Servus Kai, hallo alle interessierten,
in diesem nachfolgenden Artikel ist ziemlich viel wissenschaftliches Fachgeplänkel vorhanden. Also für den zahnärztlich nicht vorgebildeten Laien zum Teil etwas unverständlich, weil euch die Hintergründe nicht bekannt vollständig bekannt sind.
Ich entschuldige mich schon mal vorher für ein gewisses Quantum an Zynismus.
Sevus Ramius,
Es gibt einen Unterschied zwischen einer
Kassenwurzelkanalbehandlung und einer Wurzelkanalbehandlung
die dem heutigen wissenschaftliche Standart entspricht.
Statisitisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine
Wurzelkanalbehandlung rein auf Kassenkosten über 5 Jahre ohne
weitere Beschwerden oder Komplikationen bleibt ca. 50%.
Wo hast Du diese Zahlen her? Meines Wissens sind die letzten
Daten zum Erfolg von „Kassen-Wurzelbehandlungen“ in der
Voith-Studie erhoben worden. Das war zu einer Zeit, als die
schwäbische Alp noch ein unpassierbares Hochgebirge war. Ich
weiß das, denn ich habe an dieser Studie mitgearbeitet.
Ich denke, dass Teile dieser Studie im Grunde auch heute noch bestand haben. Warum?
Wenn ich mir die Anforderungen an eine optimale Wurzelkanalbehandlung ansehe, und es mit dem vergleiche, was ich in den letzten Jahren in meine Praxis überwiesen bekommen habe, bzw. was ich in meinen vorhergehenden 5 Jahren als Unizahnarzt gesehen und behandelt habe, dann sind 50% Erfolg in 5 Jahren noch optimistisch.
Einige aktuelle Studien.
J Endod. 2006 Jul;32(7):628-33. Epub 2006 May 2
Healing of apical periodontitis after endodontic treatment with and without obturation in dogs.
Innnerhalb eines kurzen Zeitraumes, scheint die Dichtigkeit einer Wurzelkanalfüllung keine Rolle zu spielen. Gut, denn wenn es nach einiger Zeit Beschwerden gibt, gibts ja noch den Kieferchirurgen. Der säbelt dann dankbar die Wurzelspitze ab und das apikale Delta ist passee.
Aptekar A, Ginnan K.
Comparative analysis of microleakage and seal for 2 obturation materials: Resilon/Epiphany and gutta-percha.
J Can Dent Assoc. 2006 Apr;72(3):245.
Warme Guttapercha nach Schilder eingebracht, scheint nicht mehr der Goldstandart zu sein. Kunstoff???!!
Zeig mir bitte eine Kassenfüllung in vertikaler Kondensation.
Stoll R, Betke K, Stachniss V.
The influence of different factors on the survival of root canal fillings: a 10-year retrospective study.
J Endod. 2005 Nov;31(11):783-90.
Wurzelkanalbehandlungen unter Klinikbedingungen. Unwirtschaftlich, defizitär, unrealistisch im alltäglichen Praxisbetrieb beim Kassenpatienten. Zeig mir bitte den niedergelassenen Kollegen der so arbeitet.
Und einige mehr.
Sie darf soviel kosten, wie die Vertragszahnärzte (vulgo
Kassenzahnärzte) über ihre KZV’en mit den Kassen vereinbaren.
Es gibt kein Gesetz bei uns, das einen Zahnarzt zwingen würde,
mit den gesetzlichen Kassen Verträge abzuschließen. Jeder kann
eine Privatpraxis aufmachen.
Natürlich kann er das. Macht er aber nicht, weil 90% der Patienten in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Ausserdem können die Kassenzahnärzte über die KZV vereinbaren was sie wollen, über das Gesamtbudget, welches den Krankenkassen zur Verfügung steht, wird es nicht hinausgehen.
Eine „richtige“ Wurzelkanalbehandlung, wie sie heute der
fortgebildete Zahnarzt machen kann, geht weit über diese
Beschränkung hinaus. Es werden zum Beispiel systematisch
zusätzliche Wurzelkanäle gesucht, in denen noch Nervgewebe
enthalten ist. Verzichtet man auf diese Suche und behandelt
nur die Hauptkanäle, kann das im Laufe der Zeit zu Problemen
führen.
Verzichtet man auf diese Suche und würde man dabei ‚erwischt‘
werden können, wäre das die bewußte Unterlassung einer ‚lege
artis‘ - Behandlung und damit Körperverletzung - da gibt es
kein Vertun.
Im Prinzp hast Du recht. Ähem…eine indiskrete Frage:
Warst Du schon mal in der Wirtschaftlichkeitsprüfung? Wahrscheinlich schon, nicht? Kannst Du Dich noch daran erinnern was die Vertreter der Krankenkasse und die lieben Kollegen dort zu Dir gesagt haben?
