zusammen mit der Atmosphäre aus Neid und Mißgunst gegenüber jeder gewinnorientierten Tätigkeit ergibt das eine wirksame Abschreckung für KMU-Ansiedlungen. Schöne Landschaften und niedrige Immo-Preise bleiben als einzige Lockmittel. Was zieht einen hart arbeitenden und mit seiner ganzen Existenz persönlich haftenden Menschen in eine Region, wo die Leute mit haarsträubenden Sprüchen nach mehr Komfort fürs Nichtstun auf die Straße gehen?
Gruß
Wolfgang