Moin,
ab wann eine äußerung antisemitisch ist und wann nicht.
Natürlich ist bereits der Gebrauch des Wortes „Antisemitismus“ antisemitisch. Diese Wort bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch lediglich die Diskrimminierung einer bestimmten Gruppe, die sich durch nichts anderes auszeichnet, als dass es sich um Juden handelt. Somit ist dieses Wort hochgradig diskriminierend. Nur zum Vergleich: Für andere religiöse Gruppen, Volksgruppen etc. gibt es kein spezielles Wort. Es reduziert somit einen Menschen ein seiner Gesamtheit auf eine einzige Eigenschaft, nämlich die, jüdisch zu sein.
Hieraus ergibt sich auch das Gehampel er Leute mit diesem Begriff. Wie soll ein Jude unterscheiden, ob Kritik an ihm in seiner Eigenschaft als Jude oder einer anderen Eigenschaft (z.B. als Mitarbeiter, Politiker etc.) angeführt ist. Selbst wenn die Kritik vordergründig auf eine andere Eigenschaft zielt, kann die eigentliche Ursache für das Missfallen dennoch damit zusammenhängen, dass es sich bei dem Kritisieren um einen Juden handelt. Natürlich kann die eigentliche Ursache auch eine ganz andere sein, nämlich dass der Kritisierte ein Mann ist oder merkwürdig riecht. Aber für letztere Eigenschaften gibt es kein diskriminierendes Wort wie „Antimaskulinismus“ oder „Antistinkerismus“. Somit werden sich diese Eingenschaften kaum in seinem eigenen Bewusstsein entsprechend festgesetzt haben, bzw. der Kritisierende würde es vermutlich nicht mal dann verbalisieren (können), wenn es tatsächlich so wäre.
Letztendlich kannst du also nur dann sicher von Antisemitismus sprechen, wenn er tatsächlich offen die Gruppe „Juden“ (was auch immer man grade darunter verstehen mag) diskriminiert. Alles andere beruht auf Spekulation und dürfte abhängig sein einerseits vom Grad der Paranoia des Diskriminierten bzw. vom Geschick des Antisemiten, seinen Antisemitismus hinter vordergründiger andersartiger Kritik zu verstecken.
Somit kann sich jeder Jude als Opfer von Antisemitismus fühlen, wenn er sich in irgendweiner Weise schlecht behandelt fühlt. Ja er kann sich sogar als Opfer von Antisemitismus fühlen, wenn er gut behandelt wird. Die entscheidende Frage lautet: Würde sich jemand dieser Person gegenüber anders verhalten, wenn die Tatsache, dass es sich um einen Juden handelt nicht bekannt ist ? Dies Frage lässt sich aber nunmal leider nicht beantworten.
„Neutral“ ist die Situation jedenfalls nur dann, wenn nicht bekannt ist, wen mann vor sich hat. Andererseits bietet das „Outing“ jedoch auch Vorteile. Jemand kann sich selbst gegen Kritik immunisieren, wenn er jede Kritik als vermeintlich antisemitisch begründet abprallen lässt. Insbesondere für Leute, die mit Kritik an ihrer Person nicht fertig werden, düfte diese Form der „Umleitung“ eine willkommene Möglichkeit sein. (Ähnliches gibt es natürlich auch bei anderen Gruppen, so gibt es Frauen, die sich ständig als Frau diskriminiert fühlen oder menschen dunkeler Hautfarbe, die sich ständig wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert fühlen, oder Menschen, die sich ständig wegen ihrer sozialen Herkunft diskriminiert fühlen etc.) Andererseits kann die Kritik aber tatsächlich antisemitisch begründet sein, tja, scheiß Spiel.
ist
man eigentlich schon antisemit oder hat man sich schon
antisemitisch geäußert, wenn man z.b. die siedlungspolitik der
israelis kritisiert???
„Eigentlich schon“ sicher nicht. Man kann Antisemit sein, wenn man die Siedlungspolitik kritisierte, aber man muss es nicht.
Aus diese Grund ist bei „Argumenten“ dieser Art ja auch von der „Antisemitismuskeule“ die Rede, weil weder der Beschuldigende nachweisen kann, wie diese Kritik letztendlich motiviert ist, noch der Beschuldigte beweisen kann, dass diese Kritik nicht antisemitisch motiviert ist. Es handelt sich somit um ein Todschlagargument und ist ein gutes Beispiel für die Instrumentalisierung von Antisemitismus zur eigenen Immunisierung.
Gruß
Marion