„Herr Kollege, warum finden Sie an jedem oberen ersten Molaren vier Kanäle? Es ist doch vollkommen ausreichend drei Kanäle zu finden wie das auch vorgesehen ist. Vier Kanäle dürfen nur im Ausnahmefall abgerechnet werden. Und auch nur dann wenn Sie beweisen können. dass wirklich 4 Kanäle vorhanden waren.“
„Und überhaupt, warum machen Sie denn so viele Endos. Herr Kollege es gibt doch auch noch die Zange. Man muss nicht jeden Zahn erhalten wollen.“
Usw.usw.
Weiterhin werden die vollständig aufbereiteten
Wurzelkanäle mit einem speziellem System so dicht
verschlossen, dass keine Bakterien mehr von aussen in den
Wurzelkanal hineingelangen können.
Der bakteriendichte Verschluß des Wurzelkanals ist Bestandteil
der Leistungsbeschreibung für die Wurzelfüllung im ‚Bema‘.
Dieser wiederum ist das Regelwerk der Vertragszahnärzte.
Hoppla. Was ist ein bakteriendichter Verschluss. Für wie lange muss denn der dicht sein? Welches Material. Welche Technik. Das steht da aber nicht. Welche Füllung gibts dann auf die verschlossenen Kanäle. Zement? GIZ? Compomer? Composite?
Ach ja, und war da nicht noch was mit der Gewährleistungspflicht von 2 Jahren.
Ich verstehe durchaus, daß ein/e KollegIn die/der mit
Operationsmikroskop -, mit Einmal-Instrumenten aus NiTi- und
vielleicht noch etlichen Röntgenaufnahmen eine
Super-Wurzelbehandlung hinlegt, auch ordentlich Geld dafür
haben will. Ich habe durchaus einige meiner Patienten zu
Endodontiespezialisten nach München geschickt, wenn ich wußte,
daß die es besser hinkriegen. Aber man kann nicht erst die
Chipkarte nehmen und dann, wenn der Patient schon mit offenem
Mund daliegt, mal eben mitteilen, daß da eine Aufzahlung (die
vertragswidrig ist) in unbestimmter Höhe fällig wird.
Da hast Du verdammt recht. Wobei allerdings nicht einzusehen ist, warum dem gesetzlich versicherten Patienten, nur die Wahl zwischen einer Endo auf Kasse und einer vollkommen privat zu zahlenden Wurzelkanalbehandlung bleibt. Bei einer Kunststofffüllung oder einem Inlay die „mehr als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind, beteiligt sich die Krankenkasse doch auch. Der Patient muss „nur“ eine Zuzahlung in unterschiedlicher Höhe leisten.
Also um es zusammenfassend einmal mit der Axt im Walde auszudrücken.
1.Die Ausbildung an der Uni für Wurzelkanalbehandlungen ist immer noch unterdurchschnittlich.
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Ein Großteil der Zahnärzte lieben die Wurzelkanalbehandlung nicht.
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Ein noch größerer Anteil haben weder die Ausrüstung noch das profunde Wissen, um eine Wurzelkanalbehandlung „lege artis“ auszuführen.
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Die Endo ist immer noch das ungeliebte Kind in der Zahnmedizin. Obwohl sie in letzter Zeit eine Renaissance erlebt. Plötzlich glauben viele ,mit einem Endo-Wochenendkurs und einem Endo-Motor und vielen anderen neuen Spielsachen, endlich Spezialisten zu sein. Da wird dann plötzlich viel mehr verdient, und es werden noch viel mehr NiTi-Instrumente abgebrochen. Uups…schon wieder eins abgebrochen, und ab zum Kieferchirurgen (mit oder ohne Aufklärung???). Oder besser noch ich mach die WSR gleich selbst. Macht auch mehr Spass.
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Fakt ist: Die Kassenwurzelkanalbehandlung wird in vielen Fällen mit viel Sealer und einem Guttaperchastift, aber ohne Kofferdam und NaOCl-Spülung (äh…kalt oder warm) erbracht. Am Röntgenbild ist der Kanal dann vielleicht bis zum Apex aufbereitet, aber bakteriendicht ist der nicht.
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Eine „lege artis“ Wurzelkanalbehandlung, kostet Geld, viel Geld. Sie kostet aber auch Zeit und Erfahrung. Sie ist aber ihr Geld wert, wenn sie verhindern kann,dass ein Zahn entfernt werden muss.
Das beste Implantat ist der eigene Zahn.
Hier in diesem Brett jedenfalls, sollten wir das tun, was die
Amis ‚to call an axe an axe‘ nennen.
Kai
Das habe ich somit getan. Und jetzt pack ich die Axt wieder ein und hoffe dass die User dieses Brettes uns diesen fachlichen Exkurs nicht allzu krumm nehmen.
Ramius